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Carl Theodor Wagner, elektrotechn. Fabrik

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Die Uhrenfabrik Carl Theodor Wagner war eine Wiesbadener Traditionsfirma. Mit ihrem Patent für ein elektro-impulsgesteuertes System von Haupt- und Nebenuhren lieferte sie Uhren vor allem für Kirchen, Rathäuser, Bahnhöfe, Schulen, Hotels, Fabriken und Krankenhäuser in Großstädte auf der ganzen Welt.

Carl Theodor Wagner (20.05.1826–28.03.1907) eröffnete nach einer Lehre als Uhrmacher sowie Wander- und Gesellenjahren in seiner Geburtsstadt Usingen 1852 eine Werkstatt im Ein-Mann-Betrieb. Gemeinsam mit dem Kasseler Unternehmer Heinrich Grau entwickelte er das Grau-Wagner-Patent, die Grundlage der Wiesbadener Großuhren-Produktion. Sie begann 1863 in einer Werkstatt mit einem vier PS starken Gasmotor in der Wiesbadener Goldgasse, zunächst Nr. 2, später Nr. 6. Zeitweise bildete sich Uhrmachermeister Wagner bei Prof. Heinrich Meidinger in Heidelberg weiter, der ihn in die Geheimnisse des Elektromagnetismus einweihte.

Auf das technische Talent Wagner war inzwischen Herzog Adolph zu Nassau aufmerksam geworden. Er förderte Wagner, indem er ihn auf die Weltausstellungen nach London (1862) und Paris (1867) schickte. 1879 bekam Wagner vom preußischen König Wilhelm das Patent für einen »elektrischen Apparat zur Erzeugung langsamer Schläge an elektrischen Glocken«. Damit war die automatisch schlagende Kirchturmuhr erfunden.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 boomte das Wagnersche Uhrengeschäft. Von 1880 an war Wagner Hauptlieferant von Uhren für die Reichsbahn. 1885 zog die Firma in die Mühlgasse, 1915 in die Schiersteiner Straße 31–33, wo ein neues Produktions-, Geschäfts- und Wohnhaus entstanden war. Es bot Platz für 600 Beschäftigte, allerdings verhinderte der Erste Weltkrieg eine weitere Expansion. Die vier Söhne Wagners arbeiteten ebenfalls im Unternehmen.

Über 100.000 Uhren wurden in den ersten 100 Jahren bis 1952 ausgeliefert. Auch das Wiesbadener Rathaus erhielt eine Wagner-Anlage, von deren Zentrale im Keller aus sämtliche öffentliche Uhren in der Stadt gesteuert wurden. Sogar die Uhren der Bäcker und anderer kleiner Betriebe waren an die Rathaus-Zentraluhr angeschlossen. An die Zentraluhr des Frankfurter Hauptbahnhofs sollen über 50 Nebenuhren angeschlossen gewesen sein. In Bombay waren es angeblich sogar 350 Nebenuhren, die von einem Hotel aus gesteuert wurden, teils mit Zifferblättern von über zwei Meter Durchmesser.

Die Bedeutung der Wagner-Uhren lässt sich daran ermessen, dass sich damals nur Wohlhabende eine Taschen- oder Armbanduhr leisten konnten. Viele Wagner-Uhren gab es auch an den Wiesbadener Schulen. Heute befinden sich möglicherweise noch Grau-Wagner-Uhrenanlagen an der Oranienschule, der Kapelle des Paulinenstifts und im Kunsthaus, der ehemaligen Elementarschule auf dem Schulberg.

Als in den 1960er-Jahren Quarzuhren aufkamen, lohnten sich Uhren nach dem Grau-Wagner-Prinzip bald nicht mehr. 1989, bei der Renovierung des Wiesbadener Rathauses verschrottete man die Wagner-Anlage. Zuletzt produzierte man in der Schiersteiner Straße vollelektronische Quarzuhren, unter anderem für Siemens und Standard Elektronik Lorenz, sowie Anzeigentafeln für Sportanlagen. Im November 1977 musste die Wiesbadener Traditionsfabrik mit 77 Mitarbeitern Konkurs anmelden. Dem weltweiten Konkurrenzdruck anderer Quarzuhrenhersteller war man nicht mehr gewachsen.

Wagner-Uhren stehen heute noch in Rom, in Daressalam in Tansania und im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, in Sydney und St. Petersburg.

Literatur

Spiegel, Margit: Wiesbadener Firmenbriefköpfe aus der Kaiserzeit 1871–1914. Fabrik- und Hotelansichten auf Geschäftsschreiben und Rechnungen. 50 Beispiele mit Firmenkurzporträts, Bd. 1, Wiesbaden 2003 [S. 144 ff.].