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Kirchenbauten der Moderne - Evangelische Kirchen

Artikel

Nachdem 1925 die britische Besatzungsmacht in Wiesbaden die Ringkirche als Garnisonskirche beschlagnahmt hatte, wurde 1928–31 am Elsässer Platz durch den Architekten Fritz Hildner ein externes zweigeschossiges Gemeindehaus erbaut, welches – einmalig in weitem Umkreis – vollständig in die Wohnblockbebauung der späten 1920er-Jahre integriert wurde und weder Turm noch Glocken besaß. Im Erdgeschoss lag der Saal mit geschwungener Empore, der auch als Kirchenraum diente. Architektur und Innengestaltung waren dem Neuen Bauen verpflichtet; die Anordnung von Altar, Kanzel und Orgel im tribünenartig hervorgehobenen Chorraum folgte dem Wiesbadener Programm. Ein silbernes Kreuz über dem Altar bildete die spirituelle Mitte des Raumes. 1931–65 diente dieser Kirchenraum der Kreuzkirchengemeinde, seit 1966 der Stephanusgemeinde. 2013 fusionierte diese mit der Ringkirchengemeinde, seitdem wird die Stephanuskirche für profane Zwecke genutzt.

Amöneburg erhielt 1931/32 eine Gustav-Adolf-Gedächtniskirche. Der trutzig wirkende verklinkerte Bau war der einzige evangelische Kirchenbau der 1930er-Jahre. Architekt Adolf Gelius, Stadtbaudirektor in Mainz, schuf eine repräsentative dreischiffige, flach gedeckte Pfeilerbasilika mit Turm und aufgesetzter Laterne und geradem Chorabschluss. Zwei helle, polygonale Säulen rahmen das Eingangsportal. Im Erdgeschoss des Turmes erinnert eine dekorative Klinkerinschrift an den Schwedenkönig Gustav Adolf. 1954 entstand in der Waldstraße der Neubau der Markuskirche, bei dem Schlichtheit und jeglicher Verzicht auf schmückendes Beiwerk im Vordergrund stehen. Auch verzichtete man bewusst auf einen Turm. Ein großes Stahlkreuz an der Fassade zur Waldstr. lenkt den Blick auf das Gotteshaus. Architekt Stadtmüller-Boldt schuf eine lang gestreckte Saalkirche mit seitlichem Eingang. Vom Vorraum aus geht der Blick geradlinig zum sandsteinfarbigen Altar und zur Kanzel. Der Schwarzwälder Architekt Wilhelm Hörr errichtete 1958 in den Walkmühltalanlagen aus Stahl und Beton die Kreuzkirche, ein Schmuckstück moderner Architektur. Dies zeigt sich u. a. in der Schlichtheit des Kirchenschiffes sowie in der Architektur des Turmes in Form eines Campanile. Der weite dreischiffige Hallenraum erhält Tageslicht vor allem durch das über der Empore gelegene große Südfenster mit Antikverglasung

In Frauenstein erbaute 1959 Architekt Körner die kleine Gustav-Adolf-Kirche. Die Gemeinde trägt seit 1982 den Namen Evangelische Dreikönigsgemeinde und zählt drei Standorte, neben Frauenstein Märchenland und Freudenberg. Laut Wolf strahlt der bescheidene Gottesdienstraum die »Intimität eines Wohnzimmers« aus.

1960/61 entstand auf der Adolfshöhe in Biebrich die Heilig-Geist-Kirche, »Hessens kühnster Kirchenbau«, wie es in der zeitgenössischen Tagespresse hieß. Architekt Herbert Rimpl entwarf auf dem Grundriss einer Parabel einen hohen, zweigeschossigen, parabolisch gewölbten Baukörper. Er variierte die gestalterische Grundform der Parabel auch in der Konstruktion des separat stehenden Glockenstuhls. Das durch Betonrippen gegliederte Gewölbe mündet sich verjüngend in den weiteren und höheren, schalenförmigen Altarraum. Je vier Fensternischen flankieren beidseits das Kirchenschiff. Das Kupferblechdach ist bis zum Boden herabgezogen. Über eine breite Freitreppe vor der Hauptfassade gelangt man in den Gottesdienstraum. Meisterhaft ist die Lichtführung. Während die in Beton gefassten roten und blauen Gläser der Hauptfassade und der seitlichen Fenster das Kirchenschiff in farbiges Dämmerlicht tauchen, wird der Chorraum durch helles Tageslicht hervorgehoben, das durch ein innen unsichtbares, Schiff und Chorhaupt verbindendes Fensterband einfällt.

Die 1963 eingeweihte Erlöserkirche in Kastel errichtete Architekt Rainer Schell als quadratischen, geschlossenen Kubus einfach und geradlinig. Im Westen ist ihm der freistehende, hoch aufragende Turm zugeordnet. Die Eingangsfassade im Süden und die Nordfassade sind aus Sichtbeton, West- und Ostfassade mit quadratischen Platten verblendet, in die mosaikartig kleine Natursteinplatten eingelassen sind. Anstelle der früheren Seiteneingänge zum Kirchenraum wurde 2006 ein zentraler Eingang geschaffen und darüber hinaus die Wand hinter dem Altar für ein großes künstlerisch gestaltetes Fenster durchbrochen. Die südliche Empore ist für die Gemeinde, die westliche für Chor und Orgel bestimmt. Auch die 1964 eingeweihte Thomaskirche ist ein Werk des Architekten Schell. Im Wechsel von Backstein, Sichtbeton und Holz schuf er einen schlichten kubischen Kirchenbau, der im unteren Geschoss von einem Pfeilergang umgeben ist. Neben dem Kirchenbau erhebt sich ein schmaler, weithin sichtbarer Turm im Campanile-Charakter.

Die 1965 geweihte Matthäuskirche wurde nach Plänen des Wiesbadener Architekten Wilhelm Neuser als einschiffiges Gotteshaus in bewusst niedriger Flachbauweise erbaut. Weißer Sichtbeton gibt der Wand Struktur. Separat wurde ein offener Glockenturm errichtet. In Kostheim entstand 1963–65 wiederum nach Plänen des Architekten Schell für die Stephanusgemeinde eine Kirche mit hohem, freistehendem Turm. Die Schmalseiten des schlichten Kubus sind in Sichtbeton belassen, die Längsseiten mit Ziegelsteinen zwischen Stahlbetonstützen verblendet.

Außergewöhnlich ist die 1967 geweihte Christuskirche der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). Architekt Siegfried Schmeling aus Kassel errichtete auf dem Grundriss einer weitgeöffneten Parabel einen roten Ziegelsteinbau, dessen Straßenfront wie ein Schiffsbug gebildet und mit einem mächtigen Kreuz versehen ist. Man erreicht den Kirchenraum über eine Treppe und einen 2009 entstandenen Kommunikationsraum. Die Johanneskirche von 1967, ein Bau des Architekten Friedrich Gottlieb Winter, Direktor der Werkkunstschule Krefeld, wurde 2012 wegen Einsturzgefahr abgerissen. Nur der schlanke Kirchturm mit seinen fünf Glocken blieb stehen. Das Wiesbadener Architekturbüro Hupfauf-Thiels ersetzte den Bau durch einen Kubus, der den Kirchenraum aufnimmt. Der Würfel hat eine goldfarbene Verkleidung aus wabenförmigem Streckmetall, die Fensterflächen wie Mauern bedeckt.

Im Kohlheck steht seit 1969 die Kirche der Paul-Gerhardt-Gemeinde. Der Wiesbadener Architekt und Regierungsbaumeister Rudolf Dörr errichtete sie als sogenannten Einraum auf dem Grundriss eines gestreckten, sich zum Chor hin verbreiternden Sechsecks. Die Südfassade mit dem hervorgehobenen Haupteingang gleicht einem Schiffsbug. Das stark geneigte Satteldach, gedeckt mit Kauber Schiefer, erinnert an ein Zelt. Die Stahlbetonkonstruktion ist außen mit Bruchstein verblendet. Auf dem Kirchplatz wurde 1984 anstelle eines ursprünglich geplanten Campanile ein Glockenturm in Gestalt einer Pyramide errichtet. 1971 erhielt die Petrusgemeinde in Erbenheim ein nach Plänen des Architekten Hans-Georg Möller, Wiesbaden, aus unverputztem Sichtbeton erbautes Gemeindehaus. Eine spätere Teilung des Gemeindesaales ermöglichte die Schaffung eines schlichten Kapellenraumes. 1971 wurde in der Siedlung Gräselberg die nach Plänen des Darmstädter Architekten Fritz Soeder erbaute Lukaskirche geweiht. Der bescheidene spitzgiebelige Klinkerbau in Zeltform soll an die zahlreichen Ziegeleien erinnern, die sich früher auf dem Gebiet befanden. Tief ist das Dach aus grauem Eternit heruntergezogen. In der Siedlung Klarenthal wurde 1972 ein Gemeindezentrum nach Plänen von Prof. Herbert von Wehrden erbaut. 1986 erhielt es durch einen zusätzlichen Rundbau seinen eigentlichen Gottesdienstraum. Über einen breiten Treppenaufgang und durch das Vestibül erreicht man die verglaste Kapelle.

Für die Versöhnungsgemeinde im Aukammtal schuf Architekt Schell 1974 ein multifunktionales Gebäude mit einem Mehrzwecksaal als Kirchenraum. Den gesamten Gemeindekomplex deckt eine Schieferdachlandschaft ab. Eine helle Holzdecke senkt sich über die Sitzreihen nach vorn zum Altar. Eine dreieckige Dachgaube gibt Licht und symbolisiert das »Auge Gottes«. Die Siedlung Schelmengraben in Dotzheim erhielt ein 1975 geweihtes Gemeindehaus. Verantwortlich für die Bauplanung war Architekt Udo Nieper, Darmstadt. Es entstand ein ebenerdiger Kirchenraum aus Backstein, Beton und Glas. Der Bau hat weder Turm noch Glocken. 1975 errichtete Hanno Siepmann in Schierstein für die Auferstehungsgemeinde in Sichtbetonbauweise das an einem Hang gelegene Gemeindezentrum mit einem integrierten Kirchenraum. Das 1980 eingeweihte Gemeindezentrum der Albert-Schweitzer-Gemeinde in Biebrichs Siedlung Parkfeld von Architekt Fritz Soeder ist ein schlichter Flachbau in Sichtbetonweise mit einem ebenso schlichten Kirchenraum. Große Fenster ermöglichen den Blick ins Grüne. Das Gemeindezentrum der Erlösergemeinde in der Siedlung Sauerland, entworfen von Architekt Wolfgang Thrun und seinem Sohn Thomas, wurde 1997 eingeweiht. Eine weit geschwungene Fassade umschließt den multifunktionalen, schlichten Kirchenraum, der mittels Schiebewänden variabel gestaltet werden kann. Das Vordach aus Metall und Glas scheint zu schweben; am First hängt eine kleine Glocke.

2000/01 wurde die erste Autobahnkirche Hessens nach Plänendes Architekten Prof. Hans Waechter auf dem Gelände der Tank- und Rastanlage Medenbach-West errichtet. Signifikant ist das in einem Winkel von 45 Grad aufsteigende schräge Glasdach der Kirche, die von Norden und Süden betreten werden kann. In einem von einem Kreuzgang umgebenen Atrium, von dem aus man durch Glastüren in das Innere der Kirche blicken kann, befinden sich neun Wassersprudler im Boden, die den Verkehrslärm dämpfen.

Literatur

Wittmann-Englert, Kerstin: Zelt, Schiff und Wohnung. Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, Lindenberg im Allgäu 2006.

Wolf, Stefan G.: Kirchen in Wiesbaden. Gotteshäuser und religiöses Leben in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden 1997.

Kreuzkirche Walkmühltalanlage, um 1970 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F001-276, Urheber: Joachim B. Weber
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