Mahnmal Wiesbadener Sinti und Roma
Zu Beginn der NS-Diktatur lebten in Deutschland etwa 26.000 Sinti und Roma. Die meisten von ihnen waren deutsche Staatsbürger. Der NS-Staat erklärte sie zu einer "außereuropäischen Fremdrasse" und verfolgte sie erbarmungslos. Seit 1935 war den Sinti und Roma die Eheschließung mit einem Partner, welcher "der arischen Mehrheitsbevölkerung" entstammte, verwehrt. 1937 wurden die "Zigeuner" insgesamt für "asozial" erklärt, mit der Konsequenz, dass sie jederzeit in Vorbeugehaft genommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen werden konnten. Die 1938 eingerichtete "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" und die "Rassehygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt" bereiteten den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma organisatorisch vor. Der Reichsführer SS und der Reichsjustizminister legten in dem sogenannten Himmler-Thirack-Abkommen vom 17. September 1942 fest, dass asoziale Elemente aus dem Strafvollzug, Juden, Zigeuner, Russen, Ukrainer an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert werden sollten. Am 16. Dezember 1942 ordnete Himmler die Verschleppung der Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz an. 1940 bereits hatte die Wiesbadener Kriminalpolizei eine "Zigeunerliste" erstellt, anhand derer am 8. März 1943 mehr als 100 Sinti und Roma verhaftet und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde dort ermordet.
Die Errichtung des Mahnmals wurde nach heftigen politischen Kontroversen am 21. Mai 1992 von der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Die feierliche Einweihung erfolgte am 5. Dezember 1992 mit einem Mahngang, bei dem zahlreiche Bürger der Stadt Wiesbaden, an ihrer Spitze Oberbürgermeister Achim Exner, den selben Weg durch die Bahnhofstraße abschritten, den auch die Wiesbadener Sinti und Roma bei ihrer Deportation gehen mussten.
Das Mahnmal besteht aus einem großen dreigeteilten Sandsteinblock. Er zeigt eine Gruppe von Männern, Frauen und Kindern, die sich - erdrückt unter einer schweren Last - auf dem Weg in den Untergang befindet.
Die Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti und Roma war mit dem Jahre 1945 nicht beendet. Polizeibehörden und Landeskriminalämter fuhren fort, Sinti und Roma in "Landfahrerkarteien" zu erfassen. Sogenannte Wissenschaftler führten ihre während der NS-Zeit begonnenen "erbbiologischen Forschungen" an "Zigeunern" in staatlichen und kommunalen Dienststellen der Bundesrepublik weiter. Leistungen nach dem "Bundesentschädigungsgesetz" wurden den Sinti und Roma häufig mit der Begründung versagt, ihre Verfolgung sei nicht rassistisch, sondern kriminologisch begründet gewesen.
Nach einer EMNID-Umfrage waren 1993 mehr als ein Drittel der Deutschen der Auffassung, dass Sinti und Roma in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben sollten.
Literatur: Udo-Engbring-Romang: Wiesbaden. Auschwitz. Zur Verfolgung der Sinti in Wiesbaden. Herausgeber: Adam Strauß; Verband deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen. Frankfurt: Brandes & Apsel 1997. ("Hornhaut auf der Seele". Schriften des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen. Band 2)