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Film in Wiesbaden

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Die frühesten filmischen Zeugnisse Wiesbadens entstanden 1900–1910. Mit Titeln wie »Kaiserfesttage in Wiesbaden« (1900), »Blumenkorso in Wiesbaden« (1908) oder »Rennen in Wiesbaden« (1910) wurden kurze, dokumentarische Szenen lokaler Ereignisse festgehalten. Den ersten abendfüllenden Wiesbadener Spielfilm produzierte 1918 eine Berliner Firma: »Unter falscher Maske«. Im gleichen Jahr gründete Edwin »Edy« Georg Dengel Wiesbadens erste Filmproduktionsgesellschaft, die Axa-Film Company mit Sitz in Biebrich. Als Produzent, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion realisierte Dengel zahlreiche serielle Detektiv-, Slapstick- und Wildwestfilme nach amerikanischem Vorbild. Anfang der 1920er-Jahre folgte die Gründung weiterer Filmfirmen in Wiesbaden.

Die nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Siegermächten vorgenommene Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen begünstigte die Entwicklung dezentraler Strukturen, von denen auch die Filmwirtschaft betroffen war. So entstanden neue Produktionsstätten u. a. in Bendestorf bei Hamburg, in Göttingen und in Wiesbaden. Dort wurde ab Januar 1949 auf dem ehemaligen Freizeitgelände Unter den Eichen als Zweigstelle der Berliner AFIFA (Aktiengesellschaft für Filmproduktion) ein Filmatelier mit angeschlossenem Kopierwerk errichtet. Treibende Kraft war der damalige Oberbürgermeister Hans Heinrich Redlhammer, der (zusammen mit dem Regisseur Curt Oertel und unter Einbeziehung der US Besatzungsbehörden) eine engagierte, einschlägige Standortpolitik betrieb. Im Frühjahr 1949 entstand mit »Mordprozess Dr. Jordan« der erste, in Wiesbaden gedrehte Nachkriegsfilm, produziert von Comedia-Film, der gemeinsamen Firma von Heinz Rühmann und dem ehemaligen Ufa-Herstellungsleiter Alf Teichs. Mit einer überdachten Fläche von 1.800 m2, 115 Mitarbeitern und einer Außenfläche von 10.000 m2 verfügte Wiesbaden 1950 über das nach Berlin-Tempelhof und München-Geiselgasteig drittgrößte Filmatelier West-Deutschlands.

Doch die Auftragslage für deutsche Produktionen gestaltete sich in der jungen Bundesrepublik, die von Filmen besonders amerikanischer Herkunft überschwemmt wurde, allgemein schwierig. Um der krisenhaften Situation zu begegnen und die heimische Filmindustrie zu fördern, bewilligte der Bundestag im Frühjahr 1950 eine Summe von 20 Millionen DM in Form von Ausfallbürgschaften; das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden schlossen sich an. Die staatliche Hilfe zeigte auch Unter den Eichen Wirkung. Bekannte Projekte dieser Phase waren Geza von Bolvarys Operettenverfilmung »Hochzeitsnacht im Paradies« mit Johannes Heesters, »Der Tiger Akbar« des »Sensationsdarstellers« Harry Piel sowie Rolf Hansens »Das letzte Rezept«. Da viele mit Bürgschaftsmitteln entstandene Filme kommerziell erfolglos blieben, führte dies Unter den Eichen zu neuerlicher Stagnation. Von den für 1951 geplanten acht Spielfilmprojekten konnten nur vier realisiert werden. Um die Ausfälle zu kompensieren, wich man verstärkt auf die Herstellung von Industrie- und Werbefilmen aus. Ebenso sollten die Ansiedlung der Wochenschau »Blick in die Welt« sowie die Einrichtung eines Synchronstudios dazu beitragen, die Produktionsflaute im Spielfilmbereich zu überbrücken. Trotz ernüchternder Zahlen beschloss die Bundesregierung im Frühjahr 1953 die Fortsetzung der Bürgschaftsaktion für Filmproduktionen. Im gleichen Jahr entstanden in Wiesbaden allein zehn Spielfilme, darunter »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« mit Magda und Romy Schneider – letztere in ihrer Debütrolle, »Staatsanwältin Corda« sowie die deutsch-amerikanische Koproduktion »Martin Luther«. Auch in den folgenden zwei Jahren blieben die Studiokapazitäten Unter den Eichen gut ausgelastet.

Im Frühjahr 1955 gab der mit der Entflechtung des ehemals reichseigenen Filmvermögens beauftragte Liquidator bekannt, dass der Wiesbadener AFIFA-Komplex von der UFI abgetrennt und verkauft werden solle. Die daraufhin in die Wege geleitete Privatisierung führte Unter den Eichen, zusammen mit den Ende 1955 auslaufenden staatlichen Bürgschaftshilfen, zu weitgehendem Produktionsstillstand. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde das AFIFA-Studio im April 1959 von der privaten Taunus-Film GmbH des Karl Schulz erworben. Doch die Hoffnungen auf eine nachhaltige Wiederbelebung des Atelierbetriebes erfüllten sich nicht – zumindest nicht für die Produktion von Kinofilmen in Wiesbaden. Deren Ende wurde mit dem Vormarsch des Fernsehens Ende der 1950er-Jahre besiegelt.

Literatur

Rote Rosen und weißer Flieder. Die Blütezeit der Filmstadt Wiesbaden, Ausstellungskatalog. Hrsg.: Museum Wiesbaden, Wiesbaden 1995.