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Kurhaus, neues

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Spätestens um 1900 galt das von Christian Zais erbaute alte Kurhaus nicht mehr als zeitgemäß. Nachdem bereits 1895 Felix Genzmer erste Pläne für einen Neubau vorgelegt hatte, beauftragte man 1902 schließlich Friedrich von Thiersch mit Planung und Bau. Während man bis zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte, den Neubau hinter das alte Kurhaus in den Park zu setzen, sah Thiersch dessen Abriss und einen Neubau an derselben Stelle vor.

Das klassizistische Kurhaus hatte der Provinzialkonservator Ferdinand Luthmer in die von ihm verfassten »Bau- und Kunstdenkmäler« im Regierungsbezirk Wiesbaden aufgenommen, es stand also nach den preußischen Bestimmungen unter Denkmalschutz. Kaiser Wilhelm II. setzte sich jedoch über den von Luthmer eingelegten Widerspruch gegen den Abriss hinweg. Die Genehmigung für den Abbruch wurde erteilt, allerdings mit der Auflage, zwei Säulen und ein Stück Architrav des Portikus zu erhalten sowie den alten Kursaal im Neubau oder in einem anderen städtischen Gebäude wiedererstehen zu lassen. Am Ende des Verfahrens standen also ein fauler Kompromiss und die Verzögerung des Baubeginns bis 1904.

Aus Rücksicht auf den Denkmalschutz und den Unmut der Bürger wählte Thiersch für die Gestaltung des Außenbaus den Stil des Klassizismus und versuchte darüber hinaus mit Fotomontagen nachzuweisen, dass der Neubau nur unwesentlich größer werden würde als der Altbau. In Wirklichkeit vergrößerte sich die bebaute Fläche von 4.887 auf 6.235 m². Als Gründe für die neoklassizistische Formensprache gab Thiersch erstens die Rücksichtnahme auf die klassizistischen Kolonnaden und zweitens die Erinnerung an das römische Wiesbaden an, wie sie auch in der Inschrift »AQUIS MATTIACIS« am Portikus zum Ausdruck kommt. Von römischen Thermen ist auch die zentrale überkuppelte Wandelhalle inspiriert. Unter anderem übernahm Thiersch die römische Tradition, nur die unteren Wandteile der monumentalen Halle mit Naturstein auszustatten, indem er für die Säulen und Pilaster dunkelroten schwedischen Granit, für die Kuppelpfeiler gelben sienesischen Marmor und für die vier Postamente vor den Eckpfeilern grünen Serpentin verwendete. Auf letzteren stehen marmorne Kopien vier antiker Statuen, deren Originale sich in den Museen von Dresden, Bologna, München und Florenz befinden. Athena symbolisiert die Weisheit, Eirene mit Pluto Frieden und Reichtum, Apoll die Künste und Äskulap die Gesundheit, also die Voraussetzungen für das Gelingen der Kur.

Bei der Gestaltung der Innenräume verwendete Thiersch mehrere hist. Stile als Vorbild. So ist der prachtvolle, seit 1987 Friedrich-von-Thiersch-Saal genannte große Konzert- und Ballsaal im Stil des Neubarocks gehalten, während der kleinere, gegenüberliegende und unter Verwendung der originalen Säulen neu aufgeführte Christian-Zais-Saal aufgrund seiner sparsamen Dekorierung klassizistisch schlicht erscheint. Die aus Kirschbaumholz bestehenden Wandvertäfelungen des heute der Spielbank dienenden ehemaligen Weinsaals sind in den Formen der deutschen Renaissance gestaltet. Der nicht mehr erhaltene Biersaal war wandhoch mit glasierten Kacheln verkleidet. Heute ist er Teil des Restaurants. Das nach Norden anschließende Bacchuszimmer besitzt noch die originale Nachbildung einer spätgotischen Holzdecke mit mittelhochdeutschen, recht deftigen Sprüchen. Die kleineren Kabinette rings um den großen Saal sind in unterschiedlicher Weise im Stil des Neubarocks gehalten. Der Muschelsaal an der Südseite des Kurhauses war zum Lesesaal bestimmt. Den Zorn des Kaisers erregten die dem Jugendstil verpflichteten Wandgemälde von Fritz Erler, in mehrfacher Hinsicht originelle und eigenwillige Darstellungen der vier Jahreszeiten und des Themas »Jugend und Alter«.

Unter den Bauten des späten Historismus in Wiesbaden ragt das Kurhaus nicht nur durch seine qualitätvolle Innenausstattung, sondern auch durch die Fortschrittlichkeit der ursprünglichen technischen Ausstattung hervor. Dazu gehörten ein ausgeklügeltes System der Be- und Entlüftung sowie der Beheizung der Räume, die Wasserversorgung über zwei getrennte Systeme für Trink- und Brauchwasser, eine Eismaschine zur Kühlung von Getränken und Speisen und zur Herstellung von Kunsteis, Elektromotoren für Brotschneide-, Messerputz- und Geschirrspülmaschinen, vier elektrische Aufzüge und eine Druckluftreinigung mit 25 Anschlussstellen.

Auch das neue Kurhaus war als Gesellschafts-, Gastronomie- und Konzerthaus geplant. Während der Bauzeit des Kurhauses (1905–07) diente das Paulinenschlösschen als Kurhaus-Provisorium. Zusammen mit dem Kurpark und dem Bowling Green bildete es im 20. Jahrhundert das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der Weltkurstadt Wiesbaden. Hier flanierten bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Kaiser und Könige, Fürsten und Finanzmagnaten aus aller Welt. Bälle, Soireen und rauschende Feste, leichte Muse, aber auch hochkarätige Konzerte prägten das gesellschaftliche Leben der Kaiserzeit.

1908 dirigierte Gustav Mahler mit dem Kurhaus-Sinfonieorchester seine Sinfonie Nr. 1, 1912 pilgerten Brahms-Freunde aus ganz Deutschland zur Brahms-Woche ins Kurhaus. Von 1912 an mehrte der Dirigent Carl Schuricht 32 Jahre lang den musikalischen Ruf der Stadt. Berühmte Gastdirigenten und Komponisten wie Max Reger, Wilhelm Furtwängler oder Igor Strawinsky trugen zum Ruhm Wiesbadens als Musikstadt bei, der auch noch während der Notjahre nach dem Ersten Weltkrieg anhielt. Carl Hermann Rauch, Theaterleiter und Kurdirektor in Personalunion, holte in den 1920er-Jahren berühmte Sänger und Interpreten, wie z. B. die Pianistin Elly Ney, und große Dirigenten wie Karl Böhm, Sir Henry Joseph Wood und Wilhelm Mengelberg nach Wiesbaden.

Eröffnet wurde das Kurhaus mit einer pompösen Feier in Anwesenheit Kaiser Wilhelms II. am 11.5.1907. Gemeinsam mit seiner Gattin Auguste Viktoria nahm er in seiner Kaiserloge Platz. Die Wiesbadener Goldschmiede hatten für diesen Tag eigens einen Goldpokal angefertigt, aus dem der Kaiser seinen Ehrentrunk nahm. Der Pokal steht heute in einer Vitrine im Foyer des neuen Rathauses.

Das Bowling Green war auch Aufmarschgelände für Militärparaden. Am 27.01., dem Geburtstag des Kaisers, paradierte hier traditionell das in Wiesbaden stationierte Füsilierregiment von Gersdorff. 1918–25 demonstrierten hier die Franzosen mit ihren Tanks ihre Macht, anschließend 1925–30 die Briten. Auch die Nationalsozialisten bemächtigten sich nach dem 30.01.1933 des Kurhauses. Hitlers Geburtstag feierte man alljährlich mit einem Sinfoniekonzert, den Jahrestag des Marsches auf die Münchener Feldherrenhalle als »Karfreitag des Nationalsozialismus«. Auch der Volkssturm, das letzte Aufgebot des verlorenen Krieges, versammelte sich auf dem Bowling Green.

Beim großen Bombenangriff in der Nacht zum 03.02.1945 durch die Royal Air Force wurde der Südflügel des Kurhauses mit dem großen Konzertsaal zerstört. Den Nordflügel beschlagnahmten die Amerikaner und richteten dort ihren Eagle Club ein. Hier glänzten vor allem aus den USA eingeflogene Künstler, einer der berühmtesten war Frank Sinatra.

Der Südflügel blieb bis 1951 eine Ruine. Sein Wiederaufbau in einfacheren Formen galt den Zeitgenossen als Symbol des Wiesbadener Aufbauwillens. 1959 lag das Kurhauspublikum Maria Callas zu Füßen. 1963 jubelte die Stadt dem amerikanische Präsidenten John F. Kennedy zu, der mit Vizekanzler Ludwig Erhard und Ministerpräsident Georg August Zinn im offenen Wagen über die Wilhelmstraße zum Kurhaus fuhr. 1965 bereitete man hier der britischen Königin Elizabeth II. und ihrem Gemahl Prinz Philipp einen begeisterten Empfang. Die Liste prominenter Staatsgäste lässt sich fortsetzen mit Michail Gorbatschow und Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin, die beide 2007 anlässlich des Petersburger Dialogs in Wiesbaden weilten.

1982–87 wurde das Kurhaus auf der Grundlage der erhaltenen, originalen Pläne Friedrich von Thierschs in mehreren Bauabschnitten restauriert. Seither erlebt das Haus eine neue Blüte als Konzert-, Fest- und Kongressstätte. Die »Drei Tenöre«, José Carreras, Plácido Domingo und Luciano Pavarotti, glänzten hier bei Open Air-Auftritten. Aus der Popkultur waren es Größen wie Sting, Bryan Adams und Elton John.

2006, rechtzeitig zum 100. Jubiläum 2007, wurde die neue Tiefgarage fertiggestellt. Um ihren Bau, genauer um das Fällen der alten Platanen aus dem 19. Jahrhundert, hatte es zuvor heftige Auseinandersetzungen gegeben.

Seit 1955 befindet sich die Wiesbadener Spielbank wieder im Kurhaus Ihr Domizil hatte sie zuvor schon im alten Kurhaus, bis 1872 das Glücksspiel im Deutschen Reich verboten wurde. 1949–55 befand sie sich im Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden.

Literatur

Gerber, Manfred: Das Kurhaus Wiesbaden. Kaleidoskop eines Jahrhunderts, Bonn 2007.

Kiesow, Gottfried: Architekturführer Wiesbaden. Die Stadt des Historismus, Bonn 2006 [S. 14–23].

Kurhaus, ca. 1970 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F000-9673, Urheber: Joachim B. Weber
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