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Erbenheim

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Das fünf Kilometer südöstlich Wiesbadens im Wäschbachtal gelegene Erbenheim hat eine Vielzahl bedeutender Funde aus vorgeschichtliche Zeit aufzuweisen, darunter solche aus der Bronzezeit. Steinzeitliche Überreste zeugen von der Besiedlung Erbenheims vor 5.000 Jahren durch Bandkeramiker.

Auch die Römerzeit hat in der Erbenheimer Gemarkung Spuren hinterlassen. Spuren einer sogenannten Villa Rustica wurden im Dezember 2009 südlich des Flugplatzes Erbenheim entdeckt. Der Ortsname Erbenheim, der bei der Ersterwähnung im 10. Jahrhundert »Ersinesheim« lautet und als Genitivform eines Personennamens zu verstehen ist, deutet auf eine Besiedlung in der frühen Frankenzeit hin; diese ist auch anhand von archäologischen Funden nachzuvollziehen. 1876 wurde ein fränkischer Friedhof mit über 200 Gräbern des 4. – 6. Jahrhunderts n. Chr. freigelegt. 1973 fand man das Fundament eines einfachen, rechteckigen Sakralbaus mit halbrunder Apsis im Distrikt »Steinhaufen«, das ins 8. bis 11. Jahrhundert n. Chr. datiert wird.

Erstmals erwähnt wird Erbenheim 927 in einer Urkunde für das Ursula-Stift in Köln. 1213 vertauschen die Klöster St. Alban in Mainz und Bleidenstadt – wohl als Rechtsnachfolger des Stifts St. Ursula – ihre Höfe zu Winkel und Erbenheim. 1263 wird Besitz des Klosters Gottesthal, 1275 des Klosters Tiefenthal genannt. Zwischen 1437 und 1490 nannte sich eine niederadelige Familie nach Erbenheim.

Erbenheim gehörte zum Königssondergau und dürfte mit dem Wiesbadener Königshof an die Grafen zu Nassau gelangt sein; diese übten die Herrschaft über den Ort und auch die Hochgerichtsbarkeit aus. 1423 erhielten die Einwohner Stadtrechte, durften sich fortan mit Toren, Türmen, Wällen und Gräben schützen und jeden Samstag einen Wochenmarkt abhalten. Auf den Verlauf des Walls verweist der Grabenweg; zwei Tore führten in den Ort. Dieser Rechtsakt hatte jedoch keine weitergehenden Folgen. Besitz in Erbenheim hatten die Herren von Eppstein, die Adligen von Rüdesheim, Sonnenberg und Sulzbach sowie die Ritter zum Heiligen Grabe, das Domkapitel und das Stift St. Peter in Mainz.

Noch im 14. Jahrhundert bestand das Dorf aus den beiden Teilen Ober- und Nieder-Erbneheim, auch Klein- und Groß-Erbenheim genannt. In den Auseinandersetzungen zwischen den Eppsteinern und den Nassauern dürfte Ober-Erbenheim Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts vollständig zerstört worden sein. Darauf deuten die alten Flurnamen »Steinhaufen« und »Zwischen den Dorffen« hin. Schon 1461 war der Ort von Mainz in Brand gesteckt worden. Eine Grenze zwischen dem Erzbistum Mainz und den nassauischen Landen verlief im Späten Mittelalter zwischen Amöneburg, Biebrich, Kastel über Erbenheim und Hochheim bis Flörsheim: der sogenannte Landgraben. Auf dieser Strecke befanden sich auch vier Warttürme, wovon nur die Erbenheimer Warte noch im Original erhalten ist. Für die weltliche Verwaltung in Erbenheim und die niedere Gerichtsbarkeit war ein Schultheiß zuständig, dem mehrere Schöffen zur Seite standen. Von 1457 stammt das älteste Gerichtsiegel.

Eine Pfarrkirche in Unter-Erbenheim wird 1313 erstmals erwähnt. Die im Kern mittelalterliche Kirche, die zwischen 1729 und 1731 ihre heutige Gestalt erhielt, lag im Zentrum des damaligen Ringwalls und war dem Apostel Paulus geweiht. Ältester Bauteil ist der romanische Turm. Seit 1535 hielt die Reformation Einzug. Der bedeutendste Pfarrer dieser Zeit war Nikolaus Gompe, der sein Amt 1546–49 ausübte. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts hatte Erbenheim, wie auch andere Dörfer der Gegend, aufgrund von Seuchen einen starken Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. 1525 beteiligte sich die Ortschaft am Bauernkrieg.

Auch von den Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges blieb Erbenheim nicht verschont. 1630 standen 34 Häuser in Erbenheim leer, weil ihre Bewohner ermordet oder umgekommen bzw. geflohen waren. Auch durch die Raubkriege unter dem französischen König Ludwig XIV., die Belagerung und Eroberung von Mainz durch österreichische und deutsche Truppen 1689, den Spanischen Erbfolgekrieg (1701–14) und andere kriegerische Auseinandersetzungen wurde Erbenheim in Mitleidenschaft gezogen. Erst nach den Befreiungskriegen kehrten allmählich friedlichere Zeiten in Erbenheim ein. Allerdings hatte das Dorf inzwischen eine solche Schuldenlast angehäuft, dass es sich zum Verkauf seines Waldes am Bingert an die Stadt Wiesbaden gezwungen sah.

Ende des 17. Jahrhunderts hatte Erbenheim 259 Einwohner. Spätestens seit 1626 bestand in Erbenheim eine Schule; auch ein Lehrer ist in diesem Jahr erstmals nachweisbar. Ein zweistöckiges Schulhaus mit Schuppen, in dem sich auch Ratsstube und Lehrerwohnung befanden, wurde 1649 erbaut und 1834/35 durch ein neues Gebäude ersetzt. 1900 erbaute man eine neue, zweite Schule (Justus-von-Liebig-Schule).

Nach Aufhebung der Leibeigenschaft am 01.01.1808 begann auch in Erbenheim ein freieres Leben; eine rege Bautätigkeit setzte ein, die das Dorf über seine angestammten Grenzen hinauswachsen ließ. Zu dieser Zeit lebten 665 Menschen in Erbenheim. Ein zweistöckiges, mit Ziegeln gedecktes Rathaus mit zugehöriger Scheune und Stallungen wird 1817 erwähnt, 1866 ersetzte man es durch einen Neubau. Zwei Hirtenhäuser, ein Spritzen- und Feuerleiterhaus gehörten 1817 ebenfalls zum Gebäude-Inventar des Ortes. Ein Gemeinde-Ämterbuch von 1709 verzeichnet die Erbenheimer Amtsträger: Kirchen-, Bürger- und Brüdermeister, mehrere Feldschützen, Eicher, Schröder, einen Büttel, mehrere Feuerläufer, später auch die Feldgeschworenen und Gemeindevorsteher. Die Brüdermeister deuten auf eine bereits seit 1594 nachweisbare Bruderschaft zur Unterstützung armer Leute hin, deren Mittel zum Unterhalt der Gemeindebauten und der Schule verwendet wurden. Seit dem 18. Jahrhundert gab es in Erbenheim eine Mühle.

Der Bau der Bahnstrecke Wiesbaden-Niedernhausen 1876–79 (Ludwigsbahn), in dessen Verlauf Erbenheim einen eigenen Bahnhof erhielt, läutete eine neue Zeit für den Ort ein. 1896 entstand eine Ringofenziegelei, 1902 gründete man die Freiwillige Feuerwehr. Eine elektrische Straßenbahnverbindung von Wiesbaden nach Erbenheim wurde 1906 eingerichtet. Der Ort wurde 1906/08 an die Wasser- und die Elektrizitätsversorgung angeschlossen und erhielt 1928 eine Gasleitung. 1907 wurde mit dem Bau der Pferderennbahn Erbenheim begonnen.

Der Kurbetrieb in Wiesbaden brachte für Erbenheim einen zusätzlichen Absatzmarkt für alle landwirtschaftlichen Produkte. Die Erbenheimer Molkerei war in den 1930er-Jahren Hauptmilchlieferant Wiesbadens. Die Molkereigenossenschaft, zuletzt nur noch Milchsammelstelle, wurde 1995 geschlossen. Auf dem Rennbahngelände entstand 1929 der Flugplatz Mainz-Wiesbaden für Post- und Linienflüge für Passagiere, der 1937 Militärflugplatz der deutschen Wehrmacht wurde. Der Erste Weltkrieg forderte 95 Opfer, deren auf einer Marmorgedenktafel in der Kirche gedacht wird. 1928 erfolgte die Eingemeindung Erbenheims zu Wiesbaden, gegen die zahlreiche Einwohner Einspruch erhoben.

1843 lebten 17 jüdische Familien in Erbenheim. Seit 1914 bildeten sie mit den Bierstädter Juden eine Gemeinde. 1924 wohnten 37 Juden in Erbenheim. Von den neun 1935 im jüdischen Adressbuch registrierten jüdischen Familien konnten einige emigrieren, neun Personen wurden in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umgebracht.

Im Zweiten Weltkrieg erlebte Erbenheim mehrere Bombardierungen und Granatbeschuss von Mainz herüber. 77 Menschen fielen den insgesamt 25 Fliegerangriffen oder Artilleriebeschuss zum Opfer. Zahlreiche Gewerbebetriebe wurden zum Teil schwer getroffen, fast 30 Wohnhäuser waren total zerstört oder erheblich beschädigt. 429 Menschen wurden obdachlos. Weit über 100 Männer waren gefallen, viele waren vermisst oder kamen in der Kriegsgefangenschaft ums Leben. Die Nachkriegszeit brachte einen Flüchtlingszustrom vor allem aus dem Sudentenland (heutiges Tschechien), aber auch aus Pommern, Ostpreußen und Schlesien nach Erbenheim. Von den 3.967 Einwohnern in Erbenheim im Jahr 1950 waren 681 Vertriebene und Flüchtlinge.

Aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage entwickelte sich Erbenheim in der Nachkriegszeit zu einem geschätzten Wohnvorort und zum neuen Wirtschaftsstandort; neben dem alten Ortskern entstand 1960 die Wohnsiedlung »Hochfeld«, 1975 der Ortsteil Erbenheim-Nord. Zahlreiche Bauvorhaben waren die Folge: So wurde 1966 die (heutige IGS) Hermann-Ehlers-Schule eingeweiht, die private Europa-Schule Obermayr mit bilingualer Realschule, Gymnasium und Berufsfachschulen folgten. 1970 entstand im Hochfeld ein neues evangelisches Gemeindezentrum, 1972 folgte das Bürgerhaus, 1977 ein katholisches Gemeindezentrum in der Sigismundstraße. 1982 wurde im Kreuzberger Ring in Wiesbaden-Erbenheim ein Mischgebiet aus Wohn- und Gewerbebebauung ausgewiesen, in der hinteren Wandersmannstraße (Görlitzer Ring) entstand 2009 ein neues Wohngebiet; 9.175 Menschen wurden in diesem Jahr in Erbenheim gezählt.

In Erbenheim herrscht ein reges Vereinsleben. 2009 gibt es 26 Vereine, die sich in der Interessengemeinschaft Erbenheimer Ortsvereine zusammengeschlossen haben. Im ehemaligen Erbenheimer Rathaus ist das 1983 gegründete Heimatmuseum untergebracht. Es gibt drei Kirchengemeinden: evangelische Paulusgemeinde mit Kirche im alten Ortskern (Ringstraße), evangelische Petrusgemeinde mit Gemeindezentrum und Gottesdienstraum im Hochfeld und die katholische Kirchengemeinde Maria Aufnahme mit Gemeindezentrum und Gottesdienstraum.

Im alten Ortsbereich existiert nur noch ein rein landwirtschaftlicher Betrieb. Stattdessen haben sich hier Kleingewerbe und seit 1908 die Erbenheimer Zeitung angesiedelt. Im Kreuzberger Ring sind Industrie- und Wirtschaftsfirmen, Behörden und Gewerbebetriebe ansässig. Die größten Industriefirmen sind Smith Heimanns und die Eckelmann AG.

Literatur

Breuer, Dieter, 1.000 Jahre sind nicht wie ein Tag – Erbenheimer Festwochen, Erbenheim 1978.

Dotzauer, Winfried: Die Anfänge der Gemeinden Bierstadt, Kloppenheim, Erbenheim und Wicker im Spiegel der Urkunde von 927, Wiesbaden 2004.

Krag, Emil-Adolf: Wiesbaden 1954.

Erbenheimer Warte, 1978 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F001-1899, Urheber: Joachim B. Weber
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