Historisches Fünfeck
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Das Historische Fünfeck hat sich als Bezeichnung für eine die Wiesbadener Stadtentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägende Planungsfigur eingebürgert, die als »Gesamtbauplan« für die nassauische Residenzstadt vom Bauinspektor Christian Zais entwickelt und mit Erlass des herzoglichen Staatsministeriums an die Regierung vom 17.04.1818 gebilligt und in Kraft gesetzt wurde.
Das Kerngerüst dieser Stadtplanung des Klassizismus sind die im Anschluss an die Wilhelmstraße als Rahmen der Stadterweiterung konzipierten, teilweise neu trassierten Straßenzüge der heutigen Taunus- und Röderstraße sowie der Schwalbacher und der Luisenstraße und – als mögliche weitere Erweiterung nach Süden – der heutigen Rheinstraße. Innerhalb dieses Fünfecks beschrieb der Plan auch schon das Straßenraster des später sogenannten Bergkirchenviertels. Zais knüpfte dabei an die von Carl Florian Goetz 1803/1805 konzipierte Idee an, das historische Wiesbadener Gassengewirr einzufassen in ein System geradliniger Straßen wie der Friedrichstrßae und der mit ihr rechtwinklig verbundenen Wilhelmstraße. Zais entwickelte daraus eine städtebauliche Planungsfigur in der geometrisch klaren Form eines Fünfecks, wodurch die Gesamtstadt wie ein klassizistischer Kubus in die Landschaft eingebettet wurde, umgrenzt von breiten, einseitig bebauten Alleestraßen, auf deren Stadtseiten »moderne« klassizistische Hausreihen einen ansehnlichen Stadtrand vor dem als überaltert und unschön empfundenen Stadtkern bilden und Baumreihen die Überleitung in die Landschaft unterstreichen sollten, wie dies in der oberen Wilhelmstraße heute noch nachvollziehbar ist.
Am 06.01.1818 präsentierte Christian Zais einen Bauplan für die Entwicklung der Stadt, der nur noch in Teilen erhalten ist, dessen Begleitschreiben aber schon verbal die Konzeption des später sogenannten Historischen Fünfecks beinhaltete. Daraufhin beauftragte ihn die Regierung mit der Ausarbeitung dieser Idee, und am 03.03.1818 legte Zais ein ausführliches Gutachten vor. Von diesem ist der gezeichnete Hauptplan auch nicht mehr erhalten, wohl aber die sorgfältige, den alten Stadtkern gedanklich umkreisende, beschreibende Gesamtdarstellung der künftigen Stadtentwicklung im Rahmen dieser Planungsidee. Am Schluss dieser Beschreibung behandelte Zais auch die Ebene zwischen der nur einseitig zu bebauenden Wilhelmstraße und dem Bierstadter Hang, die er als Grünfläche erhalten wissen wollte, ein Leitgedanke, der in Gestalt des Parks am Warmen Damm bis heute alle stadtentwicklungspolitischen Meinungswechsel überdauert hat. Die Landesregierung legte diesen Gesamtplan mit zustimmendem Votum dem Ministerium vor. Als Summe der vorzusehenden Zuschüsse und Grundentschädigungen für die geplanten Straßen hatte die Regierung 175.503 fl. errechnet. Das Ministerium stimmte der Planung zu. Es verwies aber auf den zu erwartenden Widerstand der Landstände gegen Geldprämien für Bauprojekte in Wiesbaden und stellte seinerseits eine zehnjährige Steuerfreiheit für Bauvorhaben an den geplanten neuen Straßen in Aussicht. Die Landstände lehnten, wie erwartet, die finanzielle Förderung neuer privater Bauprojekte im Zuge der Wiesbadener Stadterweiterung ab. Dennoch bestimmte die Konzeption dieser Planung das weitere Baugeschehen.
Das Historische Fünfeck und der rechtwinklig daran anschließende neue Kurbezirk bildeten während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den von der Stadtentwicklungsplanung vorgegebenen äußeren Rahmen der Stadt. Ab 1818 entwickelte sich diese fast vier Jahrzehnte lang ausschließlich innerhalb dieses Rahmens, bis ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Dynamik der Stadtentwicklung dazu nötigte, die gesetzten Grenzen auf breiter Front nach allen Richtungen zu überschreiten. Wenn deshalb der Wiesbadener Stadtentwicklungsplan des Christian Zais schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch neue Stadterweiterungen überholt wurde, so ist doch das von ihm konzipierte Historische Fünfeck als Kernzone der Innenstadt im Stadtgrundriss bis heute noch gut ablesbar.
Auch nach der Annexion Nassaus 1866 und im Wachstumsrausch Wiesbadens in der wilhelminischen Kaiserzeit blieb trotz Vervierfachung der Einwohnerzahl und breitflächiger Entwicklung zur Großstadt das Historische Fünfeck die attraktive Stadtmitte, und die notwendigen neuen, vergrößerten Infrastruktureinrichtungen entstanden ganz überwiegend innerhalb, an oder in der Nähe dieser fünf Straßen oder angelehnt an den Kurbezirk, z. B. das Theater an der südlichen Kolonnade, das neue Rathaus am Schlossplatz, die Landesbibliothek, die Hauptpost und das neue Museum an der Rheinstraße, die Feuerwehr an der Neugasse und die Städtischen Krankenanstalten 1876–79 im Anschluss an das Fünfeck an der Schwalbacher Straße.
Erst in der Expansionsphase nach dem Zweiten Weltkrieg, infolge der Entwicklung zur nahezu vollständigen individuellen Motorisierung in Deutschland, wurden eine Reihe von übergeordneten Versorgungsfunktionen für die Einwohnerschaft der Großstadt an deren Peripherie verlagert, vor allem großflächige Einkaufszentren, aber z. B. auch die Städtischen Krankenanstalten zwischen 1976 und 1984 nach Dotzheim und die Gerichte 2009 in das neue Justizzentrum an der Mainzer Straße.
Die zentrale Bedeutung des Historischen Fünfecks für das städtische Selbstverständnis und die langfristige Prägung der Wiesbadener Stadtentwicklung durch diese Schöpfung von Christian Zais zeigt sich andererseits nicht zuletzt darin, dass die als besondere großstädtische Erlebniswelt gedachte Fußgängerzone der Stadt ausschließlich innerhalb dieses historischen Stadtbereichs verwirklicht wurde.