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Wirgin, Kamerawerke

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Der Grundstein des Kamerawerks Gebrüder Wirgin in Wiesbaden wurde am 01.09.1920 von den vier Brüdern Heinrich, Max, Josef und Wolf Wirgin gelegt. Die jüdische Familie war aus dem polnischen Radon nach Deutschland gekommen.

Zunächst als feinmechanische Werkstätte mit Vertrieb in der Schiersteiner Straße 9 ansässig, stellten sie ab 1924 – angefangen vom Holzgehäuse – fast alles selbst her. Eigene Vorkriegsproduktionen waren die Laufboden- Plattenkameras »Philos« (1924) und »Metadux« sowie die Rollfilmkameras »Gewirette« und »Gewir«. Bald zog das expandierende Werk in die Dotzheimer Straße 172.

Ende der 1920er-Jahre war die Firma etabliert. Die Unternehmensbereiche waren unter den Brüdern aufgeteilt: Heinrich hatte als Kaufmann die Gesamtentwicklung des Betriebes inne, Josef war für die technische Entwicklung und Wolf für Buchhaltung und Finanzen zuständig. Promoviert und sprachbegabt, erledigte Max die Korrespondenz und sorgte für die Abwicklung sowie den Export. Er baute den ausländischen, vor allem aber den amerikanischen Markt auf. 1933 belief sich der Exportanteil des Umsatzes auf 85 %.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die wirtschaftlichen Restriktionen für das jüdische Unternehmen immer existenzbedrohender, und 1938 wurde das Kamerawerk Wirgin zwangsverkauft. Schließlich übernahm die Firma Adox Fotowerke von Dr. Carl Schleussner, Frankfurt am Main, für 22.000 RM die Wirgin Kamerawerke inklusive Inventar, Grundstücke und 80 der 100 Mitarbeiter. Der Vater und die Brüder waren schon ausgewiesen worden, als Heinrich Wirgin (1899–1989) 1938 mit Hilfe seines Mitarbeiters Seppl Haas in die USA flüchtete. Nach Kriegsende kehrte er nach Wiesbaden zurück und wagte trotz zerstörter Infrastruktur, Materialknappheit sowie vorgeschriebener Abgaben an die Alliierten den Wiederaufbau.

Die Rückübertragung verlief gütlich, ein Vergleich wurde geschlossen und das Unternehmen 1948 wieder im Handelsregister eingetragen. Mit seinem späteren Chefkonstrukteur Heinz Waaske (1924–1995) hatte Wirgin 1948 einen technisch hochbegabten Feinmechaniker und marktwirtschaftlich orientierten Mitarbeiter mit Erfindergeist gewonnen, der die erfolgreichsten Modelle des Unternehmens entwickelte. 1955 startete das Unternehmen mit der »Edixa-Reflex« durch, der ersten in Westdeutschland hergestellten Kleinbild-Spiegelreflexkamera, die ein großer Erfolg wurde. Die Firma expandierte und beschäftigte bald über 300 Mitarbeiter. Der Export in zahlreiche Länder in und außerhalb Europas brachte sehr gute Umsatzergebnisse.

Seit jedoch Mitte der 1960er-Jahre die japanische Konkurrenz auf den Markt getreten war, erschienen Wirgins Modelle und die vieler anderer deutscher Hersteller als unmodern und für die Verbraucher zu teuer. 1968 musste die Firma Konkurs anmelden und wurde in die Edixa GmbH umgewandelt, die weiter produzierte, das Unternehmen aber nicht mehr retten konnte. Das neue Modell Edixa-Electronica TL aus dem Jahr 1970 kam zu spät und unausgereift auf den Markt. 1971 wurde die Produktion eingestellt und 1988 der Markenname Edixa an einen Fotoimporteur verkauft. Die seitdem unter diesem Namen vertriebenen Kameras stammen aus Fernost.

Heinrich (Henry) Wirgin, der in der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden engagiert war und ostjüdische Zuwanderer unterstützte, wurde auf dem Nordfriedhof begraben.

Literatur

Eikmann, Jörg; Vogt, Ulrich: Kameras für Millionen: Heinz Waaske. Konstrukteur. Edixa. Rollei. Voigtländer. Minox. Robot. Zeiss, Hückelhoven 1997.

Zeitungsausschnittsammlung Stadtarchiv Wiesbaden, "Wirgin, Kamerawerke".