Dostojewski, Fjodor Michailowitsch
Dostojewski, Fjodor Michailowitsch
Schriftsteller
geboren: 11.11.1821 in Moskau
gestorben: 09.02.1881 in St. Petersburg
Artikel
Im Sommer 1862 unternahm der russische Schriftsteller Dostojewski eine große Auslandsreise, begab sich im Juni erstmals nach Wiesbaden und besuchte die hiesige Spielbank. Auf seiner zweiten Europareise 1863 kam er wieder und blieb im August für vier Tage. In Wiesbaden nahm seine Spielsucht ihren Anfang, die Dostojewski zehn Jahre lang beherrschte, ihn immer wieder in Geldnot brachte, aber auch seine schriftstellerische Kreativität förderte. Auch in Baden-Baden und Bad Homburg verlor er jeden Gewinn wieder.
Auf seiner dritten Europareise 1865 wurde Wiesbaden die einzige deutsche Station, weil er hier ab dem 02.08. zwei Monate festsaß, nachdem er seine gesamte Reisekasse verspielt hatte. Im Hotel Viktoria erhielt er nichts mehr zu essen, nur noch Tee, das Personal bediente ihn nicht mehr, wie er am 10.08.1865 in einem Brief an Polina Suslowa berichtete. Er bat auswärtige Freunde wie den russischen Schriftsteller Iwan Turgenjew (1818–1883) um Geldsendungen, mit denen er aber nur aufgelaufene Schulden bezahlen konnte.
Das Geld, mit dem er Ende September das Hotel, die Stadt Wiesbaden und Deutschland fluchtartig verlassen konnte, erhielt er von dem Priester der russisch-orthodoxen Kirche der heiligen Elisabeth in Wiesbaden, Iwan Leontjewitsch Janyschew (1826–1910). Erst Monate später konnte er es ihm zurückzahlen. Janyschew, seit 1866 Rektor der Geistlichen Akademie in St. Petersburg, hielt bei Dostojewskis Bestattung 1881 die Grabrede.
Während Dostojewski im Hotel Viktoria auf Geld wartete, begann er mit dem ersten seiner großen Romane, »Verbrechen und Strafe« (Titel älterer deutscher Übersetzungen »Schuld und Sühne«). Wie er 1868 in einem Brief schrieb, kam ihm der Einfall dazu nach dem Verlust im Spiel. Die Lebenssituation der Hauptfigur Rodion Raskolnikow, der seine Miete nicht bezahlen kann und der Hauswirtin aus dem Weg geht, reflektiert Dostojewskis Erfahrungen in Wiesbaden. Der Roman erschien 1866.
Nach Russland zurückgekehrt verfasste Dostojewski 1866 innerhalb von 26 Tagen den kurzen Roman »Der Spieler«. Erlebnishintergrund dieses Textes ist Dostojewskis Spielleidenschaft, Schauplatz ein fiktiver deutscher Kurort namens Roulettenburg. Wie Karla Hielscher herausgefunden hat, übernahm Dostojewski diesen Namen wahrscheinlich aus der russischen Übersetzung eines Textes des englischen Autors William Thackeray (1811–1863). Seit Langem wird gestritten, ob mit Roulettenburg Baden-Baden, Bad Homburg oder Wiesbaden gemeint ist. Die Topographie des Ortes – das Kurhaus als Sitz der Spielbank, der »Square« davor und die Allee zum Hotel, in dem die Protagonisten lebten – spricht durchaus für Wiesbaden. Aber dem Autor kam es nicht auf einen bestimmten Ort an, sondern auf eine deutsche Kleinstadt mit Ausflugszielen wie Bergen und Ruinen in der Nähe; er beschreibt die Stadt nicht, sondern schildert die hier verkehrenden Menschentypen und die Symptome der Spielleidenschaft.
Im Februar 1867 heiratete Dostojewski die Stenographin Anna Grigorjewna Snitkina, der er den »Spieler« diktiert hatte. Im April 1867 flüchtete das Ehepaar vor Gläubigern ins Ausland, woraus ein vierjähriger Aufenthalt vor allem in Deutschland wurde. Erneut suchte Dostojewski die Spielbanken von Bad Homburg und Baden-Baden auf. Im April 1871 ließ Dostojewski seine Frau mit der 1869 geborenen Tochter in Dresden zurück und fuhr nach Wiesbaden zum Roulettespiel. Diesmal stieg er im Taunus-Hotel in der Rheinstraße 3 ab (1975 abgerissen, Neubau).
Nach erneuten Verlusten wollte er wieder versuchen, vom russischen Geistlichen, Janyschews Nachfolger, Hilfe zu erhalten, verirrte sich jedoch und beschloss, den Priester nicht noch einmal zu fragen. In einem verzweifelten Brief vom 28.04.1871 bat er seine Frau um das Geld für die Rückfahrt und versprach, dieses Geld nicht wieder zu verspielen, denn: »Mir ist etwas Großes widerfahren, verschwunden ist die lasterhafte Phantasie, die mich fast 10 Jahre geplagt hat. Zehn Jahre (…) träumte ich immer davon, im Spiel zu gewinnen. … Jetzt ist alles vorbei! Das war wirklich das allerletzte Mal!« Diese Selbstaussage erwies sich als richtig, auch bei späteren Deutschland-Besuchen kehrte er nicht mehr an den Roulettetisch zurück. So wurde Wiesbaden für Dostojewski auch der Ort der Überwindung seiner Spielsucht.
Literatur
Dostojewski, Fjodor M.: Gesammelte Briefe 1833–1881. Friedrich Hitzer (Hrsg.), München 1986.
Hielscher, Karla: Dostojewski in Deutschland. Frankfurt am Main/Leipzig 1999.