Roos, Heinrich
Roos, Heinrich
Stadtkämmerer
geboren: 21.12.1906 in Wiesbaden
gestorben: 30.10.1988 in Wiesbaden
Artikel
Heinrich Roos war schon als Schüler politisch interessiert und engagierte sich in einer der „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) nahe stehenden Jugendorganisation. Mitte der 1920er-Jahre trat er dann der DDP bei. Des Weiteren war er Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und im Republikanischen Studentenbund.
Nach dem Abitur nahm er ein Studium an der Universität in Frankfurt am Main auf. Das konnte er jedoch nicht zu Ende bringen, weil er aufgrund seiner zahlreichen, der Universitätsverwaltung missliebigen politischen Aktivitäten schon vor 1933 der Hochschule verwiesen wurde. Daraufhin nahm er eine Stelle beim Steueramt der Stadtverwaltung Wiesbaden an.
Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erfolgte Roos‘ Entlassung aus dem öffentlichen Dienst. Dagegen klagte er und erreichte, dass er rund eineinhalb Jahre später wieder eingestellt werden musste.
Roos, der als „nicht kriegsverwendungsfähig“ galt, war dann bis 1945 im Steueramt Wiesbaden tätig. Als überzeugter Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft leistete er – so gut es ging – Widerstand. Er half Juden, die aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gezwungen waren, das Reich zu verlassen, ihre Häuser und Geschäfte zu einem möglichst fairen Preis zu verkaufen.
Ferner bemühte er sich, anderweitig in politische Bedrängnis geratene Personen vor bevorstehenden Aktionen der NS-Behörden zu warnen oder sie, sofern sie in wirtschaftliche Not geraten waren, materiell zu unterstützen. Das gelang nur, weil Roos gute Kontakte zu diversen überzeugten Gegnern der nationalsozialistischen Herrschaft unterhielt, die ihn in unterschiedlicher Weise bei seinen Aktionen unterstützten. Dazu gehörten beispielsweise der Erbenheimer Landwirt Wilhelm Steiger oder die Kaufleute Konrad Reeh und Ludwig Schwenck, die Obst und Gemüse, Lebensmittelkarten oder Wäsche an Verfolgte lieferten. Hinzu kamen Männer wie der Telegrafeninspektor Karl Schneider, der Roos über bevorstehende Telefonabhöraktionen informierte, oder der Kriminalkommissar Werner van Look, der vor Maßnahmen der Gestapo warnte.
Zu dem Kreis um Roos zählten darüber hinaus der Sozialdemokrat und spätere Regierungspräsident Martin Nischalke, der kommunistische Maler Adolf Noetzel (Noetzel, Ehepaar), der Nervenarzt Dr. Friedrich Mörchen sowie der KPD-Funktionär Andreas Hoevel (Hoevel, Ehepaar). Obwohl die „Kette“, wie Roos seine Gruppe nannte, als solche nie enttarnt wurde, weil sie relativ unauffällig agierte und weder herausragende politische Pläne entwickelte noch sie umzusetzen versuchte, kamen im Laufe der Jahre doch viele ihrer „Glieder“ ins Gefängnis, ins Konzentrationslager oder ums Leben.
Als dann am 28. März 1945 die Amerikaner in Wiesbaden einmarschierten, entschloss sich Roos, ab sofort wieder öffentlich für seine demokratische politische Überzeugung einzutreten. Die Zeit des erzwungenen Wirkens im Verborgenen war vorüber. Gemeinsam mit jenen, die schon in den vergangenen 12 Jahren mit ihm zusammengearbeitet hatten, traf er sich am Nachmittag dieses 28. März 1945 in seinem Büro, um das weitere politische Vorgehen zu besprechen.
Als Konsequenz daraus erfolgte am nächsten Tag die Gründung des Aufbau-Ausschusses Wiesbaden. Dieser verstand sich als Interessenvertretung aller „antinationalsozialistischen Kräfte“, die für den demokratischen Wiederaufbau Sorge tragen sollten. Der Wiederaufbau musste zunächst im Kleinen beginnen, also im kommunalen Bereich. Aus diesem Grund kümmerten sich die Ausschuss-Mitglieder zunächst um die demokratische Reorganisation der Stadtverwaltung. Daneben ging es aber auch um die Wiederbelebung der politischen Parteien.
Obwohl Roos lange Jahre hindurch liberale Überzeugungen vertreten hatte, konnte er sich 1945 nicht entschließen, an der Neu- oder Wiederbegründung einer liberalen Partei mitzuwirken. Stattdessen beteiligte er sich an der Entstehung einer Partei, die konservativ-christliche Vorstellungen vertrat, nämlich die am 28. September 1945 lizenzierte Christlich Demokratische Partei (CDP). Für die CDP, die zum Jahreswechsel 1945/46 in Christlich Demokratische Union (CDU) umbenannt wurde, fungierte er vom 1. Mai 1945 bis zum 12. August 1946 als Stadtrat. Anschließend erfolgte seine Ernennung zum Stadtkämmerer. Dieses Amt bekleidete er bis zu seiner Zurruhesetzung am 9. Juli 1954.
Literatur
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Bembenek, Lothar und Ulrich, Axel
Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933–1945. Eine Dokumentation. Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden – Stadtarchiv (Hrsg.), Gießen 1990.
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Brüchert-Schunk, Hedwig
Beispiele bürgerlichen Widerstandes in Hessen: Der Freundeskreis Heinrich Roos in Wiesbaden und der Kaufmann-Will-Kreis in Gießen. In: Knigge-Tesche, Renate; Ulrich, Axel (Hrsg): Verfolgung und Widerstand 1933-1945 in Hessen. Frankfurt am Main 1996. (S. 508-524)
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Riedle, Peter Joachim (Hrsg.)
Wiesbaden und der 20. Juli 1944. Beiträge von Gerhard Beier, Lothar Bembenek, Rolf Faber, Peter M. Kaiser und Axel Ulrich. Schriftenreihe des Stadtarchivs Wiesbaden, Band 5, Wiesbaden 1996.
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Ulrich, Axel
Politischer Widerstand gegen das „Dritte Reich“ im Rhein-Main-Gebiet, Wiesbaden 2008. (S. 175-178)