Klassizismus
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Generell zeichnet sich die Architektur des Klassizismus durch den Bezug auf die griechische und römische Antike sowie auf den englischen Palladianismus und den französischen Klassizismus aus. In Wiesbaden wurde die seit 1806 konsequent verfolgte Stadtentwicklung nach klassizistischen Gestaltungsprinzipien vor allem von Baudirektor Carl Florian Goetz und Bauinspektor Christian Zais vorangetrieben. In der Folge entstand das Historische Fünfeck zwischen Friedrichstraße bzw. Rheinstraße, Wilhelmstraße, Taunusstraße, Röderstraße und Schwalbacher Straße.
Bereits 1803, nach Beseitigung der Befestigungsanlagen, hatte Goetz sechs klassizistisch schlicht gehaltene Wohnhäuser für Landesbeamte vor dem Neuen Mainzer Tor entworfen und darüber hinaus das Modell eines zweigeschossigen Wohnhauses mit Walmdach entwickelt, das sich durch die Ausgewogenheit seiner Proportionen auszeichnete und dessen symmetrische Fassade mit einem Mitteleingang und zweiläufiger Freitreppe fünf, idealerweise aber sieben Fensterachsen zeigte. Durch Toreinfahrten voneinander getrennt, sollten die Häuser frei stehen. Dieser Wohnhaustyp bestimmte zunächst die ab 1805 angelegte Friedrichstraße, von deren klassizistischer Bebauung heute noch zwei Gebäude erhalten sind: die bescheidene Friedrichstraße 5 und das Zais zugeschriebene, 1813–17 erbaute Schenck’sche Haus. Auch das Aussehen der Allee- bzw. Wilhelmstraße dominierte der beschriebene Wohnhaustyp.
An erster Stelle der repräsentativen Bauten ist das nach Plänen von Zais 1808–10 errichtete »Kur- und Gesellschaftshaus« (altes Kurhaus) zu nennen, ein im Äußeren auf das Wesentliche reduzierter, lang gestreckter Bau mit einem – in Anlehnung an griechische Tempel – zentralen Portikus und abschließendem Dreiecksgiebel. Zais widmete seine Aufmerksamkeit auch der Gestaltung von dessen Umgebung, insbesondere dem Terrain vor dem Sonnenberger Tor. Hier entwarf er eine großzügige klassizistische Platzanlage. Nach Abbruch des Tors 1812 ließ Zais auf der Westseite des rechteckigen Platzes, in Höhe der Einmündung der Webergasse, südlich sein eigenes Wohnhaus und nördlich den ersten Nassauer Hof errichten. An den Ecken zur Wilhelmstraße entstanden südlich das von Zais entworfene, 1821 eröffnete luxuriöse Hotel Vier Jahreszeiten und nördlich das 1825–27 von Landbaumeister Eberhard Philipp Wolff (1773–1843) in schlichten Formen errichtete Theater. In denselben Zeitraum datiert auch die nördliche der Kolonnaden; die südliche, die heutige Theaterkolonnade, wurde 1839 erbaut.
1813–20 errichtete Zais mit dem Erbprinzenpalais einen monumentalen Bau mit 17 Fensterachsen, einem genuteten Sockelgeschoss, zwei Obergeschossen und einer Dachattika. Die Fassade wird akzentuiert durch einen drei Achsen breiten Mittelrisalit.
Eine zweite klassizistische Platzanlage, der Luisenplatz, ist noch weitgehend erhalten. Angelegt wurde sie von Baumeister Wolff 1830 als lang gestrecktes Rechteck zwischen Luisen- und Rheinstraße. Von Wolff stammt auch die an der Ecke zur Luisenstraße errichtete Münzprägeanstalt (1829/30), während das Pädagogium (1831) nach Plänen von Baurat Karl Friedrich Faber (1792–1856) erbaut wurde. Von diesen beiden Bauten bewahrt nur die alte Münze ihr charakteristisches klassizistisches Aussehen.
Von Hofbaurat Friedrich Ludwig Schrumpf stammt das Jagdschloss Platte, das sich an Palladios Villen, insbesondere der Villa Rotonda bei Vicenza, orientierte. Ebenfalls auf Schrumpf geht die klassizistische Umgestaltung von Schloss Biebrich 1817–29 zurück.
Das in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstandene, einheitlich klassizistische Stadtbild ist bis auf wenige Bauten verschwunden. Repräsentative Gebäude, die seit Ende der 1830er-Jahre errichtet wurden und bis heute das Stadtbild prägen wie das Stadtschloss Wiesbaden und das Ministerialgebäude, aber auch die Kirche St. Bonifatius, die Russisch-orthodoxe Kirche der heiligen Elisabeth und die Marktkirche, zeigen sich zum einen noch der Architekturauffassung und dem Formenrepertoire des Klassizismus verpflichtet und zählen zum anderen bereits zu den frühen Zeugnissen des Historismus in Wiesbaden.
Literatur
Sigrid Russ, Bearb., Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Wiesbaden I.1 – Historisches Fünfeck. Hrsg.: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Stuttgart 2005.
Jordan, Jörg: Im Schatten Napoleons. Staatsaufbau in Nassau und Stadtentwicklung in Wiesbaden, Regensburg 2014 (Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden 13).
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Kiesow, Gottfried
Das verkannte Jahrhundert. Der Historismus am Beispiel Wiesbaden, Bonn 2005.