Gedenkort Fasanerie
Zwangsarbeit begleitete die nationalsozialistische Herrschaft schon von Beginn an. Bereits die Häftlinge in den frühen Konzentrationslagern wurden zu harter körperlicher Arbeit gezwungen. Wirtschaftliche Erwägungen spielten hier zunächst keine Rolle. Vielmehr ging es darum, die Umstände der Arbeit so zu gestalten, dass sie erniedrigend waren und im nationalsozialistischen Sinne erzieherisch wirken sollten. Das Motiv, aus der "Volksgemeinschaft" Ausgeschlossene durch den Zwang zu schwerer Arbeit zu demütigen, setzte sich fort. Besonders deutlich wird dies bei antijüdischen Maßnahmen, etwa, wenn Juden nach den Novemberpogromen 1938 gezwungen wurden, die Trümmer von Synagogen zu beseitigen.
Mit dem Überfall des Deutsches Reiches auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges änderte sich das Bild grundlegend. Zwangsarbeit wurde nun zunehmend notwendig, um Aufrüstung und Kriegswirtschaft aufrecht zu erhalten und die sich daraus ergebenden ökonomischen Zwangslagen zu überwinden. Bis 1939 gab es keine umfangreichen Vorbereitungen für den massenhaften Einsatz ausländischer Zwangsarbeitskräfte. Lediglich beschlossen worden war, polnische Kriegsgefangene in der Landwirtschaft einzusetzen. Durch die Kriegsführung verschärfte sich jedoch die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt schnell, weshalb die Arbeitsbehörden im November 1939 entschieden, ab 1940 massenhaft polnische Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zu rekrutieren.
Die Verschleppung von Polinnen und Polen begann unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch in Polen. Bei Straßenrazzien verhafteten Wehrmacht und Polizei bis Ende 1939 etwa 20.000 Zivilistinnen und Zivilisten. Über 420.000 polnische Soldaten wurden in Gewahrsam genommen und etwa 300.000 von ihnen zur Arbeit ins Reich verschleppt. Breit angelegte Propagandaaktionen, um Freiwillige zu gewinnen, blieben wirkungslos, weshalb sich Zwangsrekrutierungsmaßnahmen schließlich durchsetzen.
Während die Arbeitsbehörden versuchten, den Erfordernissen der Kriegswirtschaft durch den massenhaften Einsatz ausländischer Arbeitskräfte Rechnung zu tragen, hegten die deutschen Sicherheitsorgane erhebliche Bedenken gegen die massenhafte Verschleppung von Polinnen und Polen ins Deutsche Reich. Sie fürchteten "Überfremdung", Spionage und Aufstände der ausländischen Arbeitskräfte. So gerieten die rassistischen Prämissen der NS-Ideologie und die ökonomischen Erfordernisse des Krieges in Widerspruch. Als Kompromiss entstanden besonders restriktive Leitlinien zum Umgang mit polnischen Arbeitskräften. Die "Polen-Erlasse" traten am 8. März 1940 in Kraft und zielten auf die rassistische Diskriminierung und Ausbeutung der polnischen Zwangsarbeitskräfte ab.
Für Polinnen und Polen wurde eine Kennzeichnungspflicht erlassen. Sie mussten den Buchstaben "P" auf ihrer Kleidung tragen. Hinzu kamen zahlreiche Einschränkungen und Verbote. Polnischen Arbeitskräften war mit Inkrafttreten der "Polen-Erlasse" beispielsweise die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel untersagt. Besonders wichtig war den NS-Ideologen das Verbot privater Kontakte zwischen Polen und Deutschen. Dies galt insbesondere für intime Beziehungen, die für polnische Frauen oft mit KZ-Haft und für polnische Männer sogar mit dem Tode bestraft wurden.
Etablierte Verfahren zur Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte der Jahre 1939 bis 1941, wie die "Polen-Erlasse", hatten Vorbildcharakter und wurden in radikalisierter Form bis Kriegsende weiterentwickelt.
Die Situation der polnischen Zwangsarbeitskräfte verschärfte sich durch die sogenannte Polenstrafrechtsverordnung, die am 4. Dezember 1941 in Kraft trat. Sie schrieb die rigorose Behandlung von Polinnen und Polen durch Polizei und Justiz juristisch fest. Ab 1942 verhängten sogenannte Sondergerichte hohe Strafen.
Zu den polnischen Zwangsarbeitskräften, die ab 1940 in Wiesbaden eingesetzt wurden, gehörte der am 30. März 1915 in Ludwinów, Kreis Kielce, geborene Edward Seweryn. Über sein Leben liegen kaum Informationen vor. Dokumentiert ist, dass er am 1. Mai 1940 bei Willy Rauch im Wiesbadener Bezirk Kleinfeldchen eine Arbeit antreten musste. Der am 10. November 1900 in Wiesbaden geborene Willy Rauch führte seit 1933 eine Gemüsegärtnerei, die sich neben dem Sportplatz Kleinfeldchen befand.
Edward Seweryn wurde am 21. Januar 1942 durch die Kriminalpolizei Wiesbaden erkennungsdienstlich behandelt. Zeugen geben in der Nachkriegszeit an, dass Seweryn verdächtigt wurde, eine Beziehung zu einer deutschen Frau zu führen. Entsprechend der Polenstrafverordnung wurde der Fall extrem hart bestraft. Beamte der Staatspolizei Frankfurt am Main richteten Edward Seweryn am 10. Juli 1942 in der Fasanerie hin. Bei der Fasanerie handelte es sich um ein städtisches Grundstück, das zu dieser Zeit noch nicht als Tierpark genutzt wurde. Es war an Dr. Richard Beer verpachtet, der es landwirtschaftlich nutzte. Zwischen 1939 und 1945 waren hier mindestens 26 ausländische Zwangsarbeitskräfte eingesetzt.
Kurz nach Seweryns Tod wurde die aus Kiew stammende Katharina Sawtschenko in der Gärtnerei Willy Rauch zur Arbeit eingesetzt. Ihr folgte am 2. Mai 1944 der gerade 17 Jahre alte Stanislaw Wroniewicz.
Insbesondere der langfristige Krieg gegen die Sowjetunion und der steigende Arbeitskräftebedarf in der Rüstungsindustrie führten ab 1942 zur Zentralisierung der Arbeitspolitik. Am 21. März 1942 wurde Fritz Sauckel (1894-1946) zum "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" ernannt. Nach der Niederlage von Stalingrad radikalisierte sich die Arbeitspolitik weiter und der „Ausländereinsatz“ erfuhr eine enorme quantitative Ausweitung in allen Bereichen. Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden vermehrt zur Arbeit herangezogen, sodass sich ein weit verzweigtes Netz an Kriegsgefangenen- und KZ-Außenlagern entwickelte. Für die ab Frühjahr 1942 in das Deutsche Reich verschleppten zivilen Arbeitskräfte aus der Sowjetunion wurde nach dem Vorbild der „Polen-Erlasse“ ein umfassendes Sonderrecht geschaffen.
Das damit geschaffene System des "Ausländereinsatzes" blieb bis in die letzten Kriegswochen bestehen. Die Bombardierungen deutscher Städte und die Wirren der letzten Kriegstage bedrohten das Leben der Zwangsarbeitskräfte. Am 9. März 1945 wurde das größte Zwangsarbeiterlager in Wiesbaden zerstört. Da es den ausländischen Zwangsarbeitskräften verboten war, Schutzräume aufzusuchen, starben aufgrund der Bombardierung des Lagers, das sich in der Nähe des Wiesbadener Schlachthofes befand, über 20 Menschen. Mit der Zerstörung des Lagers brachen auch alle Strukturen zur Versorgung der Zwangsarbeitskräfte zusammen. Die ausländischen Arbeitskräfte irrten durch die Stadt und suchten nach Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu beschaffen. Mit dem Einmarsch der US-Armee am 28. März 1945 wurden sie befreit. Die meisten Überlebenden hielten sich noch einige Monate als „Displaced Persons“ in Wiesbaden auf, bis sie durch die Militärregierung in ihre Heimat überführt werden konnten.
Im Zuge der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen in den 1950er und 1960er Jahren wurde auch der Tod Seweryn durch das Hessische Landeskriminalamt Wiesbaden untersucht. Ermittelt wurde wegen Mordes gegen unbekannt. Die Kriminalbeamten befragten 1964 unter anderem den Polizisten, der Edward Seweryn hingerichtet hatte. Die Ermittlungen ergaben, dass zwei polnische Männer, die ebenfalls Zwangsarbeit in Wiesbaden leisteten, der Hinrichtung Seweryns beiwohnen mussten. Dies diente der Abschreckung, sollte Angst unter den Zwangsarbeitskräften verbreiten und damit Aufständen vorbeugen. Das Landeskriminalamt stellte seine Ermittlungen ein. Ob anschließend ein Verfahren gegen den für die Durchführung der Hinrichtung zuständigen Polizisten eröffnet wurde, ist nicht bekannt.