Sprungmarken

Stadtarchiv Wiesbaden

Artikel

Die Anfänge des Wiesbadener Stadtarchivs liegen im Dunkeln. Seine Geschichte ist zunächst geprägt von schwerwiegenden Schriftgutverlusten: Dem Stadtbrand von 1547 fiel ein Großteil der städtischen Urkunden zum Opfer. Nach Plünderungen durch Soldaten im Dreißigjährigen Krieg wurden schließlich 1716 zahlreiche Gerichtsunterlagen und Rechnungen aus dem 14.–17. Jahrhundert vernichtet. Immer wieder waren die wenigen Bestände unsachgemäß untergebracht und ungünstigen Witterungsverhältnissen sowie Zerstörungen durch Mäusefraß ausgesetzt.

Seit dem 16. Jahrhundert befand sich das Stadtarchiv im Uhrturm an der Marktstrße, seit 1873 auf dem Dachboden des alten Rathauses, seit 1880 in einem Turmraum der Marktkirche und seit 1892 im neuen Rathaus.

Um seine Erhaltung und Auswertung erwarben sich die Historiker Karl Rossel und Friedrich Otto große Verdienste. Rossel ordnete 1850–51 die vorhandenen Archivalien und rettete das noch im alten Rathaus befindliche Schriftgut vor weiterer Vernichtung. Mit dem Umzug in das neue Rathaus verbunden war die Einstellung des ersten Stadtarchivars, Christian Spielmann. Am 15.05.1892 präsentierte er das fertig eingerichtete und verzeichnete Archiv der Öffentlichkeit.

Nach Spielmanns Tod 1917 wurde seine Stelle nicht neu besetzt und bald darauf begann für das Stadtarchiv eine Odyssee, die letztlich wiederum von Schriftgutverlusten begleitet wurde. Nachdem die Bestände 1924–33 in der Nassauischen Landesbibliothek untergebracht waren, übergab sie der Magistrat durch den Beschluss über die »Aufhebung des Stadtarchivs« vom 05.07.1933 an das Staatsarchiv Wiesbaden (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden).

Im Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Auslagerung in die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz sowie in einen Kellerraum der Knabenschule in der Hebbelstraße. Während diese Unterlagen den Krieg unbeschadet überstanden, führte man die bis dahin noch in der Landesbibliothek verbliebenen Buchbestände 1942 in das Rathaus zurück, wo sie dem Bombenangriff vom Februar 1945 zum Opfer fielen, darunter die gesamte Zeitungssammlung. Nahezu alles im »Dritten Reich« entstandene Schriftgut der Hauptverwaltung ist entweder auf Anordnung des NS-Bürgermeisters Felix Piékarski vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen im März 1945 bewusst vernichtet worden oder ging bei der Auslagerung der Stadtverwaltung in das mitteldeutsche Gebiet verloren. Bei seiner Flucht mitgenommene Personal- und Geheimakten ließ Piékarski in Bad Elster verbrennen. Nur eine Handvoll Stücke blieben erhalten und wurden nach Abschluss des Kulturabkommens zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1986 seinerzeit an Wiesbaden zurückgegeben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte das neu ins Leben gerufene Stadtarchiv für einige Jahre Räume in der Schützenhofstraße 4 und wurde 1949 auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich. 1951 zog es in das inzwischen wiederaufgebaute Rathaus ein. Als Institution lebensfähig wurde es aber erst durch die heimatkundlichen Sammlungen von Ludwig Gärtner, die durch dessen Testament der Stadt Wiesbaden zufielen. Sie bildeten den Grundstock der heutigen Bibliothek und der Sammlungsbestände. Der ursprüngliche Fotobestand des Stadtarchivs allerdings war ins städtische Museum gelangt und dort verblieben. Mit dessen Übergabe an das Land Hessen 1972 wechselte auch diese umfangreiche und qualitätvolle Sammlung den Besitzer. 1978 erfolgte ein neuerlicher Umzug, und zwar in die Villa Humboldtstraße 6, wo große Teile der Bestände in einem feuchten Keller untergebracht werden mussten. Seit Ende 1989 nutzt das Stadtarchiv eine funktional umgestaltete ehemalige Fabrikhalle Im Rad 42.

Bemerkenswert für die Geschichte des Stadtarchivs ist auch seine Verknüpfung mit fremden Aufgabenbereichen. Bereits Spielmann war nicht nur als Archivar, sondern gleichzeitig als Statistiker tätig. 1948–91 war die sogenannte Verwaltungsbücherei, die sämtliche Buchbeschaffungen für die Wiesbadener Stadtverwaltung abwickelte, mit dem Archiv in Personalunion verbunden. 1987 wurde mit einer Neuverzeichnung der Bestände begonnen. 2001 erfolgte die Einrichtung eines »Digitalen Multimedia-Archivs« zur Erschließung und Fortführung der audiovisuellen Bestände. Mit der Gründung des Vereins zur Förderung des Stadtarchivs Wiesbaden e.V. 2005 wurden weitere neue Akzente gesetzt.

Mit dem Stadtarchiv verbunden ist das Referat »Gedenkstättenarbeit«, das insbesondere die zahlreichen Aktivitäten der Wiesbadener Erinnerungskultur koordiniert, entsprechende Veranstaltungsreihen organisiert und die KZ-Gedenkstätte Unter den Eichen betreut.

Literatur

Dollwet, Jochen: 500 Jahre Stadtarchiv Wiesbaden? Versuch eines Resümees. In: Archivnachrichten aus Hessen, Nr. 9/1, 2009 [S. 38–41].

Verweis