Internationale Maifestspiele
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Die Maifestspiele, die 1896 erstmals stattfanden, haben eine wechselvolle Geschichte. Sie gelten nach den Bayreuther Wagnerfestspielen (seit 1876) als zweitälteste Festspiele Deutschlands. Ihr Programm umfasste Oper, Schauspiel, Konzerte, Ballett und andere Ereignisse. Eine Konstante bildeten besondere Eigenproduktionen zur Eröffnung der Festspiele.
Die Maifestspiele standen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges ganz im Zeichen der Repräsentation mit Blick auf den häufig in Wiesbaden weilenden Kaiser und ein internationales Publikum. Fast 100 Theateraufführungen sah Wilhelm II. während seiner Aufenthalte in der Stadt. Er besuchte die Festspiele nicht nur als Gast, sondern finanzierte sie vollständig und bestimmte mit Intendant Georg von Hülsen die Programmauswahl. Neben der kaiserlichen Familie waren Adel und Offizierskorps sowie ausländische Kurgäste die Adressaten der »vaterländischen Festspiele« und der gesellschaftlichen Anlässe.
Das Programm wurde anfangs dominiert durch die Hohenzollerndramen Joseph von Lauffs. Im Schauspiel nahmen Victorien Sardous (1831–1908) »Theodora« sowie Schiller, Shakespeare und Hebbel die Spitzenpositionen ein. In der Oper herrschten komische Opern von Albert Lorzing, Otto Nicolai und Carl Maria von Weber vor. In zehn Spielzeiten 1900–14 stand Webers »Oberon« auf dem Programm, gefolgt von Glucks »Armide«. Bemerkenswert ist die große Bedeutung französischer und englischer Opern und Stücke sowie das Fehlen von Richard Wagners Bühnenwerken. Auch der neue Intendant Kurt von Mutzenbecher konnte sich nach 1903 nicht vom Monarchendiktat emanzipieren, galten die Maifestspiele doch als Festspiele »auf kaiserlichen Befehl«. In Presse und Publikumsanerkennung sank das Ansehen der Festspiele, die sich Innovationen versperrten und einen »Plüschkult« pflegten. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Ende der Monarchie gingen auch die Festspiele vorerst unter.
Nach Kriegsende, Inflations- und Besatzungszeit bedurfte es einer neuen Konzeption, die Intendant Paul Bekker vorlegte und programmatisch untermauerte. Bekker setzte auf eigene Ensembleleistung statt teurer Gastengagements bei Oper, Schauspiel und Operette mit Schwerpunkten auf internationalen zeitgenössischen Stücken, experimenteller Oper und der Wiederbelebung selten gespielter Stücke. Sein Ziel war ein möglichst großes Echo auch bei Publikumsschichten, die dem Theater bisher eher fern geblieben waren; ferner sollten sich die Aufführungen auch in den Rezensionen des überregionalen Feuilletons wiederfinden. Trotz großer künstlerischer Erfolge und Uraufführungen machten die Maifestspiele mit ihren Neuerungen keine Furore. Bekkers republikanische Kunstauffassung wurde von der politischen Rechten stark kritisiert, er selbst als Jude diffamiert. Das Theater stand am Pranger und die Wiesbadener Gesellschaft trug weder den künstlerischen Neubeginn noch die hohen Kosten für das dann in »Frühjahrsfestspiele« umbenannte Festival mit. Künstlerisch traten Ernst Kreneks Kurzopern »Der Diktator«, »Das geheime Königreich« und »Schwurgericht« hervor, weiterhin Richard Strauss’ »Ägyptische Helena« und Hans Pfitzners »Palestrina«. Im Schauspiel waren es Stücke von William Somerset Maugham, Arthur Schnitzler und Max Mell. Daneben stellte Bekker Heiteres wie Emmerich Kálmáns »Herzogin von Chicago« oder Walter Brandon Thomas’ (1850–1914) »Charleys Tante«. Bei den Maifestspielopern ragten Werke von Richard Wagner, Giacomo Meyerbeer und Giuseppe Verdi heraus.
Mit dem Weggang Bekkers aus Wiesbaden 1932 und dem Machtantritt der Nationalsozialisten änderte sich die Ausrichtung der Maifestspiele. Um die Festspiele aufzuwerten, wurden Neuinszenierungen in den Mai verlegt. Künstlerisch dominierten bekannte Werke von Goethe, Shakespeare, Mozart, Verdi, Grieg und immer wieder Wagner. Hinzu kamen Werke von NS-Dramatikern wie Hanns Johst (1890–1978), Opern von Hans Pfitzner und eine Vielzahl an Operetten. 1944 reanimierte der Gauleiter die einstigen Repräsentationsfestspiele als »Rhein-Mainische Theatertage«, bei denen die zerbombten Bühnen der Nachbarstädte Inszenierungen als »Leistungsschau des deutschen Theaterwesens« demonstrieren sollten.
Um die Maifestspiele nach dem Zweiten Weltkrieg wiederzubeleben, bedurfte es eines neuen Ansatzes und eines hohen gesellschaftlichen und politischen Engagements. Oberbürgermeister Hans Heinrich Redlhammer und Kämmerer Heinrich Roos fanden im Generalintendanten Heinrich Köhler-Helffrich ihren künstlerischen Leiter, der mit der Einladung von Ensembles aus aller Welt die »Internationalen Maifestspiele Wiesbaden« begründete. Viele Opernensembles gaben in Wiesbaden ihr gefeiertes Nachkriegsdebüt. Unter dem Etikett von Völkerverständigung und Austausch sahen die Wiesbadener bekannte Spitzenproduktionen der Opernhäuser aus Barcelona, Belgrad, Brüssel, London, Paris, Rom, Wien und Zürich. Die Kommune kaufte hochkarätige Produktionen ein und gab einen niedrigen Zuschuss, weil die enorme Kartennachfrage die Kosten beinah deckte. Gefeiert wurde 1953 Köhler-Helffrichs »Oberon«-Produktion, die Wiesbadener liebten ihn für den erneuerten Glanz nach den kargen Nachkriegsjahren.
Der Nachfolger von Köhler-Helffrich, Friedrich Schramm, gab den Interantionalen Maidfestspielen eine moderne Richtung: Leoš Janácˇeks Opern »Aus einem Totenhaus« und »Die Sache Makropoulos«, Hermann Kasacks und Hans Vogts oratorische Oper »Die Stadt hinter dem Strom«, Paul Hindemiths »Mathis der Maler« und Ernst Kreneks »Karl V.« begeisterten das Feuilleton, vertrieben jedoch die an die Klassiker gewohnten Zuschauer. Gegen Ende von Schramms Intendanz erschien das Programm beliebig, Zuschauerzahlen und Einnahmen stagnierten. Mit Claus Helmut Drese kam 1963 ein weiterer Reformer nach Wiesbaden, der den Festspielen eine neue Programmatik gab. Ausgehend von den seit 1953 bestehenden engen Beziehungen zur Belgrader Oper präsentierten sich die Internationalen Maifestspiele mit Ensembles aus Warschau, Prag, Budapest, Leningrad und Moskau als Schaufenster des Ostens. Sie sollten die wichtigsten Opern ihres Landes zeigen und neue, international vorzeigbare Stücke präsentieren. Auf der »Drehscheibe der Völkerverständigung« gelangten günstige und opulente Gastproduktionen nach Wiesbaden, die man andernorts sehr selten zu sehen bekam. Neben dieser »kulturellen Ostpolitik« etablierte Drese das Ballett als wichtigen Teil der Festspiele. Zum Shakespearejahr 1964 kamen aus Bristol das Old Vic Theatre mit »Der Liebesverlust« und »Heinrich V.«, aus Paris die Comédie Française mit »Hamlet«, die Münchener Kammeroper mit »Othello« und das Berliner Schillertheater mit »Der Widerspenstigen Zähmung« zu den Internationalen Maifestspielen. Hinzu kamen Inszenierungen des Wiesbadener Theaters.
Die Zuschauerzahlen wie auch die Anerkennung für die Internationalen Maifestspiele stiegen. Alfred Erich Sistig setzte ab 1969 die breit gefächerte Gastspieltradition fort mit dem Slowakischen Nationaltheater Bratislava (Pressburg), der Staatsoper Bukarest und erneut der Sofioter, Budapester und Prager Staatsoper sowie dem Moskauer Bolschoitheater. In dieser Zeit prägten Imre Keres die Ballettproduktionen des Staatstheaters und Dr. Rainer Antoine die Schauspielsparte; Antoine pflegte insbesondere den Austausch mit dem Autor Peter Hacks (1928–2003). In dieser Phase wurden zahlreiche Festspielaufführungen im Fernsehen übertragen. Aufgrund von Sanierung und Umbau des Staatstheaters 1975–78 waren die Möglichkeiten des neuen Intendanten Peter Ebert (1918–2012) beschränkt.
Nach einem Jahr ohne Festspiele nahm Christoph Groszer 1978 die Geschicke von Staatstheater und Internationalen Maifestspielen in die Hand und nannte sie »Internationale Festliche Tage«, die sich bis in den November erstreckten. Kritik an den Internationalen Maifestspielen gab es nicht nur aus der linksalternativen Szene, die »Alternative Maifestspiele« veranstaltete, auch die Stadtkasse limitierte den Einkauf renommierter Produktionen. Das Jahr 1987 bedeutete einen Neuansatz. Wenn es Internationale Maifestspiele geben sollte, dann wieder mit mehr Gästen und prominenterer Besetzung, lautete die Forderung des Intendanten Claus Leininger. Nach langer Zeit gastierten wieder das Bolschoitheater, die ungarische Nationaloper, die Genfer Oper und die Münchner Kammerspiele. Möglich wurde die Ausweitung des Programms durch höhere städtische Zuschüsse, initiiert durch Oberbürgermeister Achim Exner. Einen Höhepunkt bildeten die Einheitsfestspiele 1990 mit zahlreichen Ensembles aus Ostdeutschland und Osteuropa. Auch unter Achim Thorwald und Manfred Beilharz blieben die Festspiele der Internationalität treu.
In seiner überregionalen Bekanntheit und musikalischen Bedeutung hat das Rheingau Musik Festival seit 1988 die Internationalen Maifestspiele in mancherlei Hinsicht abgelöst, sie bieten den regionalen Besuchern jedoch noch immer Welttheater auf heimischer Bühne.
Literatur
Haddenhorst, Gerda: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, Wiesbaden 1985 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 36).
Stephanie Kleiner: Staatsaktion im Wunderland. Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930), München 2013.
Holger R. Stunz: Die Welt zu Gast in Wiesbaden. Die Internationalen Maifestspiele 1950–1968, Frankfurt am Main 2008.