Sprungmarken

Das späte Glück des Grafen

Kurier-Serie "Stadtteile sagenhaft" - 3: Der Name des Grorother Hofes, vom 7. August 2004 - Von Kurier-Mitarbeiterin Eva Wodarz-Eichner

Vor vielen hundert Jahren lebte auf einer Burg am Rhein ein alter Graf mit seiner Familie. Er hatte drei Söhne, die der ganze Stolz des Grafen waren, und eine wunderschöne Tochter, an der der Alte mit abgöttischer Liebe hing. Er lebte glücklich mit seiner Gemahlin auf der Burg, und oft kehrten edle Ritter und fahrende Sänger ein. An die Ländereien Frauenstein grenzten die eines anderen Ritters, dessen einzige Tochter der Graf im Stillen seinem ältesten Sohn zugedacht hatte. Und auch der Vater des Mädchens war von den Heiratsplänen angetan, wären doch zwei stattliche Besitztümer dann in einer Familie vereint.

Eines Abends gestand der Älteste dem Vater, in ein Mädchen aus dem Dorf verliebt zu sein. Sie wollte er heiraten. Da wurde der alte Graf zornig und untersagte ihm diese Verbindung. Noch rang der Sohn zwischen der Liebe zu seinem Mädchen und seiner Familie, doch als der alte Graf ihm sagte, dass längst die Hochzeit mit einer anderen Frau verabredet sei, verließ der junge Mann ohne ein Wort des Abschieds den Saal, die Burg und die Ländereien seines Vaters. Mit ihm verschwand das junge Mädchen aus dem Dorf und niemand wusste, wo die beiden waren.

Mit dem ältesten Sohn verließ auch das Glück die Burg. Der zweite Sohn stürzte vom Pferd und brach sich das Genick, der dritte Sohn zog in den Krieg und kehrte nie zurück. Auch die Mutter überlebte sie nicht lange - sie starb an gebrochenem Herzen. Längst hatten die Spielleute einen Bogen um die Burg gemacht, und seit Jahren war kein frohes Lachen mehr zu hören gewesen. Es schien, dass öfter als früher dunkle Nebelschwaden um die Türme zogen, und bald hieß es im Dorf, dass ein Fluch auf der Burg und dem Geschlecht läge.

Der alte Graf kümmerte sich nicht um das Gerede. Oft saß er einsam in seinem Rittersaal, starrte in die Flammen des Kamins und dachte an seinen ältesten Sohn. Nur seiner Tochter gelang es manchmal, ein Lächeln auf das Gesicht des Alten zu zaubern. Doch auch nach ihr griff der Tod: Ein Fieber befiel sie und nach qualvollem Siechtum starb sie in den Armen ihres Vaters.

Zum ersten Mal liefen dem Alten Tränen die Wangen hinab, er weinte um seine Tochter, um seine Frau, um seine Söhne und um das Glück, das ihm und den Seinen den Rücken gekehrt hatte. Immer mehr zog er sich zurück und nur einem einzigen Knecht erlaubte er, in seiner Nähe zu bleiben. Die Leute im Dorf flüsterten, dass der Graf mit dem Teufel im Bunde stehen müsse und meinten, den Verdacht bestätigt zu bekommen, als in einer Gewitternacht ein Blitz in den Burgturm einschlug und der Grafensitz bis auf die Grundmauern niederbrannte.

Es erschien wie ein Wunder, als er Graf unverletzt aus den Trümmern kroch, und auch ihm selbst war, als sei ihm sein Leben neu geschenkt worden. Er besann sich, dass er ja noch seinen ältesten Sohn hatte. Längst hatte er sich sein Unrecht eingestanden, jetzt wollte er ihn finden, um seinen Frieden mit ihm zu machen. Der Alte machte sich auf, um seinen Sohn zu suchen. Er wanderte den Rhein entlang, stieg auf die Anhöhen und in die Täler des Rheingaus, und Hoffnung trieb ihn weiter und weiter. Er musste ihn finden!

Eines Tages sah er ein kleines Haus in einer frischen Rodung. Blumen blühten, Weinranken kletterten in die Höhe, auf den Feldern stand das Korn hoch und alles sah so friedlich aus, dass es dem Alten ganz sonderbar wurde. Hier wollte er anklopfen, vielleicht wusste man, wo sein Sohn zu finden war.

Eine junge Frau bat ihn herein und reichte ihm ein Glas Wein. Zwei Kinder spielten in der Stube, und ihre Züge schienen dem Alten merkwürdig vertraut. Als kurz darauf ihr Vater nach Hause kam und stürmisch begrüßt wurde, meinte er, seinen Augen nicht zu trauen: Es war sein Sohn! Er trug die Kleidung eines Bauern und war längst nicht mehr der ungestüme Junker, als den er ihn in Erinnerung hatte, aber es war sein Sohn.
Der junge Mann war des Gastes erst jetzt gewahr geworden. Er trat auf ihn zu - im nächsten Augenblick lagen sich beide in den Armen. Nie mehr wollten sie sich trennen und voller Dankbarkeit sah der Alte, wie glücklich sein Sohn mit Frau und Kindern war. Gemeinsam bewirtschafteten sie das Gut, das immer stattlicher und reicher wurde, und gemeinsam gaben sie ihm den Namen "Grafenrod" - zum Zeichen, dass es ein Graf gewesen ist, der das Land gerodet hat.

So erzählt die Sage, ihr historischer Kern ist nicht genau zu ermitteln. Der Grorother Hof wurde um 1330 zum ersten Mal urkundlich erwähnt; seine Ursprünge dürften aber in viel früherer Zeit liegen. Das Wappen derer von Groroth zeigt einen Mann im schwarzen Gewand, der eine silberne Rodhacke geschultert hat. Mitte des 17. Jahrhunderts soll das alte Grafengeschlecht erloschen sein, das seit Anfang des 14. Jahrhunderts bezeugt ist. Anno 1699 ist ein Anton Sohlern als Besitzer des Hofes überliefert, der im selben Jahr auch die Grorother Mühle am Wiesenweg zwischen Schierstein und Frauenstein erbauen ließ.

Quelle: Wiesbadener Kurier

Anzeigen

Sagen & Geschichten rund um die Stadt Wiesbaden wiesbaden.de
1 / 1