Von Färchern und Flößern: Kastel im Wandel
Kastel ist die einzige Gemeinde in Hessen, die noch heute ihren römischen Gründungsnamen trägt.
Gründung
Kastel ist die einzige Gemeinde in Hessen, die noch heute ihren römischen Gründungsnamen trägt. Um das zwölfte bis neunte Jahrhundert vor Christus errichtete der römische Feldherr Drusus das Castellum Mattiacorum, ein Militärlager, das das Mainzer Legionslager schützen sollte. Wenig später entstand die erste Brücke über den Rhein, die die Siedlung Mogontiacum (heute Mainz) mit Kastel verband. Im ersten Jahrhundert wurde das Lager zusätzlich mit einer Steinmauer gesichert.
Zeugnisse römischer Präsenz
Die römische Brücke mündete rechtsrheinisch in die heutige Große Kirchenstraße und führte direkt in das Castell, dessen zweites Tor nur wenige Meter vom 1986 entdeckten Fundament des Römischen Ehrenbogens lag. Um 287 ließ Kaiser Maximinian eine steinerne Brücke errichten, deren Bauweise auf einem Bleiabdruck bei Lyon dokumentiert ist. Während der römischen Epoche, die fast 400 Jahre dauerte, entstanden zahlreiche Bauten, darunter ein Badehaus. Der Märtyrer Ferrutius starb in Castell, bevor die Franken die Herrschaft übernahmen.
Im Mittelalter
Unter Karl dem Großen entstand zwischen 803 und 813 eine neue Rheinbrücke, die jedoch kurz nach ihrer Fertigstellung abbrannte. Im 13. Jahrhundert wurde Kastel zur „Reichsstadt“ und erlebte eine Blütezeit. Die große Zeit der Färcher (Ruderboote für Personen und Fracht) und Flößer begann im frühen 14. Jahrhundert. Ständige Überfälle veranlassten Erzbischof Berthold von Henneberg 1497, die Erbenheimer Warte am Fort Biehler zu errichten. Bereits 1475 wurde der Bartholomäus-Markt gegründet, der bis heute besteht.
Zerstörung und Wiederaufbau
Kastel wurde mehrfach von kriegerischen Auseinandersetzungen heimgesucht. Im Dreißigjährigen Krieg grassierte die Pest, der die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer fiel. Teile dieser Mauer aus dem 17. Jahrhundert sind bis heute erhalten und erinnern an Kastels Bewältigung großer Krisen.
1689 brannten französische Truppen den Ort nieder. Während Napoleons Feldzug 1812 gelang es den Kasteler Färchern, ihn trotz Eisgangs sicher über den Rhein zu setzen. 1816 wurde Kastel mit Mainz zur Bundesfestung erklärt.
Jüdische Gemeinde
Die jüdische Gemeinde Kastels, deren Geschichte bis ins 15. Jahrhundert reicht, prägte das soziale und kulturelle Leben des Ortes mit. 1833/34 entstand in der Frühlingsstraße eine Synagoge mit Gemeindehaus. Nach der Auflösung der Gemeinde 1914 wurden die Mitglieder der Mainzer Gemeinde angeschlossen. Auch danach lebten jüdische Bürger und Bürgerinnen in Kastel. Viele von ihnen wurden während des Holocausts ermordet.
Fortschritt und Freiheit
Im 19. Jahrhundert erfuhr Kastel einen Wandel. Die zweite deutsche Eisenbahnstrecke zwischen Wiesbaden und Kastel wurde 1840 eröffnet. Freiheitliche Gedanken setzten sich durch: 1844 entstand der Kasteler Gesangverein, und 1874 wurde hier die Sozial-Demokratische-Arbeiter-Partei gegründet.
Von Zerstörung zu neuem Leben
Nach der Eingemeindung nach Mainz im Jahr 1908 und den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, insbesondere der Bombardierung 1944, wurde Kastel 1945 von Mainz abgetrennt und Wiesbaden unterstellt. Der Wiederaufbau erfolgte durch engagierte Bürgerinnen und Bürger, die eine demokratische Zukunft für Kastel schufen.
Kastel heute: Stolz auf Geschichte und Gegenwart
Heute ist Kastel ein moderner Stadtteil, der seine historischen Wurzeln bewahrt. Die „Kasseler“ sind stolz auf das Heimatmuseum in der Reduit, den Geschichtsbrunnen und die Ausgrabungen der römischen Mauern. Kastel ist zudem eine Hochburg des Karnevals und bietet durch seine gute Verkehrsanbindung – per Bahn, Auto und Schiff – einen idealen Zugang für Besucher.
Wiederaufbau und Wachstum
Nach dem Krieg wuchs die Bevölkerung durch den Zuzug von Heimatvertriebenen von 1.092 auf 1.477 im Jahr 1950. In folgenden Jahren wurden Infrastrukturprojekte realisiert: der Abriss des alten Rathauses 1957, die Erweiterung der Schule 1954 sowie die Erschließung neuer Baugebiete, zunächst am Ortsrand, später auch im Ortskern. 1984 startete der Ortsbeirat die Sanierung des historischen Ortskerns, der 1988 unter Denkmalschutz gestellt und in den 1990er-Jahren erneuert wurde.
Nahe an Wiesbaden
Heute wird die Igstadter Gemarkung von wenigen Vollerwerbslandwirten bearbeitet. 2009 gab es 177 Gewerbebetriebe, hauptsächlich kleine Unternehmen. Die meisten Einwohnerinnen und Einwohner arbeiten in Wiesbaden und dem Rhein-Main-Gebiet.
Historisches Highlight
Winter 1886: Kasteler Einwohner und Einwohnerinnen spazierten bei 22 Grad Kälte über den zugefrorenen Rhein nach Mainz.