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Landeshauptstadt Wiesbaden

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Seit Fürst Karl zu Nassau-Usingen den Sitz seiner Residenz nach Schloss Biebrich verlagert hatte, spielte Wiesbaden die Rolle eines überregionalen politischen Zentrums. Die Fortsetzung dieser gut 200-jährigen Tradition war mit dem Zusammenbruch der NS-Gewaltherrschaft 1945 zunächst keineswegs selbstverständlich. Auch Wiesbaden hatte massive Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg zu beklagen: Jedoch wirkten sich diese weit weniger katastrophal aus als in Frankfurt, Kassel, Darmstadt, Hanau oder anderen hessischen Städten. Am 28.03.1945 besetzten die Truppen der US-Armee Wiesbaden. Die Militärregierung für die US-Besatzungszone (OMGUS) nahm ihren Sitz im IG Farben-Haus in Frankfurt. Von der kommunalen Verwaltungsebene über die Regierungsbezirke bis zu den früheren Provinzen wurden Teams der Militärregierung eingesetzt, um das öffentliche Leben in Stadt und Land wieder zu reorganisieren. Auch in Wiesbaden förderten die US-Militärs mit ihrer Strategie der »indirect rule« bald nach der Befreiung vom Nationalsozialismus den demokratischen Neubeginn. Um möglichst politisch stabile, ökonomisch lebensfähige Verwaltungseinheiten zu schaffen, entschlossen sich die Amerikaner zur Einrichtung von Ländern als oberste staatliche Gliederungsebene in einem föderalen Deutschland. Nach intensiven Überlegungen zur territorialen Neugliederung auf hessischem Gebiet und unter Einbeziehung der deutschen Seite kristallisierte sich bei der US-Militärregierung im Sommer allmählich die Option für eine Zusammenfassung der preußischen Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel mit dem Volksstaat Hessen zu einem »Groß-Hessen« heraus.

Als provisorische Hauptstadt dieses neuen Landes war zunächst das zentral gelegene Marburg im Gespräch. Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber wegen des sozio-ökonomischen Gewichts des Rhein-Main-Gebietes, entschieden sich die US-Militärs für eine dort gelegene Hauptstadt »Groß-Hessens«. Die Entscheidung fiel schließlich auf Wiesbaden, wo sich zwischenzeitlich der Sitz der späteren Landesmilitärverwaltung herausgebildet hatte. Am 19.09.1945 gründete OMGUS das Land »Groß-Hessen« mit seiner Proklamation Nr. 2. Wenige Tage später bestimmte dann OMGUS Wiesbaden als Sitz der Landesmilitärregierung (OMGH) und als Landeshauptstadt von »Groß-Hessen«. Mit seiner Organisatorischen Anordnung Nr. 1 vollzog der Chef von OMGH, Oberst Newman, am 12.10.1945 diese Grundsatzentscheidung formell: Wiesbaden war damit offiziell Hauptstadt des Landes »Groß-Hessen«, das mit Annahme der Landesverfassung am 01.12.1946 in »Hessen« umbenannt wurde.

Literatur

Mühlhausen, Walter: Die Entscheidung der amerikanischen Besatzungsmacht zur Gründung des Landes Hessen 1945. Darstellung und Dokumentation zum 40. Jahrestag der Landesgründung. In: Nassauische Annalen 96/1985 [S. 197–232].