Dotzheim
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Im Zuge der planmäßigen fränkischen Besiedlung unserer Region, vor allem unter König Dagobert I. (623–638), dürfte sich ein Gefolgsmann des Königs im Tal des Belzbachs angesiedelt und dem Platz seinen Namen – »Tuzzo«, »Tuozo« – gegeben haben. Aus »Tuozesheim« wurde schließlich Dotzheim.
Aus der frühen Frankenzeit (2. Hälfte des 7. Jahrhunderts) stammt die berühmte Dotzheimer »fibula«, eine scheibenförmige Gewandnadel aus Bronzeblech, die sich heute im Britischen Museum in London befindet. Funde (Tonscherben, Waffen, Beile und Schmuck) belegen, dass schon in der mittleren Jungsteinzeit sowie in der Bronzezeit hier Menschen lebten. Die ältesten Siedlungsbelege im Dotzheimer Ortskern lassen sich der »Latène-Zeit« (jüngere Eisenzeit) zuordnen, die etwa 400 v. Chr. begann und die Blütezeit des keltischen Kulturkreises – bis zum Eindringen der Römer – umfasst. Im Bereich der Hohlstraße 3 wurden auf engstem Raum mindestens fünf Steinkistengräber aus unbehauenen Quarzitplatten entdeckt. Auch die Römer haben Spuren hinterlassen: Im ersten Regierungsjahr des Kaisers Severus Alexander, also im Jahr 222, stifteten Fortunatus und Sejus einen Altar, der als Fragment sichergestellt werden konnte.
Die schriftliche Überlieferung setzt mit dem 12. Jahrhundert recht spät ein. 1128 überließ der Mainzer Erzbischof Adalbert von Saarbrücken dem dortigen Domkapitel Einkünfte aus den Dotzheimer Besitzungen des Erzstifts. In dieser Urkunde wird Dotzheim erstmals erwähnt (»dotzesheim«). Am 21.11.1184 bestätigte Papst Lucius III. (1181–1185) in Verona dem Mainzer Benediktinerkloster St. Alban den Besitz von 25 Kirchen, darunter die zu Dotzheim. Zur Ausübung der klösterlichen Gewalt in Dotzheim setzte das Kloster Vögte ein.
Seit 1316 übten die Herren von Biegen dieses Amt aus, im 14. Jahrhundert die Kämmerer von Worms, im 15. Jahrhundert die von Scharfenstein und seit 1526 die Brömser von Rüdesheim, die ihre Rechtsposition 1668 an die Ritter von Sickingen und die Freiherrn von Metternich vererbten. In ihrem Immunitätsbereich ernannten die Herren von St. Alban auch einen Schultheiß. Jährlich ließen sie vier Gerichtstage abhalten. 1402 gliederte Papst Bonifatius IX. die Dotzheimer Kirche völlig dem Kloster ein, dem alle Einkünfte zuflossen. Der Gottesdienst sollte durch Mönche oder Weltpriester des Klosters versehen werden. Seine Rechte in Dotzheim vermochte St. Alban jedoch nicht dauerhaft zu halten, denn 1563 war es das Mainzer Domkapitel, das das Besetzungsrecht an der Pfarrstelle sowie die Pfarrgüter und den Pfarrzehnten gegen eine jährliche Zahlung von 18 fl. »Absenzgelder« an Graf Philipp II. »Jungherr« zu Nassau-Idstein abtrat. Neben der Mainzer Geistlichkeit (Domkapitel, St. Alban, Klara-Kloster, St. Johannis-Stift, Karthäuserkloster) hatten die Klöster Eberbach und Klarenthal Güter in Dotzheim. Im 13./14. Jahrhundert nannten sich mehrere Adelsfamilien »von Dotzheim«.
Die Anfänge der nassauischen Rechte in und über Doztheim liegen im Dunkeln. Möglicherweise befand sich hier eine Hofanlage, die mit dem Königshof in Wiesbaden in Verbindung stand und mit diesem Ende des 12. Jahrhunderts an die Grafen von Nassau gelangte. Auch die Hochgerichtsbarkeit, die im 13. Jahrhundert noch die Herren von Eppstein ausübten, fiel an das Haus Nassau. 1530 erkannte der Vogt des Klosters St. Alban, Heinrich Brömser von Rüdesheim, Graf Philipp I. »Altherr« zu Nassau als Inhaber der Hochgerichtsbarkeit an.
Als Anfang der lokalen Selbstverwaltung kann das 1386 erstmals erwähnte Dorfgericht betrachtet werden, das für Zivilsachen zuständig war und unter dem Vorsitz des Schultheißen tagte, dem vier Schöffen zur Seite standen. Ende des 16. Jahrhunderts leiteten zwei Bürgermeister die finanziellen Geschicke der Gemeinde. Weitere Gemeindeämter waren unter anderem zwei Schützen für Wald und Feld, zwei Kirchen- und zwei Schrötermeister. Es gab eine Dorfschmiede, einen Gemeindebäcker und einen von der Gemeinde zu entlohnenden Hirten. 1430 war das Dorf Dotzheim durch Zäune und Falltore geschützt. 1569 wurde mit Johann Lonicerus der erste evangelische Pfarrer eingeführt. Um 1594 entstand Dotzheims bescheidene Dorfschule. Das Gerichtssiegel aus dem Jahr 1636 zeigt das Wappen der Gemeinde, ein großes T, das von den Buchstaben C und K begleitet wird. Über die Deutung des T als Antoniuskreuz, Werkzeug oder Hinweis auf die älteste Namensform, Tozesheim, wurde bislang keine Einigkeit erzielt. C und K verweisen auf den damaligen Schultheißen Christoph Kemel. 1610 ging durch Brandstiftung etwa 50 % der Bausubstanz des Dorfes verloren.
Gravierender allerdings waren die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges: 1644 war Dotzheim praktisch unbewohnt. 1645 kehrten die ersten Einwohner zurück. 1648 lebten nur mehr 10 bis 14 Familien in Dotzheim, während man vor dem Krieg 72 Hausstände gezählt hatte. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Kriegsfolgen überwunden waren. 1695 ließ die Gemeinde das stattliche Pfarrhaus gegenüber der Kirche errichten, 1698 folgte ein Schulhaus. Der Neubau der Pfarrkirche nach Plänen des nassauischen Baumeisters Johann Jakob Bager datiert von 1716/18. Im Gefolge der durch die Französischen Revolution von 1789 ausgelösten Kriege wurde Dotzheim im Juli 1796 geplündert, 500 Soldaten errichteten hier ein Lager. Die Einwohner mussten den Besatzern Lebensmittel und Wein liefern, insgesamt beliefen sich die Besatzungsschäden auf 10.850 fl. 1819 lebten etwa 900 Einwohner in Dotzheim.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkten zwei bedeutende Geistliche in dem Dorf: Pfarrer August Ludwig Christian Heydenreich war einer der führenden Köpfe der nassauischen Unionsbewegung. Johann Christian Reinhard Luja regte 1811 die Gründung des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung an und sicherte vorgeschichtliche und römische Funde in der Dotzheimer Gemarkung. Aus der kleinen Dotzheimer Judengemeinde, die 1843 37 Mitglieder zählte, ging mit dem 1801 in Dotzheim geborenen Dr. Salomon Herxheimer ein weit über Nassau hinaus anerkannter Prediger und Pädagoge hervor.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Dotzheim zu einer Wohnsitzgemeinde, in der zahlreiche Bauarbeiter lebten, die in der benachbarten Weltkurstadt ihren Lebensunterhalt verdienten: Maurer, Tüncher, Dachdecker und Zimmerleute waren als Arbeitskräfte in der ständig wachsenden Nachbarstadt gefragt. Die Bevölkerung wuchs auf 2.000 Menschen im Jahre 1866. Bis zur Jahrhundertwende stieg die Einwohnerschaft durch ständigen Zuzug auf 4.342 Bewohner. 1817 war damit begonnen worden, den Weg nach Wiesbaden zu begradigen, 1834/35 folgte der Ausbau der Wiesbadener Chaussee. Mehr und mehr Bauern gaben im 19. Jahrhundert die Landwirtschaft auf und wurden Bauarbeiter in der Stadt.
Weiteren Aufschwung brachte 1889 der Anschluss an die Aartalbahn (»Langenschwalbacher Bahn«): Rund um den Bahnhof entstand ein florierendes Industrie- und Gewerbegebiet. Am Bahnhof siedelten sich Fabriken an: So 1895 die Maschinenfabrik Philippi. 1896 eröffnete die Fabrik Holz- und Blechbearbeitungs-Industrie Carl Bender I., 1898 die Möbelfabrik des Großherzoglich-Luxemburgischen Hoflieferanten Adolph Dams mit 150 Arbeitern. Auch die Wiesbadener Ölmühle Philipp L. Fauth, die um 1910 gegründet wurde, hatte hier ihren Standort; sie beschäftigte ca. 100 Arbeitskräfte. Schließlich ist zur örtlichen Industrie am Dotzheimer Bahnhof die Stanniolkapselproduktionsstätte von A. Flach und Georg Pfaff zu zählen, die Verschlüsse für Sekt- und Weinflaschen herstellte.
Unter dem tatkräftigen Regiment der letzten drei Bürgermeister, nämlich Georg Heil (1881–1901), August Rossel (1901–13) und Eduard Sporkhorst (1913–28), erhielt die Gemeinde ein neues Rathaus, drei Schulen, den schön angelegten Waldfriedhof und einen vorbildlichen Fluchtlinien-Bebauungsplan, der schon damals landwirtschaftlich wertvolle Gemarkungsteile unter Schutz stellte. Auch die örtliche Infrastruktur wurde durch Schaffung der zentralen Wasserversorgung (1906), Einführung von Gas und Strom (1902 bzw. 1906) sowie die Errichtung einer Straßenbahnverbindung Wiesbaden-Dotzheim (1906) entscheidend verbessert. Das Postamt an der oberen Wiesbadener Straße entstand 1901 (es wurde 1997 geschlossen). Im selben Jahr erschien erstmals die »Dotzheimer Zeitung« des Verlegers Philipp Dembach, die 1933 eingestellt wurde. 1902 erfolgte die Weihe der katholischen Kirche.
Seit dem Fall des Sozialistengesetzes im Jahr 1890 entfaltete die örtliche Arbeiterschaft ein reges Vereinsleben: am 30.09.1893 kam es zur Gründung eines Arbeiterbildungsvereins, 1899 etablierte sich ein Arbeitergesangverein, 1903 der Arbeiterradfahrverein »Vorwärts«, 1908 die Freie Turnerschaft. Bürgerliche Vereine bestanden bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts, so der Turnverein von 1848, der Gesangverein von 1859 und die Musikvereinigung von 1848. Bedeutendstes örtliches Ereignis vor dem Ersten Weltkrieg war die 69. Hauptversammlung des Gewerbevereins für Nassau, die 1913 in Dotzheim stattfand. 240 Delegierte nahmen teil, 70 ortsansässige Gewerbebetriebe präsentierten ihre Produkte. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte das Dorf ca. 6.200 Einwohner. Stolz bezeichnete man sich als »größtes Dorf des Nassauer Landes«.
Der Erste Weltkrieg, die anschließende französische Besatzungszeit, Inflation und Separatismusunruhen sowie eine allgemeine Wirtschaftskrise brachten gravierende Einschnitte. Zeitweise waren in Dotzheim 3.000 Franzosen stationiert, seit 1926 dann Engländer. Die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen nahmen an Schärfe zu, die Wirtschaftskrise mit ihren Belastungen ließ die Eingliederung in die Nachbarschaft als letzten Ausweg erscheinen. So wurde Dotzheim am 01.04.1928, genau 800 Jahre nach der Ersterwähnung, nach Wiesbaden eingemeindet. Der hohe Anteil der Linksparteien bei den demokratischen Wahlen der Weimarer Republik brachte der Gemeinde den Beinamen »rotes Dotzem« ein.
Bei der Reichstagswahl von 1924 erhielt die KPD 21,5 %, die SPD 40,4 %. Nach der Eingemeindung stieg der Anteil der Nazi-Anhänger kontinuierlich. Danach folgten ab 1933 der Nazi-Terror, die Verfolgung polilitscher Andersdenkender und die erbarmungslose Vertreibung und Ermordung der Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Die jüdischen Geschäfte – 1928 gab es fünf Metzgereien, drei Manufakturen und einen Altwarenhandel – wurden verkauft oder geschlossen. Die Kommunalpolitiker und Gewerkschafter August Hölzel (SPD) und Theodor Bach (KPD) erlagen kurz vor Kriegsende im KZ Dachau dem Nazi-Terror. Die Wiederaufrüstungsbestrebungen des nationalsozialistischen Regimes hatten zu umfangreichen Kasernenbauten auf dem Kohlheck und dem Freudenberg geführt. Den anschließenden Zweiten Weltkrieg überstand Dotzheim in der Bausubstanz relativ unbeschädigt. Bei den Luftangriffen vom Februar 1945 starben 36 Einwohner, 33 Gebäude wurden völlig, 625 Bauten teilweise zerstört.
Die Notwendigkeit, zahlreiche Flüchtlinge und Heimatvertriebene anzusiedeln, sowie die Anziehungskraft Wiesbadens als Landeshauptstadt und Verwaltungssitz führte dazu, dass nach und nach weite Flächen der Dotzheimer Feldgemarkung zu Bauland wurden. Mit der Besiedlung von Freudenberg (Siedlung Freudenberg) und Märchenland (Siedlung Märchenland) wurde schon in den 1930er-Jahren begonnen. Es folgte der Bereich Kohlheck. Schließlich entstand Dotzheims imposantester »Trabant«, die Großsiedlung Schelmengraben. Nicht ganz so groß fiel demgegenüber das Wohngebiet Sauerland (für 4.000 Einwohner) aus.
Dotzheim verfügt über das vielfältige kulturelle und sportliche Geschehen eines Gemeinwesens, das trotz jahrzehntelanger Einbeziehung in die größere Einheit Landeshauptstadt Wiesbaden Eigenständigkeit und Identität wahren konnte.
Literatur
Kopp, Klaus: Zur Geschichte der Ritter von Dotzheim. Spuren eines mittelrheinischen Niederadelsgeschlechts des 13./14. Jahrhunderts (Schriften des Heimat- und Geschichtsvereins Dotzheim e.V. 12), Wiesbaden-Dotzheim 1987.
Kopp, Klaus: Dotzheim. Vom fränkischen Weiler zum größten Dorf des Nassauer Landes. Ein geschichtlicher Überblick. Schriftenreihe des Heimat- und Verschönerungsvereins Dotzheim e.V., Wiesbaden 1998.