Jawlensky, Alexej von
Jawlensky, Alexej von
Maler
geboren: 13.03.jul. / 25.03.greg. 1864 oder 1865 in Torschok (Gouvernement Twer)
gestorben: 15.03.1941 in Wiesbaden
Artikel
Im 20. Jahrhundert verzahnt sich ein einziges Mal die Stadt Wiesbaden mit einem international wahrgenommenen Protagonisten der Kunstgeschichte: mit Alexej von Jawlensky. Hier malte er, von Ausnahmen abgesehen, seine abstrakten Köpfe, die in der Serialität der sogenannten Meditationen kulminierten. Sohn eines Obersten, absolvierte er seit 1877 eine militärische Ausbildung in Moskau. Durch Galeriebesuche zu einem praktizierenden Kunstkenner geworden, ließ er sich 1889 nach St. Petersburg versetzen und studierte Malerei bei Ilja Repin, in dessen Atelier er Marianne von Werefkin (1860–1938) kennen lernte, die als »Russischer Rembrandt« galt. In ihrer 1892 eidlich begründeten Lebensgemeinschaft verschrieb sich die Werefkin der Förderung Jawlenskys, auch um ihre eigene Schaffenskrise zu kompensieren. 1896 wählte das Paar als Domizil München. 1902 kam Andrej, der Sohn Jawlenskys mit Werefkins Dienstmädchen zur Welt, offiziell als sein Neffe ausgegeben.
Einer 1903 unternommenen Reise in die Normandie und nach Paris folgte 1906 ein längerer Aufenthalt in Frankreich. Zutiefst beeindruckten das Künstlerpaar die Werke von Paul Cézanne, Paul Gauguin und Vincent van Gogh; zu einem künstlerischen Höhepunkt geriet die Begegnung mit den Arbeiten von Henri Matisse. Von 1908 an traf man sich zu den legendären Mal-Konkurrenzen mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter in Murnau, wo die intellektuelle Werefkin zu einer Geburtshelferin der Klassischen Moderne avancierte, während Jawlensky der malerisch am weitesten Fortgeschrittene war. Zwischen 1911 und 1913 dominieren Jawlenskys expressive Köpfe, die den Bildraum ganz ausfüllen und in denen er sich am stärksten empfand. Das auffällige Bildnis Jawlenskys von 1912 im Museum Wiesbaden wird als ein Zenit im seinerzeitigen Schaffen des Malers angesehen.
Der Erste Weltkrieg vertrieb die Patchwork-Familie in die Schweiz, und Werefkin verlor im Zuge der Russischen Revolution ihre gesamte Pension. In einer bescheidenen Unterkunft am Genfer See entstanden Jawlenskys »Variationen über ein landschaftliches Thema«. 1916 begegnete Jawlensky der jungen Künstlerin Emilie Esther Scheyer (1889–1945), die er »Galka« rief (russisch für »Dohle«). Sein Zyklus »Mystische Köpfe« zeigt auch ihre markante Physiognomie. Per Vertrag wurde sie seine Agentin. Um die Aufmerksamkeit wieder auf den Maler zu lenken, gelang es ihr, seine Werke in einer durch deutsche Städte tourenden Verkaufsausstellung zu präsentieren, die auch vom Nassauischen Kunstverein e.V. übernommen wurde. Jawlensky blieb bei trügerischen Perspektiven in Wiesbaden, löste 1921 den für immer geschlossenen Bund mit Marianne von Werefkin auf und heiratete 1922 Helene Nesnakomoff, wenngleich – wie er ultimativ formulierte – einzig und allein des Sohns Andrej wegen.
Vor seiner Ankunft hatte ihm Galka Scheyer Wiesbaden angepriesen. Anvisiert war vor allen Dingen der Kontakt zu Heinrich Kirchhoff, dessen Sammlung stetig an Attraktivität gewonnen hatte, und zum NKV, der damals zu den führenden Kunstvereinen in Deutschland zählte. In seinen autobiografischen Notaten erinnert Jawlensky an Wiesbadener Persönlichkeiten. Josef Vinecký, Schöpfer der Majoliken im Kaiser-Friedrich-Bad, fertigte für Jawlensky spezifische Bilderrahmen. Erwähnt sind ferner der Architekt und Maler Edmund Fabry sowie das Künstlerpaar Annie und Arnold Hensler. Eine wertgeschätzte Gesprächspartnerin hatte Jawlensky in der Kunstwissenschaftlerin Mela Escherich. Inzwischen war der Vertrauten Galka Scheyer ihre Zweck- und Ausstellungsformation »Die Blaue Vier« mit Kandinsky, Klee, Feininger und J. als transatlantisches Projekt geglückt, um kunstmissionarisch wirken zu können. 1927 lernte Jawlenksy die Malerin und Designerin Elisabeth (Lisa) Kümmel kennen, die ihm bis zu seinem Lebensende so nah war wie niemand. Im selben Jahr machten sich bei ihm erste Symptome einer Polyarthritis deformans bemerkbar, die eine kontinuierliche Minimierung seiner Lebensqualität zur Folge hatten. Hilfe erfuhr er auch von Hanna Bekker vom Rath, die 1929 die »Vereinigung der Freunde der Kunst Alexej von Jawlenskys« gründete.
1933 wurde über seine Arbeiten ein Ausstellungsverbot verhängt, 1934 erhielt Jawlenksy die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Lisa Kümmel reiste er im Jahr darauf in die Schweiz, um Werke von Paul Klee zu sehen. Beide schwer erkrankten Künstler, der eine verfemt, der andere bespitzelt, nahmen in Bern voneinander Abschied. Zu diesem Zeitpunkt war Jawlenksy schon dabei, seine sogenannten Meditationen auszuführen. Diese ungezählten Konfigurationen muten durch ihren Entstehungsprozess, eine Art rituelle Visualisierung, extrem modern an. 1936 war Jawlenksy Mitglied der Reichskulturkammer geworden, ein Jahr später wurden seine Bilder in der NS-Propagandaschau »Entartete Kunst« in München diffamiert.
Der Tod Marianne von Werefkins 1938 stürzte Jawlensky in tiefste Depression, die zu seiner vollständigen Lähmung führte, so dass sein Schaffen noch zu Lebzeiten abbrach. Bei seiner Beerdigung 1941 auf dem Russischen Friedhof sprach der Künstlerfreund Adolf Erbslöh.
Literatur
Hildebrand, Alexander: Alexej Jawlensky. Reflexe auf Leben und Werk 1921–1941. In: Jawlenskys japanische Holzschnittsammlung. Red. Martin Hildebrand, Bad Homburg 1992 [S. 47–75].
Hildebrand, Alexander: Hauptsache Wirkung. Zum 150. Geburtstag des Malers Alexej Jawlensky. In:. Nassauische Annalen 126/2015 [S. 321–338].
Horizont Jawlensky. Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900–1914, Ausstellungskatalog, Museum Wiesbaden/Kunsthalle Emden. Hrsg.: Zieglgänsberger, Roman, München 2014.