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Kunst im öffentlichen Raum

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Als frühestes Beispiel von Kunst im öffentlichen Raum in Wiesbaden gilt die 1850 ursprünglich in der Nähe des Kochbrunnens aufgestellte Hygieia-Gruppe. Mit der Skulptur einer Wasser schöpfenden weiblichen Gestalt, die Arnold Hensler 1932 für die Reisinger- und Herbert-Anlagen am Hauptbahnhof schuf, wurde erstmals ein autonomes Kunstwerk für den öffentlichen Raum Wiesbadens ohne mythologischen oder historischen Bezug geschaffen.

Der Begriff Kunst im öffentlichen Raum beinhaltet nicht nur künstlerische Projekte im städtischen Außenraum, sondern auch Kunst in Gebäuden und zugehörigen Anlagen. Das 1950 verabschiedete Gesetz »Kunst am Bau« regelte, dass bei Bauprojekten des Bundes und später auch auf Landes- und kommunaler Ebene 2 % der Bausumme für Kunst ausgegeben werden sollen (Richtlinie K7). Kunstwerke sollen, so der theoretische Ansatz, als Verschönerung der Architektur und des städtischen Lebens dienen oder in Form von Denk- und Mahnmalen, als Diskussionsbeitrag, als »Aufheller« die Bevölkerung ansprechen. Das 1955 entstandene »Pferd« des Stuttgarter Bildhauers Fritz von Graevenitz vor dem Statistischen Bundesamt war das erste Kunstwerk, das so den Weg in die Wiesbadener Öffentlichkeit fand. Kunst im öffentlichen Raum emanzipierte sich gegen Ende der 1950er-Jahre insbesondere durch ihre abstrakte Formensprache. Kunst sollte, so ein Slogan der 1960er-Jahre, den für sie reservierten Raum im Museum verlassen und das Publikum dort abholen, wo es sich befindet: auf Straßen, Plätzen und in Parks. Eine schöne Arbeit aus dieser Zeit ist die 1962 aufgestellte Skulptur »Fanal der Jugend« von Egon Altdorf im Gymnasium am Mosbacher Berg. Diese Freiplastik war hinsichtlich des verwendeten Materials Kupfer ein Novum in der deutschen Skulptur und ihre Formensprache exemplarisch für eine deutsche Bildhauerkunst, die den Anschluss an die internationale Entwicklung gerade wieder erlangte.

Die Kunst im öffentlichen Raum verlor in den folgenden Jahren immer stärker an Eigenständigkeit und diente gelegentlich nur noch der Verschönerung einer zunehmend eintönigen Architektur. Die abstrakte Bildsprache war für den ungeübten Betrachter nicht mehr zu dechiffrieren. Ein Beispiel hierfür ist Otto Herbert Hajeks »Raumzeichen mit Platzartikulation« von 1976. Diese im Innenhof der Biebricher Galatea-Anlage aufgestellte Edelstahlplastik nimmt den sechseckigen Grundriss der Platz-Architektur auf und versucht, ein Zentrum zu akzentuieren, wirkt jedoch ebenso kühl und unnahbar, wie der Platz selbst.

Seit den 1960er-Jahren reifte allmählich aber auch die Erkenntnis, dass Kunst mehr vermag, als belanglose Architektur zu verzieren. Es kam in der Folge zu einer Überwindung der Kontext- bzw. Ortlosigkeit gegenwärtiger Kunst. Die Künstler bemühten sich, den umgebenden Raum und dessen Besonderheiten bei der Schaffung des Werks mit einzubeziehen, um zu einer neuen Erfahrbarkeit von Werk und Ort zu gelangen. So visualisiert Wolf Spitzers 1987 vor dem ehemaligen Wiesbadener Fernmeldeamt am Konrad-Adenauer-Ring aufgestellte Großplastik »Kommunikation« sinnbildlich den Austausch von Informationen.

In den 1980er-Jahren wurde die Kunst im öffentlichen Raum maßgeblich durch eine Erweiterung des Kunstbegriffs geprägt. Der Mensch wurde laut Joseph Beuys durch sein Handeln zum Künstler, der seine Umwelt und die Gesellschaft gestaltet. Von Beuys’ bekanntester Kunstaktion »7000 Eichen« bei der documenta 7 in Kassel konnte durch engagiertes Handeln eines Kunstkurses der Martin-Niemöller-Schule ein Basaltstein des ursprünglich auf Kassel begrenzten Projektes nach Wiesbaden gebracht werden. Gabriel Seixas’ Skulptur »Ökologisches Gleichgewicht« von 1999 im Servicezentrum der Nassauischen Sparkasse in der Karl-Bosch-Straße 19 steht für eine politisch engagierte Kunst: Der portugiesische Bildhauer platzierte einen kuppelförmig behauenen Marmorblock so auf einem dünnen Edelstahlstab, dass er perfekt ausbalanciert zu schweben scheint. Fasst man jedoch den Stein an, so gerät er sofort in Schwingungen und könnte – so die Vorstellung – leicht aus dem Gleichgewicht geraten.

Richtete sich die Kunst im öffentlichen Raum bisher eher an einen passiven Betrachter, wurde er gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer häufiger direkt aufgefordert, eine aktive Rolle einzunehmen. So kann sich z. B. jeder Bürger bewerben, als Kurator im »kleinsten Museum der Welt« auf dem Freudenberg seine eigene Ausstellung einzurichten. Einzige Bedingung ist, dass die Objekte klein genug sein müssen, um in die vorhandenen Präsentationsboxen/Schachteln zu passen, denn die Kunst im Butterblumenweg lässt sich nur von außen durch Gucklöcher betrachten.

Um Kunst im öffentlichen Raum auch für Laien aufregend und bedeutsam zu machen, muss sie der Erfahrungswelt aller entsprechen. Ein spannendes Beispiel ist die 2006 realisierte Installation »Heavy Luggage« des Künstlers Andreas von Weizsäcker am Bahnhofsvorplatz. Die gusseisernen Kofferabformungen sprechen den Passanten auf vielfältige Weise an. Assoziationen des Abschieds, der Sehnsucht nach Ferne, aber auch Erinnerungen an die Gefahren durch herrenloses Gepäck an öffentlichen Orten werden wach – zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum wird damit zum Spiegel der eigenen Erfahrungen.

Literatur

Skulptur "Der Flötenspieler" von Walter Wadephul im Kurpark, 1965 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F001-3888, Urheber: Joachim B. Weber
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