Wiesbadener Originale
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Das populärste Wiesbadener Original war der am 25.01.1825 auf der Kupfermühle im Mühltal geborene Heinrich Saltz, aufgrund seiner Körpergröße genannt der »lange Saltz«. Er verdiente seinen Lebensunterhalt durch das Vortragen von Liedern und Balladen sowie den Verkauf von Postkarten in den Wiesbadener Lokalen. Der am 29.01.1830 in Freiendiez geborene Karl Peter Philippar überwarf sich nach dem Theologiestudium mit seinen kirchlichen Vorgesetzten und ließ sich zunächst als Privatlehrer in Wiesbaden nieder. Aufgrund seiner exzentrischen Art und seines wunderlichen Verhaltens blieben mit den Jahren allerdings die Schüler aus. Philippar, der wegen seines akademischen Auftretens und seines ungepflegten Äußeren »der ewige Student« genannt wurde, konnte schließlich seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten und musste Armenpflege in Anspruch nehmen. Er starb am 29.11.1896 in Wiesbaden.
Philipp Keim wurde am 07.11.1804 in Diedenbergen geboren. Nach seiner Ausbildung zum Küfer arbeitete er als Gehilfe in der herzoglichen Weinkellerei in Biebrich, wo er durch einen tragischen Unfall erblindete. Als Wiedergutmachung ließ Herzog Wilhelm zu Nassau für Keim eine Drehorgel kaufen und erlaubte ihm, im gesamten Herzogtum zu musizieren. Fortan zog Keim durch die Kurstädte und Badeorte und wurde unter anderem mit Moritaten über die Explosion des Mainzer Pulverturms im Jahr 1847, den Kauber Bergrutsch von 1874 oder die Attentate auf Kaiser Wilhelm I. einem breiteren Publikum bekannt. Bei seinen Auftritten begleitete ihn seine Frau Lisbeth auf der Geige. Ihre Bekanntheit verhalf den beiden Musikern zu einem gewissen Wohlstand wie dem Besitz eines eigenen Pferdewagens. Philipp Keim starb kurz vor seinem 80. Geburtstag im Juli 1884.
Der Buchhändler und Mundartdichter Franz Bossong, genannt »Lord Blummekohl,« wurde aufgrund seiner Auftritte als Büttenredner im Karnevalsverein »Sprudel« um 1900 zum Original. Bossong war wie der Zahnarzt Paul Rehm und der Schutzmann Max Schwencke Stammgast in einer von Friedrich Grupp um die Jahrhundertwende geführten Kneipe an der oberen Hochstätte. Der Gastwirt erhielt aufgrund seines nervösen Schulterzuckens und seiner überdurchschnittlichen Intelligenz den Spitznamen »Juckmich« bzw. »Schlaumeier vom Säumarkt.« Mit seinen Gästen diskutierte er regelmäßig Fragen der Weltgeschichte. Zeitgleich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Tod seines Freundes Bossong endet die Geschichte Grupps in Wiesbaden.
Eines der wenigen weiblichen Originale war Helene Best, die in den letzten Jahren der Kaiserzeit und zu Beginn der 1920er-Jahre als »Stricklenchen« in Wiesbaden bekannt war. Stets einfach und sauber gekleidet, war sie meistens im Torbogen am Westflügel des Rathauses anzutreffen. Ihr Spitzname hatte eine doppelte Bedeutung. Zum einen sah man sie nie ohne ihr Strickzeug, das sie stets in einem Weidenkorb mit sich trug. Zum anderen trug sie bei sämtlichen sich bietenden Gelegenheiten wie Taufen oder Hochzeiten lyrische Verse vor und damit im übertragenen Sinne ebenfalls »Selbstgestricktes«. Wegen ihrer guten Beziehungen zum Standesamt war sie stets über anstehende Festlichkeiten informiert und wurde bald zum unverzichtbaren Bestandteil einer jeden größeren Familienfeier.
Waldemar Reichhard studierte in den 1930er-Jahren Gesang an der Mainzer Musikhochschule. Seinen Spitznamen »Knoblauch« erhielt er aufgrund seiner Vorliebe für das Lauchgemüse. Heute erinnert ein Denkmal in der Kleinen Schwalbacher Straße an ihn.
Als Kehrmann rund um das Gemeindezentrum St. Elisabeth machte sich Willi Benz, genannt »Williche«, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Namen. Der geistig behinderte Mann wohnte mit seinen Eltern im Westend und machte es sich zur Aufgabe, die Wege um das Gemeindezentrum sauber zu halten. Diese Arbeit verfolgte er auch nach seinem Umzug ins Biebricher Altenheim nach dem Tod seiner Eltern weiter. Er war einer der beliebtesten Originale der jüngeren Geschichte. Willi Benz starb im Alter von 79 Jahren im Januar 1988.
Neben diesen häufig in der Stadtgeschichte auftauchenden Wiesbadener Originale werden vereinzelt auch Personen wie der »Feuerkönig« genannt, ein Obdachloser, dessen Nachtlager im Wellritztal einmal einen Flächenbrand auslöste. Ebenso populär in ihrer Zeit waren »Lumpen-Rosa« und »Lumpen-Fritz«, die in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg durch ihr heruntergekommenes Aussehen, ihre derben Schimpftiraden und ihren Hang zu kleineren Diebstählen fragwürdige Berühmtheit erlangten. Rosas Sohn, der sogenannte Brezelbub, wurde von den Wiesbadenern dagegen gern gesehen, da er stets zu Fuß in einem blau-weiß gestreiften Kittel die mit einem blau-gelben Leinentuch abgedeckten Laugenbrezeln und andere Backwaren bis in die Vororte trug. Der Spitznamen »Bub« wurde ihm vom »Stricklenchen« aufgrund seiner geringen Größe verliehen.
Literatur
Fink, Otto E.: Wiesbadener Bildchronik 1866–1945, Wiesbaden: ohne Jahr.
Leidenbach, Wilhelm: Wiesbadener Originale in der Neuzeit. In: Wiesbadener Leben 4/82 [S. 22].
Trautner, Hanns: Wiesbadener Originale. Reihe. In: Wiesbadener Leben 8/1970 bis 1/1971.