Hauptbahnhof
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Im Zuge der Umgestaltung der Bahnanlagen in Wiesbaden um die Jahrhundertwende (Bahnhöfe) ist die Entscheidung zur Anlage eines Zentralbahnhofes mit der Konfiguration eines Kopfbahnhofes wie in Frankfurt am Main, Leipzig, Stuttgart oder München gefallen. Das Empfangsgebäude des am 15. November 1906 eröffneten Hauptbahnhofes ist der Formensprache, der Prachtliebe und der Vorliebe für asymmetrische Grundrisse des Späthistorismus verpflichtet. Schon den Zeitgenossen bereitete das für diese Epoche typische Mischen von Stilformen Kopfzerbrechen; so schrieb das Wiesbadener Tagblatt seinerzeit von einem „geschickten Durcheinander von Barock, Renaissance und Jugendstil“.
Als Architekt fungierte Fritz Klingholz (1861-1921), der zu den bedeutendsten Bahnhofsarchitekten Deutschlands zählte. In erheblichem Maße hat Wilhelm II. an der architektonischen Gestaltung mitgewirkt: Auf den Kaiser geht die Gestaltung des Daches mit grünen und naturroten Ziegeln und vor allem die Höhe des Uhrturmes von 40 m am Haupteingang zurück; Klingholz hatte den Turm ursprünglich höher ausführen wollen. Derartige Einfußnahmen des Monarchen bei öffentlichen Bauten waren recht häufig. Die Bahnhöfe von Hamburg (1906), Bad Homburg (1907) und Metz (1908) stehen hier mit Wiesbaden in einer Reihe.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Hauptbahnhof teilweise zerstört; der erst 1907 fertiggestellte Fürstenpavillon an Gleis 1 ist hierbei verloren gegangen. Die mit der Eröffnung des Hauptbahnhofes aufgekommenen hochgespannten Erwartungen in Bezug auf den bis dahin an Wiesbaden weitgehend vorbeigelaufenen Personenfernverkehr sollten sich nur teilweise erfüllen. Nach 1945 ist der Fernreiseverkehr schrittweise auf die linke Rheinstrecke verlagert worden und in diesem Bereich die Bedeutung des kapazitiv zwar beengten, betrieblich aber grundsätzlich günstigeren Durchgangsbahnhofes in Mainz zulasten von Wiesbaden kontinuierlich gestiegen. So wirkt der in der Gegenwart werktäglich von ca. 36.000 Reisenden frequentierte Wiesbadener Hauptbahnhof heute überdimensioniert. Nach einer ersten Modernisierung in den 1970er-Jahren erfolgte 2003/2004 eine umfassende und aufwändige Sanierung des Empfangsgebäudes. 2009 – 2013 schloss sich die grundlegende Erneuerung der maroden Bahnsteighalle und der Sandsteinfassaden an den Hallenseiten an. Innerhalb von rund zehn Jahren wurden mehr als 60 Millionen Euro in Sanierungsmaßnahmen investiert. Der Hauptbahnhof zählt zu den großartigsten architektonischen Hinterlassenschaften des Historismus in Wiesbaden.
Nicht minder prächtig wie das Äußere war auch das Innere des Empfangsgebäudes gestaltet. Mächtig dimensioniert ist die an beiden Enden aus dem gesamten Baukörper herausragende Querbahnsteighalle. In auffallendem Gegensatz zu der opulenten Gestaltung des Empfangsgebäudes steht die schlichte, völlig schmucklose fünfschiffige Bahnsteighalle mit 11 Bahnsteigen. Sie ist als rein funktionaler Teil von der Vorderfront des Bahnhofes aus an keiner Stelle sichtbar: Keine Anmutung an das moderne Industriezeitalter sollte offenbar die Illusion eines Palastes oder Schlosses stören. Insoweit widerspiegelt der Bahnhof trotz vereinzelter Anklänge an den Jugendstil eine grundsätzlich konservative architektonische Auffassung, was nicht zuletzt der unmittelbaren Einflussnahme des Kaisers und den entsprechenden baukünstlerischen Auffassungen des Monarchen geschuldet war. Im Kontext des Bahnhofsbaues des Wilhelminischen Kaiserreiches kann er jedoch als ein gelungener Vertreter des ausgehenden Späthistorismus gelten. Neue architektonische Ansätze deuteten sich vor dem und im Ersten Weltkrieg mit den der Frühmoderne verpflichteten Bahnhofsbauten in Darmstadt (1912), Karlsruhe (1913) und Leipzig (1915) an.
Literatur
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Hager, Bernhard
„Ein Prachtbau, und ein moderner“. 100 Jahre Hauptbahnhof Wiesbaden. In: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte, Band 38, Hövelhof 2006. (S. 5-24)