Sprungmarken

Bezirkskommunalverband Wiesbaden

Artikel

1866 wurde Nassau Teil der neuen preußischen Provinz Hessen-Nassau mit der Hauptstadt Kassel. Dort befand sich zugleich das Zentrum des im Herbst 1867 eingerichteten Provinzialverbandes Hessen-Nassau als Träger der Selbstverwaltung der neuen Provinz. Durch Provinzialordnung wurde dieser 1885 nach dem Vorbild der älteren preußischen Provinzen gestaltet. Wegen der unterschiedlichen Traditionen der beiden Regierungsbezirke entschied man sich allerdings hinsichtlich der praktischen Arbeit für zwei Bezirkskommunalverbände mit Sitz in Kassel und Wiesbaden.

In Wiesbaden arbeitete seither der »Bezirksverband des Regierungsbezirks Wiesbaden«. Dessen Arbeit bestimmte wie in Kassel ein Kommunallandtag. Tagungsort war ab 1907 das neue Landeshaus. Die kommunalständische Verwaltung wurde durch den vom Kommunallandtag gewählten Landesdirektor geleitet, der von einem Kommunalausschuss unterstützt wurde.

Der Verwaltung oblagen in den 1920er-Jahren Aufgaben in den Bereichen: Straßenbau und Verkehrswesen (Landstraßen, Kleinbahnen, Lahnkanalisierung, Flugbetrieb Rhein-Main), Versicherungs- und Bankwesen, Kulturpflege, Landesfürsorgeverband (Landarmenwesen), Fürsorgeerziehung, Hauptfürsorgestelle für Kriegsgeschädigte und Hinterbliebene, Blinden- und Gehörlosenfürsorge, Tuberkulosebehandlung, Psychiatrie, Heilerziehung, Orthopädie, Altenhilfe. In der Trägerschaft des Wiesbadener Verbandes befanden sich rund 15 Fürsorgeeinrichtungen (insbesondere Heil- und Pflegeanstalten, Kliniken, Jugendheime und Sonderschulen).

In Wiesbaden gehörten zum Bezirkskommunalverband insbesondere die Brandversicherungsanstalt, Lebensversicherungsanstalt, Landesbank, Landesbibliothek, Landesamt für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer und die Orthopädische Klinik Alfred-Erich-Heim.

Nach 1933 wurde die kommunale Selbstverwaltung auch auf der Ebene der Provinz beseitigt; beide Bezirksverbände unterstanden fortan dem Oberpräsidenten in Kassel. Regimegegner wurden entlassen, darunter Landesrat Dr. Friedrich Stöffler. Aufgrund des besonderen nationalsozialistischen Engagements des neuen Anstaltsdezernenten Otto Friedrich (Fritz) Bernotat spielte der Regierungsbezirk Wiesbaden 1939–45 eine zentrale Rolle im reichsweiten Programm der Ermordung kranker und behinderter Menschen in Heil- und Pflegeanstalten. In den »Kinderfachabteilungen« auf dem Eichberg bei Eltville und im Kalmenhof in Idstein wurden rund 1.000 behinderte Kleinkinder umgebracht. Als zentrale Tötungsanstalt der NS-»Euthanasie« fungierte Hadamar. Von den »Schreibtischtätern« in Wiesbaden wurde 1945 zwar jeder zweite entlassen, aber niemand bestraft. 

Nach 1945 bestand der Kommunalverband unter Leitung eines Kommunalausschusses mit Kommunalpolitikern verschiedener Parteien (Vorsitz Landeshauptmann Otto Witte) fort und wirkte am Wiederaufbau des Regierungsbezirkes entscheidend mit. Die sozialen Aufgaben des Bezirksverbandes wurden ab 1953 durch den neuen Landeswohlfahrtsverband Hessen wahrgenommen, während Straßenbau, Wirtschaftsförderung und Kultur an das Land, die Kommunen und an Körperschaften eigenen Rechts übergingen.

Am Landeshaus, dem heutigen hessischen Wirtschaftsministerium, erinnert seit 2013 eine Gedenktafel an die Funktion des Gebäudes während der NS-Zeit.

Literatur

Landeshauptmann (Hrsg.): Kommunalverband des Regierungsbezirks Wiesbaden, Wiesbaden 1948.

Sandner, Peter: Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003 (Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Hochschulschriften 3).