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Militär in Wiesbaden

Artikel

Nassauische Garnisonsstadt 1744 bis 1866

Das Fürstentum Nassau-Usingen, dessen Regierungssitz seit 1744 Wiesbaden war, unterhielt in den 1790er-Jahren in zwei Kompanien kaum 100 Mann Infanterie, die teilweise in Wiesbaden und Biebrich bei Bürgern einquartiert waren. Als das Fürstentum 1802/03 als Ausgleich für in Folge der Revolutionskriege auf der linken Rheinseite verlorene Territorien rechtsrheinisch reich entschädigt wurde, gelangten mit diesen ehemals kurmainzischen, kurkölnischen und kurtrierischen Gebieten auch Truppenteile zum Fürstentum. Das Militär konnte so auf drei Bataillone aufgestockt werden, von denen das I. in Wiesbaden und Biebrich und Teile vom III. in Kastel stationiert waren. In Stärke von zunächst nur 15 Mann entstand in Biebrich als Garde des Fürsten das Korps Reitende Jäger.

1806 gehörten die beiden nassauischen Fürstentümer Usingen und Weilburg zu den Gründungsmitgliedern des unter dem Protektorat Napoleons stehenden Rheinbundes. Wenige Monate später verlangte dieser die nun vier nassauischen Bataillone und die auf zwei Eskadronen mit zusammen 320 Mann angewachsene Kavallerie für seinen Krieg gegen Preußen. Zur Anpassung an das französische System wurde aus je zwei Bataillonen ein Regiment à 1.730 Mann formiert, wobei das 2. Regiment mit einer kurzen Unterbrechung bis zum Ende des Herzogtum Nassaus (1866) seine Heimat in Wiesbaden hatte und Teile des 1. Regiments in Biebrich stationiert waren. 1808 wurde ein Wehrpflichtgesetz erlassen, das im Wesentlichen bis 1866 Gültigkeit hatte und den wohlhabenden Bürgern ermöglichte, anstelle ihrer Söhne gegen Geld sogenannte Einsteher dienen zu lassen.

1808 verlangte Napoleon das unter dem Kommando des Oberstleutnants August Freiherr von Kruse stehende 2. Nassauische Regiment und die 2. Eskadron für seinen verlustreichen Feldzug auf der iberischen Halbinsel. Das 1. Regiment musste ein Jahr später nach Österreich und dann ebenfalls nach Spanien marschieren. Das Generalkommando und das umfangreiche Depot befanden sich in Biebrich. Beim Übertritt Nassaus zu den Alliierten ging das 2. Regiment im Spätjahr 1813 zu den Engländern über und wurde dann bis 1820 als Subsidientruppe an die Niederlande vermietet. Das 1. Regiment und die Reitenden Jäger wurden in Frankreich interniert. Zur Teilnahme an der Schlacht von Waterloo 1815 mussten neue Truppen aufgestellt werden. Als seinen Anteil an der Kriegsbeute erhielt Nassau acht Geschütze, mit denen unter Heinrich von Hadeln ab 1820 eine Artillerieabteilung aufgebaut wurde.

Obwohl Wiesbaden als wasserarme Stadt für die Unterbringung der nötigen Anzahl von Pferden äußerst ungeeignet war, bestand der Herzog auf der Stationierung der teilweise berittenen Truppe in der Stadt, weil er sie anstelle der aufgegebenen Kavallerie als Garde um sich haben wollte. Die Stärke der in Wiesbaden stationierten und der Verfügungsgewalt des Deutschen Bundes unterworfenen Einheiten variierte jahreszeitlich sehr stark, weil es aus Ersparnisgründen viele Beurlaubungen gab. Der Höchststand an Präsenz wurde im September während der fast in jedem Jahr stattfindenden Übungen erreicht. Das Infanterieregiment war dann ca. 1.850 Mann stark und die Artillerie zählte mit den bei ihr untergebrachten Pionieren etwa 440 Köpfe.

Trotz einiger Unzulänglichkeiten war das Militär wie in anderen Garnisonsorten auch in Wiesbaden gern gesehen, z. B. bei Handwerkern, die für die Truppe arbeiteten, und in den Wirtshäusern, in denen vor allem die Unteroffiziere und gemeinen Soldaten zu Gast waren. Willkommen waren die jungen Männer auch als preiswerte Aushilfsarbeiter. Der Zuverdienst zum kargen Sold war ihnen ausdrücklich gestattet. Die Offiziere und Militärbeamten nahmen am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil, sie trafen sich mit der Elite der Wiesbadener Bürger auf den teuren Plätzen im Theater. Viele von ihnen waren auch Mitglieder in der Wiesbadener Casino-Gesellschaft, und Hausbesitzer schätzten sie als Mieter. Die Regimentsmusik war bei Kurkonzerten beliebt, wie einige ihrer Mitglieder zeitweise auch im Theater das Orchester bildeten.

Als störend empfand man hingegen das Exerzieren auf den schönen Alleen. Mit der Einrichtung des Exerzierplatzes in der Nähe der Fasanerie wurde aber schon 1811 Abhilfe geschafft. Ein ständiges Ärgernis stellte die Unterbringung der Soldaten in Privatwohnungen dar. Die politischen Gremien der Stadt Wiesbaden verlangten deshalb den Bau einer Kaserne. 1817/18 entstand an der Westseite der Schwalbacher Straße gegenüber der Friedrichstraße bis zur Dotzheimer Straße im klassizistischen Stil die Infanteriekaserne. Für die Artillerie, die zunächst in Nebengebäuden des Schlosses untergebracht war, wurde 1828/29 in dem Viereck zwischen Luisenstraße, Schwalbacher Straße, Rheinstraße und Kirchgasse die mächtige Artilleriekaserne mit Ställen, Remisen, Zeughaus, je einem Gebäude für das Generalkommando und für das Hospital erbaut. Da es im Kasernengelände kein Wasser gab, musste es aus öffentlichen Brunnen herangetragen werden. Bis 1866 waren die nassauische Artillerie und die Pioniere in dem Komplex untergebracht, dann bis 1911 Teile des preußischen 1. Nassauischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 27 Oranien.

Kranke Soldaten waren zunächst in Privathäusern einquartiert. Dann wurde für das Militärhospital ein Teil des Zivilhospitals reserviert. Schließlich wurde an der Schwalbacher/Ecke Dotzheimer Straße 1828/29 ein Lazarett errichtet. Der Bau erwies sich für diesen Zweck aber als ungeeignet, weshalb 1841/42 in unmittelbarer Nachbarschaft ein neues Lazarett gebaut wurde. In das frühere Lazarett zog die Militärschule (Kadettenschule) ein, die damit nach längerer Odyssee eine endgültige Bleibe gefunden hatte. Wo sich diese 1810 gegründete Kadettenschule zuerst befand, ist nicht überliefert. Kurzfristig war die Anstalt im Erbprinzenpalais in der Wilhelmstraße/Ecke Friedrichstraße untergebracht, wurde dann aber in die Infanteriekaserne verlegt, vermutlich in das Gebäude, das vorher Hospital war. Um 1822 erhielt die Schule im Gelände des Alten Herrngarten auf einem dem General von Kruse gehörenden Areal ein neues Gebäude. 1848/49 war die Militärschule geschlossen, weil sie nicht in das Konzept der Revolutionsregierung passte.

Für die Reitenden Jäger wurde 1802/03 in Biebrich am heutigen Adolfsplatz eine Kaserne gebaut, die nach Auflösung der Kavallerie 1815 für Teile des 1. Infanterieregiments umgebaut wurde. Diese Truppenteile wurden in Biebrich stationiert, um als Wachen für das Schloss und den Park zur Verfügung zu stehen. Hierzu befand sich an der nördlichen Schmalseite des Schlosses ein sogenanntes Wachhaus. Zur Biebricher Garnison gehörte die am Rhein gelegene »Militärschwimmschule«. Als 1855 als Eliteeinheit und Garde des Herzogs das 800 Mann starke Jägerbataillon aus ausgesuchten Männern der beiden Regimenter gebildet wurde, musste eine neue Kaserne gebaut werden. Der vierstöckige Backsteinbau entstand nach 1857 an der Rheinfront nach Plänen des nassauischen Ingenieurhauptmanns August Adam Johann von Sachs.

1848/49 mussten Infanterie und Artillerie mehrmals nach Baden zur Niederschlagung der Aufstände und nach Schleswig-Holstein zum Krieg gegen Dänemark ausrücken. Ihr letzter militärischer Einsatz war die Teilnahme am Deutschen Krieg an der Seite Österreichs gegen Preußen 1866.

1866 bis 1945

Infolge der Niederlage Österreichs wurde das Herzogtum Nassau vom Königreich Preußen annektiert und die nassauischen Truppen in die preußische Armee überführt. Die ehemals nassauische Artillerie wurde dabei in die II. Fußabteilung des Hessischen Feldartillerie-Regiments Nr. 11, mit Garnison in Wiesbaden übernommen. Die III. Abteilung wurde in Mainz sowie in Kastel stationiert. Nach dem Deutsch‑Französsichen Krieg von 1870/71 wurde es erneut zum Nassauischen Feldartillerie-Regiment Nr. 27 umgegliedert. Am 27.01.1902, dem Geburtstag des Kaisers, verlieh Wilhelm II. dem Regiment den Namenszusatz »von Oranien«. Ebenfalls 1866 entstand das Hessische Füsilierregiment Nr. 80. Später, am 27.01.1889, erhielt es den Namen des bei Sedan gefallenen preußischen Generals von Gersdorff und den Namenszusatz »Kurhessisches«. Das Füsilier-Regiment von Gersdorff (Kurhessisches) Nr. 80 wurde in der Folge zum Wiesbadener »Hausregiment«; es zog in die 1857 in Biebrich errichtete Kaserne.

Im Ersten Weltkrieg kämpften die Wiesbadener Regimenter sowohl auf den westlichen als auch den östlichen Kriegsschauplätzen und hatten dabei zahlreiche Tote und Verwundete zu beklagen. Mit dem Ende des Krieges und der deutschen Niederlage wurden die Regimenter aufgelöst, wobei sie nicht mehr in ihre Garnison nach Wiesbaden zurückkehrten, sondern bereits in Braunfels an der Lahn (Füsiliere) und Weilburg (Artilleristen) demobilisiert wurden. In Wiesbaden gab es folglich keine deutsche Garnison mehr.

Es folgte die Zeit der alliierten Besatzung, zunächst durch französische, später durch britische Soldaten. Erst 1936 wurde Wiesbaden wieder deutsche Garnisonsstadt. Im Oktober 1936 erfolgte, von Mainz kommend, der Einmarsch des Regimentsstabes der Wehrmacht sowie des dritten Bataillons des Infanterie-Regiments 38 nach Wiesbaden. Diese Truppenteile wurden später in das neu aufgestellte Infanterie-Regiment Nr. 87 überführt, wobei für die Traditionspflege der nassauischen Truppenteile vor allem das in Mainz stationierte I. Bataillon verantwortlich war. Darüber hinaus wurde die Stadt Sitz des Generalkommandos des XII. Armeekorps, des Höheren Kommandeurs der Festungsflakartillerie III, der Wehrkreisverwaltung XII, der Wehrersatzinspektion XII, des Luftgaukommandos XII, ebenso der Nachrichtenabteilung 52 sowie des Luftgaunachrichtenregiments XII. Im Gedenken an das Leid des Krieges befindet sich seit dem Jahr 1954 auf dem Neroberg ein Gedenkstein für die gefallenen und vermissten Soldaten des Infanterie-Regiments Nr. 87.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen erneut alliierte Soldaten in die Stadt, diesmal unter amerikanischer Flagge. Die Amerikaner bezogen die ausgedehnten Wiesbadener Kasernenanlagen und es begann ein neues Kapitel in der internationalen Garnisonsgeschichte der Stadt Wiesbaden.

Bundeswehr ab 1955

Im Zuge der deutschen Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch Wiesbaden wieder Garnisonsstadt. Die strikte Trennung zwischen militärischen Truppenteilen und einer zivilen Verwaltung war eine der wesentlichen Neuerungen in der Organisation deutscher Streitkräfte nach 1945, und so wurde auch Wiesbaden Sitz einer Verwaltungseinheit, der Wehrbereichsverwaltung IV. Weitere Bestandteile der zivilen Verwaltung war das Wehrbereichsgebührnisamt, zuständig für alle Besoldungsangelegenheiten der Soldaten, und das Wehrbereichsbekleidungsamt am Phillipsring in Mainz-Kastel.

Der Kommandeur des örtlichen Verteidigungskreiskommandos war in Personalunion gleichzeitig der Standortälteste der Wiesbadener Garnison. Das Verteidigungskreiskommando bildete ein wichtiges Scharnier zwischen Streitkräften und den zivilen Behörden und sollte im Verteidigungsfall zahlreiche Sicherungsaufgaben im Raum Wiesbaden übernehmen. In diesen Zusammenhang gehörte auch die in der Juliusstraße untergebrachte Verkehrskommandantur 740, die wichtige Aufgaben im Bereich der Verkehrsleitplanung zu übernehmen hatte.

Die bekanntesten Truppenteile waren aber wohl die in der Schiersteiner Hafenkaserne stationierten Flusspioniere. Der Pionierstützpunkt war zunächst von den amerikanischen Streitkräften errichtet worden, bevor dieser im Juli 1958 an die Bundeswehr übertragen wurde. Die mehrfach umbenannte Wiesbadener Flusspionierkompanie 851 (bis 1959: Pi-Fluß-Kp (TV) 791, bis 1973: FlußPiKp 735, bis 1980: FlußPiKp 882) hatte in den 1980er-Jahren einen Einsatzraum zu betreuen, der sich am Rhein von Kehl bis nach Neuwied erstreckte. Hauptauftrag hierbei war es vor allem, mit Hilfe von kurzfristig verfügbaren Ersatzübergängen über den Rhein die Beweglichkeit und Operationsfreiheit der NATO-Truppen zu gewährleisten. Ebenfalls in der Hafenkaserne angesiedelt war der Pionierinstandsetzungspunkt 883 (bis 1961: Bootsinstandsetzungsstützpunkt, bis 1971: Pionierinstandsetzungspunkt 744), der 1994 aufgelöst wurde; die Kaserne wurde anschließend der zivilen Nutzung übergeben.

Die aktuell noch in Wiesbaden verbliebenen Verwaltungsstellen haben bereits 2002 ihre Selbstständigkeit verloren und gehören heute zum Geschäftsbereich des Bundesverwaltungsamtes. Wichtigste militärische Dienststelle in der Stadt ist heute das Landeskommando Hessen, das 2007 in Dienst gestellt wurde. Als zentrale Kommandobehörde der territorialen Wehrstruktur bildet es das entscheidende Verbindungselement zwischen den Streitkräften und der hessischen Landesregierung und dient als erster Ansprechpartner für Unterstützungsleistungen der Bundeswehr in Hessen.

Literatur

Käser, Gustav: Pioniere des deutschen Heeres 1955–2000. Chronik einer Truppengattung, Stuttgart 2000 [S. 99f, 108].

Müller-Schellenberg, Guntram: Das nassauische Militär in napoleonischer Zeit, Taunusstein 2007.

Schmidt-Eenboom, Erich: Wiesbaden – Eine Analyse der militärischen Strukturen in der hessischen Landeshauptstadt, Starnberg 1987.

Spielmann, Christian/Krake, Julius: Historischer Atlas der Stadt Wiesbaden. Zwölf digitalisierte Stadtkarten von Wiesbaden 1799–1910, bearbeitet von Thomas Weichel unter Mitarbeit von Rudolf Krämer, Wiesbaden 2002 [S. .29 f., 31, 33, 35].

Wacker, Peter: Das herzoglich-nassauische Militär 1813–1866. Militärgeschichte im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und sozialen Verhältnissen eines deutschen Kleinstaates (mit Beiträgen von Guntram Müller-Schellenberg), Taunusstein 1998.

Wilhelmi, [Ludwig Karl Friedrich]: Geschichte des Königlich Preußischen 1. Nassauischen Feldartillerie-Regiments Nr. 27 Oranien, Wiesbaden 1910.