Römerzeit
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Das römische Wiesbaden wird in literarischen Quellen mehrfach genannt. Plinius der Ältere stellt die Bedeutung seiner Thermalquellen heraus, während der Dichter Martial in seinen Epigrammen die mattiakischen Kugeln erwähnt, die Haarausfall verhindern sollten. Auch der Historiker Tacitus berichtet mehrfach von den Chatten und den namengebenden Mattiakern. Der Geograf Klaudios Ptolemaios behandelt in dem bedeutendsten Werk zur antiken Geografie, der Geographike Hyphegesis, die Germania Megale (Großgermanien, also das Freie Germanien rechts des Rheins). Dort siedelte unter anderem der Stamm der Chatten, als deren Teilstamm die Mattiaker gelten. Das Rhein-Main-Gebiet, der alte Einfall- und Transitweg von Norden nach Süden, wurde von den Römern um die Zeitenwende und damit schon früh kontrolliert. Trotzdem bleibt bis heute der Zeitpunkt der Gründung eines Militärpostens in Wiesbaden unsicher, auch wenn militärisches Fundmaterial augusteischer Zeit aus der sogenannten Moorschicht vorliegt. Diese zwischen Kirch- und Langgasse nachgewiesene, 0,50 – 1,5 m starke Schicht enthielt die frühesten, in die Zeit von Agrippa bis Domitian datierenden Funde und bezeichnet daher das älteste Siedlungsgebiet des von den Römern neu gegründeten Ortes (»vicus«). Die kontinuierliche Entwicklung wird 69/70 n. Chr. gestört, als Mattiaker, Chatten und Usipeter Mainz belagerten und die Funde aus der Moorschicht jäh enden.
Im frühen 2. Jahrhundert wurde Wiesbaden zum Vorort der ihrem Namen nach wohl während der Regierungszeit von Traian gegründeten Verwaltungseinheit »civitas Ulpia Mattiacorum«. Von hier aus verwaltete ein Magistrat gemeinsam mit dem Dekurionenrat nach römischem Vorbild das Gebiet zwischen dem Schwarzbach im Osten, Main und Rhein im Süden und dem Limes im Norden. Nur im Westen bleibt die Grenze der Gebietskörperschaft unbekannt. Angehörige dieses Gemeinderates sind durch Inschriften aus Wiesbaden sowie Mainz-Kastel und Mainz bekannt. Auch wenn die Siedlung nie einen höheren Rechtsstatus erhielt, setzt die hier angesiedelte Verwaltung öffentliche Gebäude wie ein Forum mit einer angegliederten Basilika voraus, die in Wiesbaden bisher aber nicht nachgewiesen werden konnten. Ebenso fehlt der Siedlung die bei anderen civitas-Vororten nachweisbare Ummauerung.
Die Alamanneneinfälle 260 n. Chr. haben den »vicus« schwer in Mitleidenschaft gezogen, denn sowohl die Siedlungsgröße wie die Bevölkerungszahl scheinen deutlich dezimiert worden zu sein. Trotzdem hat die Siedlung bis in das 4. Jahrhundert hinein weiter bestanden. Ausschlaggebend war dafür wohl vor allem der Kurbetrieb. Unter Kaiser Valentinian wurde für die Sicherung der Reichsgrenze am Rhein eine neuartige Verteidigungskonzeption entwickelt. In kleinen, massiv errichteten Kastellen (»burgi«) mit einer Schiffslände waren auf das rechtsrheinische Ufer vorgeschobene Beobachtungsposten stationiert. Ein Posten dieser Reihe fand sich auch in Wiesbaden-Schierstein. In den Kontext dieser Schutzmaßnahmen gehört auch der Bau der Heidenmauer parallel zu einer den »vicus« durchziehenden Straße. Erst der Einfall der Quaden, Alanden und Vandalen im Januar 406 n. Chr. dürfte das Ende der Siedlungstätigkeit bedeutet haben. Seit claudischer Zeit ist die militärische Besetzung von Wiesbaden gesichert, die im frühen 2. Jahrhundert mit dem Abzug der hier stationierten Kohorte endete.
Parallel zum Ausbau der Militäranlagen auf dem Heidenberg entwickelte sich die zivile Besiedlung. Der ungefähr 25 ha große »vicus«, der sich zwischen Schwalbacher Straße, Friedrich- und Wilhelmstraße erstreckte, war vor allem als Heilbad für die Soldaten der Mainzer Legionen wichtig. Das zeigen nicht nur der in konstantinischer Zeit wieder aufgenommene Badebetrieb, als das zuvor verlorengegangene Gebiet rechts des Rheins zumindest in Ufernähe erneut besetzt wurde, sondern auch die zahlreichen Soldatengrabsteine von Veteranen verschiedener Einheiten. In dem ovalen, rund 700 x 450 m großen Siedlungsareal lässt sich bis heute kein klares Straßenraster erkennen. Allerdings dürfte eine der neuzeitlichen Langgasse entsprechende Trasse, deren Reste mehrfach beobachtet werden konnten, zu den Hauptstraßen gezählt haben, zumal sich auch die großen Thermenanlagen nach ihrem Verlauf ausrichteten. Als nicht weniger bedeutend hat ein zweiter Straßenzug zu gelten, auf den hin sich die im heutigen Schützenhofgelände untersuchten Bauten orientieren, die schräg zu den anderen lagen. Er dürfte sich in östl. Richtung nach Hofheim fortgesetzt haben. Von den drei großen Thermengebäuden konnten jene an der Langgasse neben der Kaiser-Friedrich-Therme sowie im Bereich des Schützenhofes lediglich angeschnitten, aber nicht vollständig untersucht werden. Der Thermenbau am Schützenhof wurde aufgrund der Verwendung von Bleirohren der legio XIV Gemina Martia Victrix zwischen 70 und 92 n. Chr. von der in Mainz stationierten Truppe unterstützt, ohne dass sich daraus seine Nutzung als Garnisonsbad des Kastells auf dem Heidenberg erhärten ließe. Nur die in der Nähe des Kochbrunnens liegenden Thermen am Kranzplatz mit einem angeblich benachbarten Unterkunftshaus (»mansio«) konnten von Emil Ritterling 1903 umfassender untersucht werden, obwohl kein Grabungsbericht publiziert worden ist. An ihrem Bau waren zwischen dem späten 1. und dem 4. Jahrhundert die 1., 8., 14. und 21. Legion aus Mainz beteiligt, deren Angehörige die heilkräftigen Quellen intensiv nutzten. Außer den üblichen Badebecken mit unterschiedlich temperiertem Wasser standen speziell für den Heil- und Kurbetrieb kleine Badenischen zur Verfügung, die an der Ostseite von einem der vier großen Wasserbecken freigelegt werden konnten.
Von der übrigen Bausubstanz des römischen »vicus« ist wenig bekannt. Ein Iupiter Dolichenus-Tempel könnte nach einem Weihestein von 194 n. Chr. im Adlerterrain gestanden haben. Weitere öffentliche Bauten werden an der Langgasse vermutet. Eine an der Nordseite des Mauritiusplatzes aufgefundene Inschriftenplatte belegt das Bestehen eines bislang nicht lokalisierten Vereinshauses der Kaufmannsgilde. Untersucht worden ist ebenfalls das Mithräum an der Coulinstraße Im Vorort der Gebietskörperschaft wären außerdem noch ausgedehntere Wohngebäude (»domus«) zu erwarten, in denen die Angehörigen der Elite wohnten. Darauf fehlt bisher jeder Hinweis. Daneben gab es sicher einfachere Fachwerkbauten, die ebenso wie die spätere Steinarchitektur zumindest im Feuchtgebiet zwischen Hochstädten- und Mauritiusstraße auf Pfahlrosten gegründet gewesen sein müssen. Die das Ende des Siedlungsareals bezeichnenden Gräberfelder sind entlang der Schwalbacher Straße sowie zwischen Luisen- und Rheinstraße auf dem Gelände der ehemaligen Artilleriekaserne angeschnitten worden. Die Beisetzungen erfolgten kontinuierlich bis in die frühchristliche Zeit, denn zahlreiche Grabplatten wie die von Q(u)alaq(u)it bezeugen das Bestehen einer frühchristlichen Gemeinde in der Siedlung. In der Mitte des 4. Jahrhunderts förderte die erneute Nutzung der Thermen durch das Militär eine zweite Blütezeit der Siedlung. Zu den von Valentinian I. eingeleiteten Schutzmaßnahmen gehörte außer der Anlage von »burgi« auch der Bau der Heidenmauer, die allerdings nie vollendet wurde. Für ihre Datierung erst in diese späte Zeit spricht außer den in der Mauer verbauten Soldatengrabsteinen vor allem eine Statue aus dem nahen Mithräum.
Die vicus-Bevölkerung wird neben den hier beheimateten chattischen Mattiakern und Römern aus zugewanderten, mehr oder weniger romanisierten Galliern sowie anderen Reichsangehörigen bestanden haben. Einige von ihnen haben den überlieferten Namen (»tria nomina«) nach wohl über das latinische Bürgerrecht verfügt. Namentlich bekannt sind der Einheimische V. Lupulus, der einer Mithrasgemeinde auf seinem Grund den Bau eines Tempels gestattete, und der wohl aus Gallien stammende Keramikhändler Agricola, dem seine Tochter einen sorgfältig ausgeführten und daher sicher kostspieligen Grabstein errichten ließ.
Als Kaiserpriester wirkte der Rechtsanwalt (»pragmaticus«) C. Iulius Simplicius, dessen Grabstein in der Mainzer Zitadelle verbaut worden war. Priesterkollegien (»Augustales«) leiteten den Kaiserkult, der aber nicht einem gottgleichen Kaiser galt, sondern dem göttlichen Wirken (»numen«) des Kaisers als der Kraft, die durch ihre Verbindung zu den Göttern den Schutz des Staates sicherte. Auch wenn der genaue Standort des wiedererrichteten Sirona-Tempels unbekannt bleibt, müssen in Wiesbaden zahlreiche Heiligtümer bestanden haben, in denen römische und einheimische Götter mit ähnlichen Eigenschaften miteinander verbunden und gemeinsam verehrt worden sind. So galt Diana »Mattiaca« wohl ebenso als Schützerin der heilkräftigen Quellen wie Apollo Toutiorix, während sich die keltische Pferdegöttin Epona ohne entsprechendes Äquivalent auch bei den Römern großer Beliebtheit erfreute. Besonders anziehend wirkten offenbar die Kulte aus dem Vorderen Orient wie der des Mithras oder des Iupiter Dolichenus. Kleinere Götterfigürchen mit dem gesamten Pantheon stammen vermutlich von den Altären der Privathaushalte.
In der Umgebung des »vicus« fanden sich mit zahlreichen »villae rusticae« den heutigen Aussiedlerhöfen vergleichbare Anlagen, deren Besitzer Landwirtschaft betrieben und die Überschüsse auf dem städtischen Markt anboten. Beispielhaft seien hier nur die Anlagen vom Neroberg, der Wellritzmühle, dem Gräselberg, der Adolfshöhe, dem Landgraben bei Mosbach, Bierstadt, Igstadt und Breckenheim genannt. Leider ist keines der Anwesen umfassend untersucht worden. Auch die Deutung einer kleinen »Ansiedlung« am Hollerborn bei Dotzheim bleibt ungeklärt. Ihre locker gestreuten Gebäude sollen sich »über eine Viertelstunde weit« Richtung Wiesbaden erstreckt haben.
Den drei erhaltenen und 122 und 235/38 n.Chr. sowie in der Mitte des 3. Jahrhunderts gesetzten Meilensteinen nach war Wiesbaden in ein weitverzweigtes Straßennetz eingebunden, auch wenn es selbst aufgrund seiner Randlage in der Provinz nie einen bedeutenden Verkehrsknotenpunkt bildete. Die wichtigste Route nach Mainz-Kastel zog vom rechten Seitentor (»porta principalis dextra«) des Kastells nach einem leichten Knick schnurgerade den Heidenberg hinab und über die Mauritius- und Faulbrunnenstraße, um in ihrem weiteren Verlauf zwischen der Albrecht- und Adelheidstraße mit der heutigen Moritzstraße zusammenzufallen. Die 5,30 m breite, mittig aufgewölbte Straße war mit größeren, unregelmäßigen Platten gepflastert und dürfte in dem sumpfigen Bereich zwischen Mauritius- und Faulbrunnenstraße auf einem erhöhten Damm mit Pfahlrostunterbau geführt worden sein. Diese gleichzeitig mit dem Kastell ausgebaute Trasse traf 50 m nördlich des Brückenkopfkastells von Mainz-Kastel auf die große, von Mainz über Nida-Heddernheim in die Wetterau führende Straße. Die beiden an dieser Verbindung gesetzten Meilensteine geben in den unterschiedlichen Maßeinheiten des römischen Fußes bzw. der in Gallien entwickelten Kunstform der »Leuge« die Entfernung von Wiesbaden (ab Mattiacorum) ziemlich exakt mit 9 km an. Eine zweite, wohl schon in vorrömischer Zeit begangene Route führte nach Hofheim. Sie begann am Haupttor (»porta praetoria«) und konnte auf dem Dern’schen Gelände, in der De-Laspée-Straße sowie im Hof des Wiesbadener Museums beobachtet werden. Ihren Verlauf begleitete im zentralen vicus-Bereich auch die Heidenmauer. Vom linken Seitentor (»porta principalis sinistra«) aus dürfte eine Straße zu den Limesanlagen im Taunus geführt haben, die wohl am Kastell Heidekringen endete. Die Posten einer kleinen Straßenstation auf der Rentmauer sollen den Verkehr auf dieser zur Grenze führenden Straße kontrolliert haben. Von nur untergeordneter Bedeutung blieb dagegen die nach Westen in den Rheingau führende, sich streckenweise wohl mit dem »Sterzelpfad« deckende Trasse.
Literatur
Artikel Mattiacum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 19, 2. Aufl., Berlin, New York 2001 [S. 440 ff.].
Czysz, Walter: Wiesbaden in der Römerzeit, Stuttgart 1994.