Ritter, Elisabeth (gen. Else), geb. Ott, später verehel. Speck
Ritter, Elisabeth (gen. Else), geb. Ott, später verehel. Speck
Gastwirtin
geboren: 27.10.1900 in Mutzig (Elsass)
gestorben: 07.06.1986 in Wiesbaden
Artikel
Zusammen mit Emil Ritter, ihrem ersten Ehemann, hatte Ritter von dessen 1925 verstorbenen Vater das Unter den Eichen befindliche gleichnamige Lokal übernommen, welches unter beider Leitung ein weithin überaus beliebtes Ausflugsziel blieb.
1944 ließ die SS in dessen unmittelbarer Nachbarschaft durch Inhaftierte des Wiesbadener Polizeigefängnisses fünf Holzbaracken errichten, die mit Stacheldraht vom sonstigen Areal abgetrennt wurden. Dort wurden seit dem März jenes Jahres aus dem SS-Sonderlager Hinzert im Hunsrück hierher abkommandierte politische Häftlinge interniert. Diese mussten vor Ort für die SS bzw. für die Polizei neue Unterkünfte sowie Bunker errichten. Auch auf dem Flugplatz Erbenheim, in diversen hiesigen Betrieben und Privathaushalten sowie zur Trümmerbeseitigung nach Luftangriffen wurden sie eingesetzt. Dreiviertel der maximal 100 Gefangenen des kleinen KZ-Außenkommandos stammten aus Luxemburg. Die übrigen kamen aus den Niederlanden und Frankreich, und auch ein Belgier und ein Deutscher waren darunter.
In ihrem Café und Restaurant beschäftigten die Ritters 1944/45 zwei luxemburgische KZ-Häftlinge. Wiederholt durften diese, als sich die Versorgungssituation ihrer Kameraden zunehmend verschlechterte, in der Küche nicht mehr verwertbare Lebensmittel und Speisereste zur Aufbesserung der kargen Häftlingskost ins Lager schmuggeln. Auch für den unzensierten Austausch von Briefen mit deren Familienangehörigen sorgte Ritter. Verschiedentlich ermöglichte sie es zudem aus Luxemburg angereisten Ehefrauen, mit ihren hier inhaftierten Männern heimlich Gesprächskontakt aufzunehmen, und zwar von der Damentoilette ihres Lokals aus, welche rückseitig unmittelbar an das Lager angrenzte. Überdies organisierte sie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis Medikamente für die KZler. Und in den letzten Tagen vor dem Einmarsch der US-Kampftruppen in Wiesbaden versteckte und verpflegte die couragierte Gastronomin ungeachtet der ihr hierfür drohenden drakonischen Bestrafung sogar einige entflohene Luxemburger, welche eigentlich zusammen mit ihren Kameraden zur Erschießung in Frankfurt-Heddernheim vorgesehen waren.
Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 28.03.1945 besorgte Ritter den in Wiesbaden zurückgebliebenen bzw. den von ihrem »Evakuierungsmarsch« nach Osten bzw. dann Nordosten wieder hierher zurückgekommenen Luxemburgern Bändchen in den Nationalfarben ihres Heimatlandes, die sich diese sogleich als Zeichen ihrer Befreiung ans Revers hefteten, nachdem sie ihre Kennzeichen als politische KZ-Häftlinge entfernt hatten. Dem mit den Eheleuten Ritter befreundeten damaligen Hattenheimer Busunternehmer Josef Speck bescheinigte der Lagerälteste Nicolas Braun Ende März 1945, dass dieser die Luxemburger nicht etwa »als Gefangene, sondern als Freunde und Kameraden behandelt« und ihnen »so viel wie möglich geholfen« habe.
Ritter wurde für ihre solidarischen Bemühungen um die KZ-Häftlinge vom Großherzogtum Luxemburg eine entsprechende Urkunde ausgestellt. Mit etlichen von ihnen konnte sie durch wechselseitige Besuche einen freundschaftlichen Kontakt aufrechterhalten.
Nachdem die Amerikaner die von ihnen 1945 beschlagnahmte Gastwirtschaft drei Jahre darauf wieder freigegeben hatten, wurde diese von Ritter noch zehn Jahre lang bewirtschaftet. Viereinhalb Jahre nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete sie 1958 Josef Speck, der 1980 ebenfalls hier verstarb.
Ihren Lebensabend verbrachte sie im Haus Götz an der Sonnenberger Straße, einem evangelischen Altenheim. Beigesetzt wurde sie auf dem Nordfriedhof. Im Stadtarchiv Wiesbaden befindet sich eine Materialsammlung zu Ritter.
Literatur
Maul, Bärbel/Ulrich, Axel: Das Wiesbadener Außenkommando »Unter den Eichen« des SS-Sonderlagers/KZ Hinzert. Hrsg.: Landeshauptstadt Wiesbaden – Kulturamt/Stadtarchiv, Wiesbaden 2014.