Revolution 1848/49
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Die Ereignisse der Pariser Februarrevolution vom 24.02.1848, die Initialzündung für eine Reihe europäischer Revolutionen, fielen auch in Wiesbaden auf fruchtbaren Boden. Die Gründe für das Aufbegehren waren, insbesondere bei der Landbevölkerung, vor allem wirtschaftlicher Natur. Die vergangenen Missernten mit anschließender Teuerung, insbesondere bei Kartoffeln, und die ersten Begleiterscheinungen der beginnenden Industrialisierung im Rhein-Main-Gebiet bewirkten einen Strukturwandel der Arbeitsverhältnisse und die Entstehung einer sozialen Protestbewegung. Die liberalen Wortführer wollten jedoch keine Revolution, sondern die Durchsetzung von Reformen auf gesetzlicher Grundlage, eine Geisteshaltung, die auch von weiten Teilen der Wiesbadener Bevölkerung mitgetragen wurde.
So kam es am 02. und 04.03.1848 auf dem Wiesbadener Schlossplatz zu bisher unbekannten Massenversammlungen, zu denen sich bis zu 30.000 Menschen, vor allem aus den umliegenden Landgemeinden, in Wiesbaden versammelten. Gefordert wurde die sofortige Umsetzung der neun »Forderungen der Nassauer«: Aufstellung einer Bürgerwehr, unbedingte Pressefreiheit, sofortige Einberufung eines Deutschen Parlaments, Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Vereinigungsfreiheit, Öffentlichkeit bei Schwurgerichtsverfahren, Umwandlung der Domänen in Staatseigentum, Reform des Wahlgesetzes und weitestgehende Religionsfreiheit.
Hiervon wurden zunächst nur die Pressefreiheit und die Aufstellung einer Bürgerwehr gewährt. Ein 16-köpfiges »Sicherheitskomitee« übernahm in der Folge faktisch die Regierungsgewalt. Doch die Menschen beharrten auf einer vollständigen Bewilligung aller Forderungen. Aufgrund der Abwesenheit des Herzogs wurde die Lage immer bedrohlicher. Die Menge unternahm erste Versuche, Zeughaus und Theater zu erstürmen. Eine größere Gruppe bewegte sich entschlossen auf das Stadtschloss zu. Vereinzelte Forderungen nach Einsetzung einer provisorischen Regierung und Errichtung einer Republik kamen auf, fanden in Wiesbaden aber keine Mehrheit. Eine Eskalation konnte erst durch das entschiedene Auftreten der Bürgerwehr verhindert werden. Es ist dabei bezeichnend für die Wiesbadener Verhältnisse, dass ausgerechnet das Bürgertum unter Führung des Republikaners Georg Böhning die Verteidigung der Monarchie übernahm. Nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt bewilligte der Herzog mit seiner Regierung alle Forderungen, woraufhin er von der Bevölkerung umjubelt und gefeiert wurde.
Bereits im April wurde der liberale Jacob Ludwig Philipp August Franz Hergenhahn zum Staatsminister ernannt. Im Mai konstituierte sich ein neu gewählter nassauischer Landtag. Die Wahlen und die sie begleitende Berichterstattung führten zu einer kurzfristigen Politisierung weiter Bevölkerungsteile, was sich vor allem in der kurzen Blüte einer ausgeprägten Zeitungslandschaft, den vielfältigen politischen Vereinsgründungen wie der »Republikanischen Gesellschaft« oder dem Arbeiterverein sowie den zahlreich vorgebrachten Petitionen an die Frankfurter Nationalversammlung ablesen ließ. Doch gelang keine dauerhafte Stabilisierung der politischen Lage, was vor allem in der sich verschlechternden Wirtschaftslage begründet lag, unter der insbesondere die Bauern der umliegenden Ortschaften zu leiden hatten.
Infolgedessen kam es im Juli 1848 zu tumultartigen Szenen, als zahlreiche Wiesbadener unter der Leitung von Friedrich Graefe, Oswald Dietz und Georg Böhning versuchten, inhaftierte Artilleriesoldaten zu befreien. Am Ende wurde die Stadt von Bundestruppen besetzt, die Bürgerwehr zunächst entwaffnet und später umfassend reorganisiert. Mit dem Scheitern der Reichsverfassungskampagne und dem damit verbundenen Erstarken der Reaktion wurde die alte Ordnung weitgehend wieder hergestellt.
Literatur
Eiler, Klaus: Opposition und Revolution im Herzogtum Nassau. In: Schmidt-von Rhein, Nassauische Residenzstadt [S. 63–78].
Müller-Schellenberg, Guntram (Bearb.): Revolution in Wiesbaden, Augenzeugenberichte vom 4. März 1848, Taunusstein 2008.