Widerstand gegen das NS-Regime
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Die seit Ende der 1920er-Jahre unablässig bedrohlicher angewachsene NS-Bewegung war vor allem von den Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung mit immer größerem Nachdruck, doch am Ende vergeblich bekämpft worden. Zwar viel seltener, aber durchaus mit mitunter ebenfalls recht deutlichen Worten hatten sich seinerzeit auch Vertreter des Bürgertums und insbesondere solche aus dem Bereich des Katholizismus klar antinazistisch positioniert. In Wiesbaden wie vielerorts haben sich einige von ihnen schließlich sogar an den großen Protestmanifestationen der beiden sozialdemokratisch dominierten Republikschutzorganisationen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Eiserne Front gegen die Machtübertragung an Hitler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30.01.1933 und in den Tagen danach beteiligt.
Die Kommunisten haben hiergegen gleichfalls mehrere Massenaufmärsche und -kundgebungen durchgeführt, vermochten damit aber über ihr eigenes politisches Lager hinaus keinerlei Ausstrahlungskraft zu entfalten. Die von SPD und KPD zu jener Zeit gleichermaßen propagierte antifaschistische Einheitsfront scheiterte an der abgrundtiefen politisch-ideologischen Zerstrittenheit jener beiden Linksparteien. So haben die Kommunisten die Sozialdemokraten fortwährend als »Sozialfaschisten« und »Arbeiterverräter« attackiert, während Erstere von den Rednern und Publizisten der SPD als »Nazi-Kozis« nicht weniger hart angegangen worden sind. Durch deren fortwährende Zurückweisung ihrer dauernd an SPD, Eiserne Front und sozialdemokratische Gewerkschaften gerichteten Generalstreikforderungen hat sich die KPD in ihrer dezidiert antisozialdemokratischen Animosität dann nur bestätigt gesehen.
Im Frühjahr 1933 haben sich große Teile des bürgerlichen Lagers, welche der Demokratie bis dahin schon zunehmend mit Skepsis oder gar mit Ablehnung begegneten bzw. von dieser inzwischen maßlos enttäuscht waren, dem Kurs der neuen Machthaber weiter angenähert. Hierbei spielte auch eine stark ausgeprägte Furcht vor einer vermeintlich drohenden bolschewistischen Revolution eine beträchtliche Rolle. Am 23.03. votierten die konservativen und liberalen Parteien im Reichstag jedenfalls allesamt für das »Ermächtigungsgesetz« Hitlers und erteilten somit der Errichtung seiner Diktatur ihre Zustimmung. Versagt haben sich dem lediglich die sozialdemokratischen Parlamentarier, darunter der vormalige SPD-Parteisekretär und Stadtverordnete sowie seinerzeitige Landesrat bei der Provinzialverwaltung in Wiesbaden und stellvertretende preußische Bevollmächtigte zum Reichsrat Otto Witte. Der KPD-Reichstagsabgeordnete für denselben Wahlkreis 19 Hessen-Nassau, der Generalsekretär der Internationalen Arbeiterhilfe sowie Chefpropagandist der Kommunistischen Internationale Willi Münzenberg war dagegen sofort nach dem Reichstagsbrand vom 27.02. von Frankfurt aus über Mainz nach Saarbrücken geflüchtet, um sodann seinen publizistisch-propagandistischen Kampf gegen den NS-Faschismus von Paris aus fortzusetzen.
Alle anderen kommunistischen Reichstagsmitglieder hatten an dieser Abstimmung gleichermaßen nicht mehr teilnehmen können, da ihre Mandate sämtlich annulliert worden waren und sie außerdem entweder ebenfalls flüchtig oder bereits inhaftiert gewesen sind. Dies galt genauso für gut ein Fünftel der sozialdemokratischen Parlamentarier, so z. B. für die aus einem jüdischen Elternhaus in Biebrich am Rhein stammende Dresden-Bautzener Reichstagsabgeordnete Toni Sender, die noch am 05.03., dem Tag der Reichstagswahl, völlig mittellos zunächst in die Tschechoslowakei und wenig später nach Belgien geflohen war, um Ende 1935 dann für immer in die USA zu emigrieren.
Wie überall in Deutschland tobte sich seit 1933 auch in Wiesbaden ein in seiner Brutalität und Rigorosität bis dahin kaum für möglich gehaltener NS-Terror gegen die Funktionäre und Aktivisten sowie Einrichtungen der Arbeiterparteien wie auch der Gewerkschaften aus. Die anfänglich noch nicht gleichgeschaltete Presse war in den ersten Monaten der Hitler-Herrschaft voll von Berichten über hinterhältige, meist bewaffnete Nazi-Überfälle auf politische Gegner, wobei oftmals Verletzte und sogar Schwerverletzte zu beklagen waren. Immer wieder wurden die Wohnungen stadtbekannter SPD- und KPD-Mitglieder heimgesucht. Viele von ihnen wurden aus ihren kommunalen und auch sonstigen Beschäftigungsverhältnissen entlassen. Kurz vor der letzten Reichstagswahl sind zahlreiche Kommunisten, unter ihnen der Stadtverordnete Paul Krüger, im Polizeigefängnis eingesperrt worden, bis sie durch einen einwöchigen Hungerstreik ihre Freilassung erwirken konnten. Das Büro der KPD ist geschlossen, ihre Presse verboten worden, desgleichen durfte sie keine Veranstaltungen mehr durchführen. Die SPD war in dieser Hinsicht alsbald genauso mundtot gemacht.
Das Fabrikarbeiterheim in der Mainzer Straße und auch das Gewerkschaftshaus in der Wellritzstraße wurden von SA-Leuten und Mitgliedern der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation besetzt, durchsucht und demoliert, Letzteres am 02.05. zum dritten Mal, nämlich im Zuge der reichsweiten Zerschlagungsaktion gegen die gesamte sozialdemokratisch ausgerichtete Gewerkschaftsbewegung.
Am 24.03. war auf den SPD-Stadtverordneten, Gewerkschaftssekretär sowie lokalen Anführer von Reichsbanner und Eiserner Front Konrad Arndt ein Messerattentat verübt worden, das dieser schwer verletzt überlebt hatte. Otto Witte sah sich zur gleichen Zeit offenen Morddrohungen ausgesetzt, während der jüdische Milchhändler und SPD-Kassierer Max Kassel am 22.04. in seiner Wohnung in der Webergasse 46 erschossen worden ist. Am 16.05. wurde Otto Quarch auf der Flucht vor SS-Leuten angeschossen, was vier Tage später seinen Tod zur Folge hatte. Dutzende von Arbeiterfunktionären wurden in die eilends in der einstigen Münze am Luisenplatz eingerichtete Haftstätte der SA bzw. in deren Prügelkeller in der Lessingstraße verschleppt. Dort wurde am 19.08. jenes Jahres der Kommunist Karl Müller erschossen, da auch er angeblich einen Fluchtversuch unternommen hatte.
Nach dem Betätigungsverbot, das die SPD am 22.06.1933 ereilte, sowie dem am 14.07. folgenden Parteiverbot konnten mehrere sozialdemokratische Gruppierungen einen gewissen politischen Zusammenhalt unter Beachtung konspirativer Regeln dennoch weiter aufrechterhalten. In der ersten Zeit wurde hierzu noch ein Vertriebsnetz für antinazistisches Schriftgut organisiert, vor allem für das neue Parteiorgan »Sozialistische Aktion«, welches vom nach Prag ausgewichenen Parteivorstand bezogen wurde. Aber schon im Herbst 1935 sind Georg Feller und Albert Markloff, die seit dem Frühjahr 1934 den lokalen Reichsbanner-Widerstand organisiert hatten, im Zuge einer großangelegten Verhaftungsaktion gegen den illegalen SPD-Bezirk Hessen-Nassau ergriffen worden, von der im gesamten Rhein-Main- Gebiet über 120 Sozialdemokraten betroffen gewesen sind. Da beide während der Verhöre standgehalten haben, sind die etwa 50 Gesinnungsfreunde, die mit ihnen in Wiesbaden verbunden gewesen sind, unentdeckt geblieben. Anfang 1936 wurde Feller zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, nach deren Verbüßung er bis Mitte 1940 im KZ Buchenwald inhaftiert blieb. Markloff musste für zwei Jahre ins Zuchthaus.
Die von Max Meinhold in seinem Tabakwarenladen in der Bleichstraße unterhaltene illegale Geldsammelstelle der SPD zur Unterstützung politisch Verfolgter bzw. ihrer Angehörigen wurde bis zum Ende des »Dritten Reiches« nicht enttarnt. Eine seit 1933 zumeist aus einstigen Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend bestehende, anfänglich noch 30- bis 40-köpfige Widerstandsgruppe um Georg Buch hatte sich recht bald nahezu komplett nach außen hin abgeschottet, weshalb sie von der Gestapo erst Anfang 1941 nach einer anonymen Anzeige zerschlagen wurde. Dagegen sind auch die von 1934–41 durchgeführten oppositionellen Zusammenkünfte und Wanderungen der Naturfreunde niemals aufgedeckt worden. Gleiches gilt für den vom früheren Wormser Polizeidirektor Heinrich Maschmeyer angeleiteten konspirativen Wiesbadener Stützpunkt im Rahmen von Wilhelm Leuschners reichsweitem antinazistischen Vertrauensleutenetzwerk zur zivilen Flankierung des von oppositionellen Militärs dann am 20. Juli 1944 versuchten Umsturzes.
Genauso ist die zur personellen Verbreiterung jener schließlich außerordentlich weit verzweigten zivilen Widerstandsstruktur wohl 1943 erfolgte Wiesbadener Kontaktaufnahme von Prof. Dr. Adolf Reichwein mit dem einstigen Junglehrerobmann des aufgelösten Preußischen Lehrervereins Walter Jude unbemerkt geblieben, desgleichen das Faktum, dass der vormalige Volksschullehrer und Volkshochschulleiter Johannes Maaß hierorts trotz Schreibverbotes schon seit dem Vorjahr umfangreiche reformpädagogische Konzeptionen für die Zeit nach Hitler erarbeitete.
Die Kommunisten wähnten sich zu Beginn des »Dritten Reiches« in einer vorrevolutionären Situation und setzten deshalb zunächst auf einen äußerst verlustreichen Massenwiderstand. Neben reinen, in der Regel erst nach dem Fünfer-, späterhin nach dem Dreiergruppenprinzip konspirativ aufgebauten Parteigruppen bestanden auch solche der Nebenorganisationen Rote Hilfe und Kommunistischer Jugendverband. Außerdem wirkten in etlichen Wiesbadener Unternehmen kleinere KPD-Betriebsgruppen, so z. B. in der Firma Kalle, bei den Chemischen Werken Albert, in der Maschinenfabrik Wiesbaden und auch bei der Deutschen Reichspost.
Die politische Anleitung der Wiesbadener KPD erfolgte durch die von Frankfurt aus operierende Bezirksleitung. Von dieser wurden bald auch die zentralen und regionalen antinazistischen Propagandamaterialien bezogen, nachdem entsprechende Flugblätter und Zeitungen anfänglich hierorts noch selbst hektographiert worden waren. Durch Verhaftungsschläge in Serie kam der kommunistische Widerstand jedoch in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre fast völlig zum Erliegen. Manche Wiesbadener Kommunisten, die vor den Nazis ins Ausland geflüchtet waren, so z. B. Günther Berkhahn, Heinrich Ofenloch, Hans Thamerus und Paul Schmiedel, kämpften zu jener Zeit als Freiwillige in den Reihen der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Franco-Faschismus. Der dort von 1937 bis Anfang 1939 als Geschützführer eingesetzte Anton Lindner fiel schließlich an Pfingsten 1944 als Mitglied der gaullistischen Partisaneneinheit »Bir Hakeim« bei einem opferreichen Gefecht gegen Wehrmachtsoldaten in Hures-la-Parade in Südfrankreich.
Die wohl bekannteste lokale Widerstandsstruktur der KPD war die Hoevel-Noetzel-Gruppe. Diese hat sich erst 1938 gebildet und seitdem konspirative Kontakte in den Rheingau, nach Koblenz und bis ins Ruhrgebiet realisiert, wobei auch zu einigen Wehrmachtsangehörigen Verbindungen geknüpft werden konnten. Ende 1941 festgenommen, wurden Andreas und Anneliese Hoevel, beide vormalige Spitzenfunktionäre des KPD-Bezirks Hessen-Frankfurt, am 26.06.1942 zum Tode verurteilt und am 28.08. desselben Jahres in der Strafanstalt Frankfurt-Preungesheim hingerichtet. Margarethe Noetzel ist mit einer sechsjährigen Zuchthausstrafe davongekommen. Auch einige andere Mitglieder der Gruppe sind zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Adolf Noetzel wurde am 06.12.1941 im Anschluss an fürchterliche Folterungen in seiner Zelle im Wiesbadener Polizeigefängnis erhängt aufgefunden.
Während des Krieges sind wiederum in mehreren Betrieben kommunistische Kleinstgruppen aktiv gewesen, die den dort gleichfalls eingesetzten ausländischen Zwangsarbeitskräften und Kriegsgefangenen Unterstützung zukommen ließen, wann immer sich eine Möglichkeit dazu bot. Der im Frühjahr 1945 begründete Aufbau-Ausschuss, der sich explizit als Vertretung aller antinationalsozialistischen Kräfte der Stadt verstand, wurzelte in einer ebenfalls parteiübergreifenden, gleichwohl liberaldemokratisch dominierten Widerstandsgruppe um den im Übrigen damals mit Adolf Noetzel und Andreas Hoevel befreundeten späteren CDU-Stadtkämmerer Heinrich Roos. Es handelte sich dabei um eine mehr als 30 NS-Gegner zählende Gesinnungsgemeinschaft, die keinerlei antinazistische Propagandaaktivitäten entfaltete, sondern sich vor allem der Beschaffung und Diskussion unterdrückter Nachrichten sowie der Unterstützung Verfolgter widmete, nicht zuletzt von jüdischen Menschen in Not. Der Kriminalkommissar Werner van Look und der Telegrapheninspektor Karl Schneider ließen der Gruppe beharrlich Warnungen vor drohenden Nachstellungen durch die Gestapo zukommen.
Über mehrere Personen, darunter die nachmaligen CDU-Politiker Ferdinand Grün und Erich Zimmermann, bestanden indirekte informelle Verbindungen sogar zum zivilen Flügel der den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 vorbereitenden Widerstandsbewegung. So war die während der NS-Zeit namenlos gebliebene Solidargemeinschaft über Mittelsleute auch mit Heinrich Maschmeyer und seinen Wiesbadener SPD-Genossen vernetzt. Der Kaufmann Ludwig Schwenck unterhielt zudem durch konspirativ verschlüsselte Korrespondenzen Kontakt mit Hauptmann Hermann Kaiser in Berlin. Auch dieser deutlich bürgerlich geprägte Widerstandskreis mit weiteren Verbindungen auch zur kirchlichen Opposition sowie zu einigen anderen Vertretern des Arbeiterwiderstandes wurde von der Gestapo niemals aufgespürt.
Viele bürgerliche, mit der Zeit aber auch zunehmend sozialdemokratische und dann sogar kommunistische NS-Gegner suchten in jenen Jahren Trost und mentale Aufrichtung beim Besuch der Gottesdienste und anderer Veranstaltungen regimekritischer Pfarrer beider Großkirchen. Besonderen Zulauf genoss im Bereich des Protestantismus die oppositionelle »Bekennende Kirche«, der in Wiesbaden mindestens mehrere hundert Gläubige angehörten. Nicht wenige ihrer Pfarrer und Laien wurden vom kirchenfeindlichen Unterdrückungsregime unnachgiebig verfolgt.
Ein besonders tragisches Beispiel hierfür ist der entschieden nationalkonservativ eingestellte Rechtsbeistand der Wiesbadener Bekenntnisgemeinden Dr. Hans Buttersack, der vermutlich am 13.02.1945 im KZ Dachau ums Leben gekommen ist. Auch viele katholische Geistliche und Gemeindemitglieder wurden trotz des am 20.07.1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich abgeschlossenen Konkordats auf nicht selten drakonische Weise belangt. Ähnlich gilt dies für die seit Mitte 1933 verbotene kleine Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, deren Mitglieder den Hitler-Gruß, die Betätigung im Rahmen von NS-Organisationen sowie den Militärdienst konsequent verweigerten, was gleichfalls mit oftmals härtesten Strafen geahndet wurde.
Bestimmte Formen nichtangepassten bzw. widerständigen Verhaltens zeigten sich des Weiteren im jugendkulturellen Bereich. Hierzu zählten vor allem mehrere Gruppen des bürgerlich geprägten Nerother Wandervogelbundes, deren Aktivitäten aber erst einige Jahre nach seiner Mitte 1933 erfolgten offiziellen Selbstauflösung infolge polizeilicher wie strafrechtlicher Verfolgungsmaßnahmen zum Erliegen kamen. Auch die sogenannte Swing-Jugend wurde während des »Dritten Reiches« als angebliche »Verwahrlosungserscheinung« massiv bekämpft. Anhänger des Swing schlossen sich zum Hot Club Wiesbaden zusammen und trafen sich bis in die Kriegsjahre hinein bevorzugt auf dem Mauritiusplatz sowie im Park-Café. Wiederholt wurden sie mit Gewalt in die Gestapo-Zentrale in der Paulinenstraße verbracht, um sie dort zu drangsalieren bzw. mit einem »ordentlichen deutschen Haarschnitt« zu versehen.
Außerdem kam es aus dem Bereich des Bürgertums wie aus dem der Arbeiterparteien verschiedentlich zu individuellen Hilfeleistungen für politisch, religiös und rassistisch Verfolgte, wofür hier nur einige Beispiele genannt werden können: So beschützten die beiden Albert-Direktoren Dr. August Amann und Hermann Glock Belegschaftsmitglieder, die wegen ihrer gemeinhin bekannten sozialdemokratischen Gesinnung gefährdet waren. Der Kommunist Rudi Leitem war an zwei erfolgreichen Rettungsaktionen für wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgte Frauen beteiligt. Naftali und Sofia Rottenberg, die erst nach ihrer Eheschließung zum Judentum übergetreten war, verdankten ihr Überleben dem mit ihnen verwandten nichtjüdischen Ehepaar Ria und Theo Bach, das sie bis Kriegsende vor der Gestapo versteckte. Und Elisabeth Ritter, die damalige Ehefrau des Besitzers des gleichnamigen Ausflugscafés im Bereich »Unter den Eichen«, hat zusammen mit ihrem späteren Ehemann Josef Speck den Häftlingen des benachbarten KZ-Außenkommandos des SS-Sonderlagers Hinzert mehrfach überlebenswichtige Unterstützung verschiedenerlei Art angedeihen lassen.
Zwei weitere dem Wiesbadener Bürgertum entstammende Regimegegner waren in Berlin an führender Stelle an den militärischen und politischen Vorbereitungen des Umsturzvorhabens vom 20. Juli 1944 beteiligt, und zwar der ehemalige Generalstabschef des Heeres Generaloberst a. D. Ludwig Beck, der von den Verschwörern als Staatsoberhaupt der von ihnen geplanten nichtnazistischen Reichsregierung vorgesehen war, sowie Hauptmann Hermann Kaiser, der womöglich Staatssekretär im neuen Kultusministerium geworden wäre. Mit beiden stand der als Kurier zwischen den Widerstandskreisen an der Front und solchen im Heimatheer fungierende Oberleutnant Dr. Fabian von Schlabrendorff in Verbindung, der zudem am berühmten Attentatsversuch auf Hitler am 13.03.1943 in Smolensk beteiligt gewesen ist.
Während Schlabrendorff mit knapper Not mit dem Leben davonkam, wurde der in der Reichshauptstadt ebenfalls in die »20. Juli«-Vorbereitungen eingebundene Rechtswissenschaftler Dr. Hans John, der vordem der kleinen Wiesbadener Ortsgruppe des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller angehört hatte, kurz vor Kriegsende von einem Exekutionskommando der SS erschossen. Seinem mehr noch als dieser involvierten Bruder, dem als Syndikus in der Hauptverwaltung der Deutschen Lufthansa beschäftigten Dr. Otto John ist dagegen schon am 24.07.1944 die Flucht aus Berlin über die Iberische Halbinsel nach Großbritannien geglückt.
Im Stellvertretenden Generalkommando XII Wiesbaden selbst soll außer dem Chef des Generalstabes Generalmajor Erwin Gerlach mindestens der Kern der sogenannten Führerreserve in die Staatsstreichvorbereitungen eingeweiht gewesen sein. Nach dem Scheitern des Umsturzunternehmens ist es auch hier, wie gleicherweise Zeitzeugen berichtet haben, zu mehreren standrechtlichen Erschießungen gekommen. Außerdem haben manche jener Personen das »Dritte Reich« nicht überlebt, die im Sommer 1944 auch in Wiesbaden im Zuge der gegen frühere Funktionsträger von SPD, KPD, Zentrum und Gewerkschaften gerichteten reichsweiten Festnahmeaktion »Gewitter« bzw. »Gitter« verhaftet und anschließend zumeist ins KZ Dachau verbracht worden waren.
In den letzten Kriegsmonaten hat in mehreren Städten des Rhein-Main-Gebietes ein sogenanntes Illegales Komitee zur schnellen Beendigung des Krieges durch Wandparolen auf sich aufmerksam gemacht, das mit entflohenen und dann untergetauchten Kriegsgefangenen kooperiert hatte und über eine konspirative Regionalzentrale in Wiesbaden verfügt haben soll. Hiermit sicherlich nicht, wohl aber mit Heinrich Roos und einigen seiner Freunde in Verbindungen gestanden haben verschiedene führende Persönlichkeiten aus der Stadtverwaltung, die in enger Kooperation mit dem Wehrbezirkskommandeur und letzten Kampfkommandanten Wiesbadens Oberst Wilhelm Karl Zierenberg die Durchführung der NS-Zerstörungs- und Räumungsbefehle vereitelten, welche mit Sicherheit noch viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hätten.
Dem couragierten Handeln dieser Bürger, darunter Verwaltungsrat Fritz Reeg, der damalige Stadtkämmerer Dr. Gustav Heß, Generaldirektor Christian Bücher und Direktor Dr. Carl Stempelmann von der Stadtwerke Wiesbaden AG, die damit Kopf und Kragen riskiert hatten, war es zu verdanken, dass die Stadt wenige Tage später weitgehend unzerstört der US-Army übergeben werden konnte.
Literatur
Bembenek, Lothar/Ulrich, Axel: Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933–1945. Eine Dokumentation. Hrsg.: Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden – Stadtarchiv, Gießen 1990.
Wahrheit und Bekenntnis. Kirchenkampf in Wiesbaden 1933–1945. Hrsg.: Geißler, Hermann Otto/Grunwald, Klaus-Dieter/Rink, Sigurd/ Töpelmann, Roger, Wiesbaden 2014 (Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden 12).
Materialsammlung Axel Ulrich zu Wiesbadener NS-Gegnern im Zusammenhang mit dem »20. Juli 1944«, Stadtarchiv Wiesbaden.
Maul, Bärbel/Ulrich, Axel: Das Wiesbadener Außenkommando »Unter den Eichen« des SS-Sonderlagers/KZ Hinzert. Hrsg.: Landeshauptstadt Wiesbaden – Kulturamt/Stadtarchiv, Wiesbaden 2014.
Wiesbaden und der 20. Juli 1944 (mit Beiträgen von Gerhard Beier, Lothar Bembenek, Rolf Faber, Peter M. Kaiser und Axel Ulrich). Hrsg.: Riedle, Peter Joachim, Wiesbaden 1996 (Schriften des Stadtarchivs Wiesbaden 5).
Ulrich, Axel: Trotz alledem – der 1. Mai blieb rot. Zur Geschichte des 1. Mai in Wiesbaden während der Illegalität 1933–1945. DGB Kreis Wiesbaden–Rheingau/Taunus (Hrsg.), Wiesbaden 1985.