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Gerstle-Wertheimer, Eva

Gerstle-Wertheimer, Eva

Bis Oktober 2015 letzte Auschwitz-Überlebende aus Wiesbaden

geboren: 20.04.1914 in Peine (Westfahlen)

gestorben: 21.10.2015 in San Diego (USA)


Artikel

Gerstle-Wertheimer zog 1927 mit ihrer Familie nach Wiesbaden und heiratete 1934 in Berlin den jüdischen Fabrikanten Ari Zwick. Als das Geschäft des Ehepaares in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde und der Ehemann »verschwand«, kehrte sie nach Wiesbaden zurück und er lebte hier mit ihren Eltern die zunehmende Drangsalierung von Juden: Die Familie musste in ein sogenannten Judenhaus in der Herrengartenstraße ziehen, Gerstle-Wertheimer wurde in der Dotzheimer Chemischen Fabrik Leo Petri zur Zwangsarbeit verpflichtet. Wegen der schweren Arbeit erlitt sie einen Bauchwandbruch und lag in der Klinik, als die Familie im Juni 1942 die Nachricht erhielt, dass sie sich zur bevorstehenden Deportation »bereit« halten sollte. Der Arzt operierte Gerstle-Wertheimer bewusst an dem Tag, am dem sie deportiert werden sollte und verweigerte ihre Entlassung.

Sie wurde daraufhin mit ihren Eltern am 31.08. in das KZ Theresienstadt verschleppt. Der Vater starb nach vier Monaten, die Mutter im darauf folgenden Jahr. Im Mai 1944 wurde Gerstle-Wertheimer nach Auschwitz deportiert. Sie berichtete darüber später: »Die Ankunft in Auschwitz-Birkenau war der schrecklichste Augenblick … die Selektion, nackt vor der SS und Dr. Mengele …« Gerstle-Wertheimer wurde zum Arbeitseinsatz im KZ Stutthof bei Danzig geschickt und meldete sich freiwillig zum Ausheben von Panzergräben im Winter. Später wurde sie auf einen der sogenannten Todesmärsche geschickt und hier von der sowjetischen Armee befreit. Doch die Gefahr war noch nicht überwunden – man hielt sie für eine SS-Wachfrau und wollte sie erschießen. Ein jüdischer Offizier erkannte den Irrtum, Gerstle-Wertheimer kehrte nach Wiesbaden zurück, fand anfangs keine Unterkunft und musste sich auf juristischem Weg Möbel aus der Wohnung ihrer Eltern erkämpfen.

Sie lernte den US-Soldaten Julius Gerstle aus München kennen, der aus dem KZ Dachau in die Schweiz entkommen war, und wanderte 1947 in die USA aus. Ihren Kindern verschwieg sie ihre Vergangenheit, bis diese den Film »Holocaust« sahen und nach der Nummer auf ihrem Arm fragten. Sie trat dem »New Life Club of Holocaust Survivors« San Diego bei und begann ihre Zeitzeugenarbeit. Auf Bitten des Aktiven Museums Spiegelgasse berichtete die letzte Auschwitz- Überlebende Wiesbadens bei mehreren Besuchen an Wiesbadener Schulen über ihr Schicksal und stellte sich den Fragen der Schüler. 1998 erhielt sie die Goldene Bürgermedaille der Stadt Wiesbaden.

Literatur

Interviews mit Eva Gerstle-Wertheimer 1985, 1996 (Sammlung Bembenek).