Sport
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In der Kurstadt Wiesbaden kam dem Sport insbesondere seit 1872 eine besondere Bedeutung für die Kurgäste zu. Mit dem Verlust der Spielbank-Konzession entfiel eine der wesentlichen Unterhaltungsmöglichkeiten der Kurgäste. Sportliche Angebote sollten schon bald für Ersatz sorgen. Der Kurführer von 1877 enthielt Anzeigen unter anderem für Schwimmen, Büchsenschießen, Nachenfahren und Rollschuhlaufen. 1910 war Sport als wichtiges Unterhaltungsangebot in Wiesbaden etabliert, der Kurführer nannte Ruderfahrten, Schieß- und Reitmöglichkeiten oder Schlittschuhlaufen, daneben mit Krocket und Lawn-Tennis (Rasentennis) auch die Sportarten der englischen Oberschicht, die sich in Kurorten früher als andernorts etablierten.
Viele Sportanlagen wurden geschaffen, darunter gleich mehrere Natureisbahnen. Ab 1880 gab es erste Tennisplätze für Lawn-Tennis an der Dietenmühle und seit 1889 eine von der Kurverwaltung unterhaltene Anlage im Kurpark, die sogenannte Blumenwiese. Diese umfasste neun Spielfelder und war ab 1899 Austragungsort bedeutender internationaler Tennisturniere. 1905 wurde der Tattersall als Reithalle fertiggestellt und 1913 der erste Golfplatz. Auch für andere Sportarten entstanden in dieser Zeit viele Sportstätten, z. B. 1896 die Turnhalle des TV Biebrich am Rathenauplatz oder der Sportplatz des Wiesbadener Sportvereins im Jahr 1907. Das Radfahren verbreitete sich rasant, viele Radsportvereine entstanden, z. B. der Radsport-Club 1907 Wiesbaden, der Radler- Club Nassovia Frauenstein 1900 oder der Radfahrclub RC 1900 aus Bierstadt. Als neue Sportart trat in dieser Zeit auch der Motorsport in Erscheinung. Im Jahr 1904 gründete sich der Wiesbadener Automobilclub, der in den 1920er-Jahren u. a. die Autorennen »Rund um den Neroberg« veranstaltete. In der Zeit der Jahrhundertwende kam das Frauenturnen auf. 1896 wurde es beim TV Biebrich und kurze Zeit später auch in den Wiesbadener Turnvereinen, anfangs unter der Bezeichnung »Damenriege«, eingeführt.
Anfang der 1920er-Jahre kam es zu einer Ausdifferenzierung zwischen Turnen und Sport. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte die aus England kommende »Versportlichung« der Leibesübungen den Turnern Probleme bereitet. Konkurrenzwettbewerbe, Leistungsgedanke und Rekordprinzip waren ihnen fremd, auch die Internationalisierung passte nicht in das Gedankengut. Sport, einschließlich Fußball, wurde von den Turnern als »undeutsch« abqualifiziert.
In der NS-Zeit begann eine gegenläufige Entwicklung. Nach der Aufsplitterung der Vereine kam die Gleichschaltung. So erfolgte z. B. in Kastel 1934 der Zusammenschluss der Turngesellschaft 1886 mit der Fußballvereinigung 1906 zum »Verein für Turn- und Rasensport«. Der Fußballverein »Borussia« schloss sich an und 1939 auch der Turnverein, so dass die heute noch bestehende »TSG 1846 Kastel« entstand. Jüdische Mitglieder wurden aus den Vereinen gedrängt.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges war im Sport ein vollständiger Neubeginn notwendig. Bald nach den ersten Gesprächen mit den Besatzungstruppen zur Wiederaufnahme des Vereinsgeschehens Ende 1945/Anfang 1946 konnte nach und nach wieder mit dem organisierten Sport begonnen werden. Spitzensport wurde in Wiesbaden schon in den 1950er-Jahren als Event zelebriert. So fand im Juni 1952 im Kurhausgarten die Olympiaausscheidung der Kunstturner für Helsinki statt, ausgerichtet vom Turnerbund Wiesbaden. Für deutsche Sportler war es die erste Möglichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sich wieder an den Olympischen Spielen zu beteiligen, denn 1948 in London war Deutschland noch nicht teilnahmeberechtigt gewesen.
Die Verbindung von Sport und Geselligkeit schrieb der Wassersport-Verein (WSV) Schierstein groß. Am 20.08.1949 richtete er das erste Schiersteiner Hafenfest nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Es war eine sportlich orientierte Veranstaltung mit Attraktionen wie Faltbootrennen, Fischerstechen und Schanzenspringen. Im und am Hafen weiß sich der WSV auch heute noch in guter Nachbarschaft mit vielen anderen Vereinen: Wiesbadener Yachtclub, Schwimmclub Wiesbaden 1911 e.V., Motorbootclub Mittelrhein, Wassersport Wiesbaden und die Rudergesellschaft Wiesbaden-Biebrich teilen sich den Sport- und Freizeithafen.
Ebenso kreativ waren im Winter 1949/50 die Hockeyspieler des Wiesbadener Tennis- und Hockeyclubs (WTHC). Sie spielten in der Turnhalle am Boseplatz (heute Platz der Deutschen Einheit) das damals unbekannte Hallenhockey. Noch heute ist der 1905 entstandene WTHC im Hockeysport sehr aktiv und erfolgreich, gehört aber auch zu den größten von insgesamt 23 Tennisvereinen der Stadt.
Eine Sportart, die heute entweder im grellen Scheinwerferlicht steht oder maximal in verborgenen Hinterhöfen ausgeübt wird, gehörte in den 1950er-Jahren ganz selbstverständlich zum Ortsgeschehen von Biebrich: das Amateurboxen. Der Besuch einer Boxveranstaltung vom TV Biebrich, dessen Staffel in der zweithöchsten Liga kämpfte, gehörte alle 14 Tage zum Sonntag wie ein Gang auf den Fußballplatz. Aus Kostheim stammte der spätere Berufsboxer Konrad (Conny) Rudhof, der 1959 deutscher Meister im Leichtgewicht wurde.
Auch in vielen anderen Sportarten erzielten Wiesbadener Sportler nationale und internationale Spitzenleistungen. Die beste Tischtennis-Mannschaft der Stadt kam in den 1950er-Jahren vom Sportverein Wiesbaden 1899 e.V. (SV Wiesbaden), die Gruppe um Werner Roller und Kurt Seifert wurde viele Jahre lang Hessenmeister und von 1950–53 deutscher Vizemeister. Die Radamateure des RSK »Sturmvogel« Wiesbaden erkämpften 1950 nicht weniger als 87 Siege. Zudem richtete der Verein Rennen selbst aus, 1953 sogar eine Sechs-Etappen-Fahrt über 1.200 km mit Start am Elsässer Platz und Ziel im Wiesbadener Stadion. Die renommiertesten Radfahrer der Nachkriegszeit waren Valentin Petry, Walter Hundertmarck und der Frauensteiner Franz Reitz. Zielsicher waren Wiesbadens Radfahrer auch in Verbindung mit einem Ball: 1948 und 1950 wurde das Damenduo Abel/Wiedemann vom RC Stephan Wiesbaden zweimal deutscher Meister im Radpolo, das erst 1941 vom Bierstädter Arthur Seib als elegante Radball-Variante für Damen erfunden worden war.
Von jeher erfolgreich waren die Badmintonspieler. Die Federballspieler gründeten ihren Dachverband am 18.01.1953 in Wiesbadens Kurhaus, nachdem sie tags zuvor die ersten deutschen Einzelmeisterschaften im Badminton in der Schlossreithalle ausgetragen hatten. Der Biebricher Sporthändler Fred Haas (1922–96) hatte anlässlich einer Sportartikelmesse zu »Badminton-Wettspielen« aufgerufen. Aus den Reihen des TV Biebrich hatte sich zuvor schon der Biebricher Badminton Club (BBC) gegründet, später noch der 1. Wiesbadener Badminton Club (1953) und die Badmintonabteilung von Grün-Weiß Wiesbaden (1956).
Wiesbadens größter Fußball-Sohn ist ein Biebricher: Jürgen Grabowski spielte zunächst bei Biebrich 19 und Biebrich 02, für die er seit 1962 in der Hessenliga antrat. 1965 schaffte er dann den Sprung zur Frankfurter Eintracht, der er bis 1980 treu blieb. Grabowski absolvierte 44 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft – und wurde am 07.07.1974, an seinem 30. Geburtstag, Fußball- Weltmeister.
Auch die Fußballer des Sportverein Wiesbaden schrieben einmal deutsche Sport-Geschichte. Das blau-orangefarbene Team war die erste deutsche Mannschaft, die nach dem Krieg wieder auf belgischem Boden ein Fußballspiel austragen durfte. Der Sportverein Wiesbaden gewann vor 10.000 Zuschauern in Gent mit 4:0. Trainer war damals kein geringerer als Helmut Schön. Seine größten Erfolge feierte der Verein in den Jahren 1965 und 1966, als er zweimal das Endspiel um die deutsche Amateurmeisterschaft erreichte – und zweimal gegen Hannover 96 verlor.
Ein weiterer herausragender Sportler mit Wurzeln in Wiesbaden ist der Hockeyspieler Stefan Blöcher, der seine Karriere beim WTHC begann und 1987 zum »weltbesten Spieler« gekürt wurde. Er wurde mehrmals deutscher Meister und Europameister sowie Vizeweltmeister und gewann zwei olympische Silbermedaillen. Von den exzellenten Trainingsbedingungen nach Wiesbaden gelockt wurde der Tontaubenschütze Waldemar Schanz, der deutscher Meister, Europameister, Vizeweltmeister und Weltcup-Gewinner war.
2015 zählten Sportler und Vereine aus Wiesbaden zum Teil schon seit vielen Jahren in einer Reihe von Sportarten zur nationalen oder sogar internationaler Spitze. In der Volleyball-Bundesliga gelang den Frauen des VC Wiesbaden (VCW) 2010 mit dem zweiten Platz ihr bisher größter Erfolg. Im Judo wird bereits seit Jahrzehnten auf erstklassigem Niveau gekämpft. Ein gebürtiger Wiesbadener ist der Rennfahrer Nico Rosberg, der 2014 und 2015 Vizeweltmeister und 2016 Weltmeister in der Formel 1 wurde. Die Schwimmer des Schwimm-Clubs Wiesbaden (SCW) wurden 2008 überraschend deutsche Mannschaftsmeister.
In der Nachkriegszeit war die Sportstättensituation in Wiesbaden zunächst bescheiden. Die Schlossreithalle war in dieser Zeit für zahlreiche Sportarten die einzige größere Ausrichtungs- und Trainingsstätte. Sie musste Anfang der 1950er-Jahre für einen Neubau weichen, und Ersatz wurde erst spät geschaffen. Lange war dann die 1959 eröffnete Sporthalle am Elsässer Platz die einzige größere Attraktion. 1989 wurde zum Landesturnfest die Halle am Zweiten Ring eingeweiht, in der die Volleyballerinnen des VCW viele Jahre lang ihre Bundesligaspiele und der JC Wiesbaden seine Bundesligakämpfe im Judo austrugen. Die Großsporthalle am Platz der Deutschen Einheit steht seit 2014 dem VCW als Spielstätte und der Elly-Heuss-Schule als Schulsporthalle zur Verfügung. Die größte Sportanlage unter freiem Himmel ist der Helmut-Schön-Park. Seit dem Neubau der Brita-Arena im Jahr 2007 in unmittelbarer Nähe steht der Stadt eine moderne Sportanlage für ca. 12.000 Zuschauer zur Verfügung.
Wiesbaden hat sich auch in anderen Bereichen als Ausrichter zahlreicher sportlicher Großereignisse einen Namen gemacht. Allen voran ist das traditionelle Pfingst-Reitturnier zu nennen, das seit 1929 vom Wiesbadener Reit- und Fahrclub organisiert wird. Der »Ironman Germany 70.3« – der »härteste halbe Tag« mit 1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren und einem abschließenden Halbmarathon – wurde 2007–16 in Wiesbaden ausgetragen. Triathlon trifft als junge Sportart den Nerv der Zeit: Bis zu 90.000 Zuschauer entlang der Strecke verzeichnete das Event mit Zieleinlauf vor dem Kurhaus.
Elegant geht es immer im Oktober bei der alljährlichen Olympischen Ballnacht des hessischen Sports im Wiesbadener Kurhaus zu. Noch bedeutender ist der »Ball des Sports« unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, der bereits 1977 und von 1992 bis 2001 in Wiesbaden stattfand und ab 2007 in den Rhein-Main-Hallen bzw. 2015 im Wiesbadener Kurhaus ausgerichtet wurde. Festlich wird es alljährlich auch, wenn der Tanz-Club Blau-Orange Wiesbaden, einer der zehn größten Tanzsportvereine Deutschlands, zum Tanzturnier um den »Großen Preis der Stadt Wiesbaden« ins Kurhaus einlädt.
In Wiesbaden-Klarenthal sind das Bundesleistungszentrum Sport- und Bogenschützen (BLZ) und die Geschäftsstelle des Deutschen Schützenbundes e.V. (DSB) angesiedelt. Auch der Deutsche Golf Verband e.V. (DGV), der Dachverband für die Golfclubs und Golfanlagen in Deutschland, hat seinen Sitz in Wiesbaden.
Am wichtigsten ist für Wiesbaden jedoch der Breitensport. Etwa 67.800 Menschen sind derzeit in rund 240 Turn- und Sportvereinen organisiert.
Literatur
Autor, Heinrich: Vom Turnertum in unserer südnassauischen Heimat – Ein geschichtlicher Abriss 1846–1962, Wiesbaden 1962.
Dreis, Achim: Wiesbadener Sportgeschichte(n). Anfänge, Wettkämpfe, Höhepunkte, Gudensberg 2004.
Fuhs, Burkhard: Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft, Hildesheim [u.a.] 1992.