Sprungmarken

Wilhelmstraße

Artikel

Baudirektor Carl Florian Goetz sah in seinem Generalplan von 1805 als östliche Grenze der bebauten Stadt eine Promenade vor. Nach dem Bau des ersten Kurhauses außerhalb der damaligen Altstadt 1810 wurde mit der Anlage der »Allee über den Warmen Damm« begonnen. Mit Christian Zais’ Stadterweiterungsplan von 1818 wurde die Allee im Osten ein Teil des sogenannten Historischen Fünfecks. Benannt wurde die Wilhelmstraße nach Herzog Wilhelm zu Nassau.

Prägend für ihr Erscheinungsbild wurde die Entscheidung, sie nur an der Innenstadtseite geschlossen zu bebauen. So konnten an der östlichen Seite, auf der zwei Baumreihen angepflanzt wurden, Parkanlagen und Übergänge zum östlichen Villenviertel entstehen. Die – zunächst vereinzelt stehenden – Wohnhäuser auf der Westseite wurden 1810–26 zweistöckig erbaut, was zu der 36 m breiten Prachtstraße im Kontrast stand. Zwischen 1840 und 1860 wurden sie durch dreigeschossige Häuser ersetzt, spätere Neubauten wurden vierstöckig.

Die Wilhelmstraße entwickelte sich schnell zur beliebten Flaniermeile für Kurgäste und Einheimische. Beeinträchtigt wird ihr Reiz allerdings dadurch, dass sie zugleich eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen für den Autoverkehr ist. Ihrem Charakter entsprechend finden sich hier elegante Geschäfte. Früher gehörten auch Cafés mit Außenbewirtschaftung wie Lehmann und das Café Blum zum Gesamtbild, inzwischen findet sich Gastronomie nur an den beiden Enden.

Das südliche Entrée der Flaniermeile bildeten einst die ersten Wiesbadener Bahnhöfe, seit 1915 das Museum Wiesbaden, 1957–2015 zusammen mit den gegenüberliegenden Rhein-Main-Hallen. Das westliche Eckhaus zur Rheinstraße von 1885 hebt den Beginn des Boulevards mit fünf Stockwerken, aufwendigem Sandstein, Erker und Malereien am Obergeschoss hervor. Sein östliches Gegenstück war früher das Hotel Viktoria, auf der heute freien Ecke vor dem modernen Gebäude der Dresdner Bank war bis Ende 2014 ein Neubau für ein Stadtmuseum geplant. Die beiden Eckbauten zur Luisenstraße stammen aus der späthistoristischen Bauphase, das ehemalige Hotel Metropole – an einigen Städtewappen erkennbar – von 1894, das Café Hohenzollern von 1900. Der prächtige Kuppelbau, in dem sich heute die Konditorei und Pralinenmanufaktur Kunder befindet, dominiert diesen Teil der Wilhelmstraße. Unter den Villen an der Ostseite befindet sich die Nr. 15 als Sitz des Nassauischen Kunstvereins e.V. und die Villa Clementine, heute Literaturhaus, an der Ecke zur Frankfurter Straße.

Der prominenteste Bau der unteren Wilhelmstraße ist das Erbprinzenpalais an der Ecke Friedrichstraße, seit 1971 Sitz der Industrie- und Handelskammer. Das gegenüberliegende Eckhaus für die Deutsche Bank entstand 1908. Das ehemalige Hotel Bellevue (Nr. 32) enthält den Ausstellungsraum Bellevue-Saal. Haus Nr. 34 von 1871/72 war einst das Hotel Spehner. Das ehemalige Park-Hotel Nr. 36 von 1881/82 wird heute von einer Tanzschule genutzt, im Erdgeschoss befindet sich das traditionsreiche Park-Café. Zu dem Komplex gehörte auch ein Theaterraum, der heute von der Caligari Film-Bühne genutzt und vom Marktplatz her betreten wird. Das Haus Nr. 38 mit dem auffallenden Balkon ist das Bankhaus Berlé von 1879. Zwischen Hotel und Bank war zur Entstehungszeit eine Straße zur Marktkirche hin geplant, die nicht gebaut wurde. Die Bank nutzte den Platz zu einem Erweiterungsbau mit neuem Eingangsbereich. Dessen Säulenreihen bilden heute den Beginn der Wilhelm-Arcade, mit der das alte Straßenprojekt aufgegriffen wurde. Diese steht mit ihrem Marmorfußboden in Konkurrenz zu der alten »Wilhelmpassage« in Haus Nr. 40. Dort befand sich früher das Badhaus »Aachener Hof«, an dessen Besitzer, den Freiheitskämpfer von 1848 Georg Böhning, eine Gedenktafel erinnert. Die Häuser von Nr. 40 bis zur Burgstraße wurden im Krieg zerstört und schlichter wiederaufgebaut. Aus den Hotels der Wilhelmstraße wurden nach 1945 vielfach Banken, Büros oder Praxen.

An der Ostseite der Wilhelmstraße liegt nördlich der Frankfurter Straße der Park Warmer Damm. Nördlich davon und von der Burgstraße befindet sich der von Zais geplante und zum Teil realisierte Abschnitt der Wilhelmstraße, in dem sie zum Kurbezirk wird. Auf der Ostseite liegen das neue Kurhaus und davor das Bowling Green, eingerahmt von der sogenannten Kurhauskolonnade und der Theaterkolonnade des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden.

Auf der Westseite öffnet sich die Wilhelmstraße ein einziges Mal zu einem Platz, dem heutigen Kaiser-Friedrich-Platz. Das Kaiser-Friedrich-Denkmal ist umgeben von dem Appartementhaus Vier Jahreszeiten und dem Hotel Nassauer Hof (mit dem Restaurant »Ente«) anstelle des alten Hoftheaters von 1827. Nördlich des Hotels führt eine weitere Ladenpassage, Via Publica genannt, zur Spiegelgasse. Sie ist Teil eines Neubaukomplexes an der Ecke zur Taunusstraße, in dem sich neben Geschäften auch Gastronomie befindet, darunter das von Nr. 44 hierher umgezogene traditionsreiche Café Blum.

Den optischen Abschluss der nördlichen Wilhelmstraße bildete das 2016 abgerissene Hochhaus der R+V Versicherung von 1971. Nach dem Auszug der Versicherung aus dem Gebäude im Jahr 2010 wurden unterschiedliche Planungen zur Gestaltung des sogenannten Kurecks entwickelt, darunter ein einzeln stehender »Campanile« (Stand 2016).

Jedes Jahr am zweiten Juni-Wochenende findet das Wilhelmstraßenfest statt.

Literatur

Bubner, Berthold: Wiesbaden. Baudenkmale und historische Stätten, 2. Aufl., Wiesbaden 1993 [S. 61 ff.].

Köddermann, Alfred: Wiesbadens Prachtstraße im Wandel der Zeiten. Die Wilhelmstraße und ihre Bedeutung für die Weltkurstadt. In: Schmidt-von Rhein, Von Biebrich nach Wiesbaden [S. 225–239].