Arbeitsmigration seit 1945
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In den 1950er-Jahren wurden mit Italien (1955), Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968) Anwerbevereinbarungen geschlossen.
Auch nach Wiesbaden kamen die ersten jungen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter [im Folgenden schließt die männliche Form als Sammelbegriff auch die Frauen ein] und waren vorwiegend im handwerklich- industriellen Sektor beschäftigt, wie z. B. bei den Werken Kalle-Albert, Rheinhütte und Dyckerhoff. Aber auch im Bau- und Baunebengewerbe, Fahrzeugbau, Gesundheitssektor und bei den Stadtwerken wurden zahlreiche ausländische Arbeitskräfte benötigt. In manchen Betrieben und Einrichtungen machten Ausländer 25 bis 30 % der Belegschaft aus, der Durchschnitt lag bei 5 %. Während 1965 7.342 ausländische Arbeitnehmer in Wiesbaden beschäftigt waren, waren es 1973 über doppelt so viele (15.229).
Das Zusammenleben mit den Deutschen in der Anfangszeit der Migration gestaltete sich nicht immer einfach. Neben restriktiven aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen gab es auch soziokulturelle Integrationsprobleme. Fast alle Arbeitsmigranten waren allein gekommen. So lebten in den kasernenartigen Firmenunterkünften nicht selten vier Ausländer in einem Raum mit zwei Hochbetten, einem Tisch und vier Stühlen. Da die Lebensbedingungen teilweise menschenunwürdig waren, kam es nicht selten zu Protesten.
Die Mehrheit der Arbeitsmigranten wollte nur für kurze Zeit in Deutschland arbeiten und eine eigene Existenz in der Heimat aufbauen. Für die meisten erfüllte sich dieser Traum nicht und viele blieben hier. Mit dem Anwerbestopp von 1973 kam es zu einem verstärkten Familiennachzug. Die ökonomisch motivierte, provisorische Individualmigration entpuppte sich allmählich als dauerhaftes soziales Familienprojekt. Während 1955 nur 3.000 Menschen mit ausländischen Wurzeln in Wiesbaden lebten, waren es zehn Jahre später 10.000, wobei die Italiener, Spanier, Griechen und Türken die Liste anführten. Der Frauenanteil lag bei knapp einem Viertel. 1983 lebten fast 32.000 Migranten in Wiesbaden. Die provisorische Lebensweise und Ausgrenzungen auf dem Wohnungsmarkt führten dazu, dass in einer meist überteuerten 1- bis 2-Zimmerwohnung eine mehrköpfige Familie leben musste. Während 1966 176 ausländische Kinder Wiesbadener Volksschulen besuchten, waren es 1971 bereits 900 Schüler aus über 25 Ländern.
Um das Leben in der deutschen Gesellschaft und das Zusammenleben mit den Deutschen zu erleichtern, wurden in den 1960er-Jahren die ersten kulturellen Treffpunkte organisiert, wie z. B. der internationale Ausländerclub in Wiesbaden.
Später kamen nationalspezifische Einrichtungen hinzu. So wurde 1963 in der Friedrichstraße 7 das Katholische Zentrum der Italiener mit einer seelsorglichen Beratungsstelle, einem Fürsorgebüro, einem Klubraum und einer kleinen Kapelle gegründet. Im Kolpinghaus wurden Klubräume für Spanier eingerichtet. Das Diakonische Werk gründete 1965 in der Moritzstraße einen Treffpunkt für die 1.200 griechischen Gastarbeiter in Wiesbaden. 1970 öffnete das Kroatenzentrum am Kaiser-Friedrich-Ring seine Türen. 1971 entstand der Türkisch-Deutsche Kulturverein, zehn Jahre später der Türkisch-Islamische Verein in der Oranienstraße. Die portugiesischen Gastarbeiter bekamen 1974 ein kulturelles Zentrum am Michelsberg.
Um die sozialen Probleme zu lösen, betreute der »Assistente sociale« (Fürsorger) in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband über 1.000 italienische Saisonarbeiter in über 50 Wiesbadener Betrieben bei Sprachproblemen, Steuerfragen und aufenthalts- bzw. arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Türkische und jugoslawische Arbeitnehmer wurden in der Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt betreut. Gleichzeitig organisierte man in den Ausländerkursen der Volkshochschule Wiesbaden e.V. Gesprächskreise für Deutsche und Nichtdeutsche. Dort und später im Internationalen Bund für Sozialarbeit wurde Deutschunterricht erteilt. 1974 wurde die erste Bücherei für Ausländer gegründet.
Die Eigeninitiativen der Gastarbeiter und die Bemühungen der Stadt Wiesbaden konnten zwar Abhilfe schaffen, doch nicht alle sozialen und kulturellen Integrationsprobleme konnten damit gelöst werden. Daher beschloss der Magistrat 1970 die Bildung des ersten Ausländerbeirats in Deutschland.
Viele der ehemaligen Arbeitsmigranten leben inzwischen in der vierten Generation in Wiesbaden. Am 31.12.2014 hatten 96.270 Menschen einen Migrationshintergrund (34,1 % der Gesamtbevölkerung), darunter verstärkt Migranten aus Ost- und Südosteuropa. Daraus ergibt sich für 2014 eine veränderte Reihenfolge bei den Herkunftsländern: Aus der Türkei stammten 16.186, aus Polen 6.593, aus der Russischen Föderation 5.172, aus Marokko 4.965 und aus Italien 4.868 Menschen. Es folgen Kasachstan, Griechenland und Rumänien unter den ersten Acht. Eine ausländische Staatsangehörigkeit hatten Ende 2014 51.856 Menschen aus über 100 Nationen.
Das gegenwärtige Stadtbild beweist, dass Migranten schon längst zur deutschen Gesellschaft gehören. Exemplarisch für den großen sozialen und kulturellen Wandel ist z. B. Biebrich mit einer beachtlichen griechischen Gemeinde, aber vor allem die Wiesbadener Wellritzstraße. Ende 2014 bekannten sich etwa 11,6 % der Wiesbadener zum Islam.
Literatur
Migrantinnen und Migranten in Wiesbaden, Hrsg. von der Landeshauptstadt Wiesbaden, Amt für Wahlen, Statistik und Stadtforschung, Wiesbaden 1/200.
»Personen mit Migrationshintergrund«. Aktueller Stand des Nachweises in der Statistik. Landeshauptstadt Wiesbaden, Amt für Wahlen, Statistik und Stadtforschung (Hrsg.), Oktober 2010.
Wiesbadener Stadtanalysen. Herkunftsspezifische Integration Landeshauptstadt Wiesbaden, Amt für Wahlen, Statistik und Stadtforschung (Hrsg.), Oktober 2012.