Kastel (Mainz-Kastel)
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Um 10 v. Chr. wird Kastel als Mainzer Brückenkopf erstmals erwähnt. Unter dem Eindruck der Alamannengefahr verbesserte man im ersten Jahrhundert den Schutz des Kastells durch die Ummauerung der Siedlung. Um 71 entstand unter Kaiser Vespasian eine steinerne Brücke, die noch während der Regentschaft Kaiser Maximians existierte. Sie mündete in die heutige Große Kirchen-/ Rathausstraße, direkt in das römische Kastell, dessen zweites Tor sich nur wenige Meter entfernt von dem 1986 entdeckten Fundament des römischen Ehrenbogens befand. Die zivile Siedlung, die im 2. Jahrhundert entstand, hatte den Namen »castellum matiacorum«. Die Anfang des 4. Jahrhunderts zerstörte Brücke ließ Karl der Große 803 wieder aufbauen, wobei er die römischen Pfahlroste benutzte; sie wurde jedoch bereits 813 durch ein Feuer vernichtet. Danach war die Flussüberquerung nur mehr über primitive Fähren möglich. Erst im 17. Jahrhundert wurde erneut eine Schiffsbrücke eingerichtet. Im 10. Jahrhundert war Kastel Reichsgut. Später gelangten große Teile an das Bistum Mainz, dessen Grundbesitz in Kastel seit dem 11. Jahrhundert belegt ist. Das Patronatsrecht über die Kirchen übte das Mainzer Petersstift aus, davon zeugen die Namen Petersberg und Petersaue. Weitere geistliche Grundbesitzer waren die Deutschordensritter, das Jakobsberger Kloster und das Mainzer Armenspital zum heiligen Geist, Namensgeber des Distrikts Spittelstück.
Die Kirchengeschichte von Kastel setzt bereits in der Spätantike ein. Der Legende nach starb in Kastel der Soldaten-Märtyrer Ferrutius. Eine Pfarrkirche ist erst 1147 belegt, 1281 wird ein Pfarrer genannt. Wohl bereits aus dem 6. Jahrhundert stammt eine dem heiligen Georg geweihte Kirche. Ihr Patronat ging später auf eine 1450 bezeugte Kapelle Mariae Himmelfahrt innerhalb der Ortsbefestigung über. Diese neue, jüngere Georgskirche wurde nach der Zerstörung Kastels im 17. Jahrhundert wiederaufgebaut und 1746 geweiht. 1944 wurde sie bei der Bombardierung von Kastel komplett zerstört; ein völlig veränderter Neubau entstand bis 1977. Seit 1127 ist in Kastel eine Jakobsbruderschaft nachweisbar.
Als Stadt wird Kastel erstmals 1237 erwähnt. Seit 1240 war der Ort in kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Staufern und dem mittelrheinischen Adel verwickelt und wurde mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg ließ 1484 Kastel unter anderem durch eine Landwehr mit vier Warttürmen, darunter die Erbenheimer Warte, sichern. Seit dieser Zeit war der Mainzer Metropolit unangefochtener Stadtherr. Mit dem Bartholomäusmarkt entstand 1475 einer der ältesten Märkte der Region. Die Bevölkerung lebte von Landwirtschaft und Weinbau. Vertreter der weltlichen Obrigkeit war der seit Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbare Schultheiß. Den geistlichen Stadtherrn vertrat der Amtsvogt. Von 1453 datiert ein Gerichtssiegel mit dem Kirchenpatron St. Georg im Siegelbild. 1510 wird das Gerichts- und Rathaus von Kastel erstmals urkundlich erwähnt. 1689 wurde es von den Franzosen zerstört, 1755 wieder aufgebaut und in den 1880er-Jahren durch einen Neubau ersetzt. 1661 legte man eine neue Schiffsbrücke an; 1690 gab es in Kastel 1.100 Einwohner und 225 Häuser. Kriegerische Auseinandersetzungen und die Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges setzten dem Ort im 17. Jahrhundert schwer zu. 1666 wurde über die Hälfte der Bevölkerung von der Pest dahingerafft. Um die Seuche einzudämmen, erbaute man um die Kirche St. Georg eine sogenannte Pestmauer, hinter der Kranke betreut und Verstorbene bestattet wurden. Teile davon sind heute noch erhalten. 1689 brannten die Franzosen die Stadt nieder. Seit 1792 wurde die Festung Kastel als militärischer Brückenkopf von der französischen Revolutionsarmee unter General Custine, später von Napoleon ausgebaut. 1816 übernahmen Österreich und Preußen die Befestigungen und erweiterten sie 1832/33 um die am Rheinufer liegende Verteidigungsanlage Reduit.
Seit Beginn des 17. Jahrhunderts gab es in Kastel eine Schule. Der Lehrer bekleidete auch das Amt des Gerichtsschreibers, Glöckners und Organisten. Der Unterricht fand vermutlich zunächst im Rathaus statt, bevor 1671 ein eigenes Schulhaus erbaut wurde. 1841 wurde es durch ein Gebäude in der Eisenbahnstraße ersetzt, das für vier Klassen geeignet war. 1911 wurden alle Klassen in ein neues großes Schulgebäude am Ludwigsplatz integriert, das nach der Eingemeindung 1963 in Gustav-Stresemann- Schule umbenannt wurde. Um 1900 gab es zwei katholische und eine evangelische Volksschule. 1975 kam die Wilhelm-Leuschner-Schule hinzu. Die Bevölkerung war mehrheitlich katholisch. Erst 1859 gründete sich eine evangelische Gemeinde, die 1878 eine eigene Kirche erhielt. Eine selbstständige jüdische Gemeinde, deren Anfänge auf das 15. Jahrhundert zurückgehen, existierte bis zur Transferierung nach Mainz 1914. 1452 sind mindestens fünf jüdische Familien bezeugt. Um 1700 lebten erneut Juden in Kastel, die gemeinsam mit denen in Kostheim eine Gemeinde bildeten; insgesamt waren es etwa 12 bis 14 jüdische Familien. 1843 war die Gemeinde auf 97 Personen angewachsen. 1833/34 wurde in der Frühlingsstraße eine Synagoge mit Gemeindehaus erbaut, die nach Auflösung der Gemeinde 1914 verkauft und später abgerissen wurde. Ab 1814 gab es einen eigenen Lehrer und Vorsänger, auch bestand seit 1830 ein Krankenverein. Die Toten wurden in Mainz beigesetzt. Auch nach 1914 gab es weiterhin jüdische Einwohner in Kastel, von denen 24 Opfer des Holocaust wurden.
Nach dem Abzug der Franzosen wurde Kastel ab Mai 1814 weiter von Mainz mitverwaltet, bevor beide Städte nach dem Wiener Kongress 1815 als Bundesfestungen dem Darmstädter Großherzogtum Hessen zugeteilt wurden. Erst 1908 erfolgte die endgültige Eingemeindung nach Mainz. 1945 schließlich wurde Kastel zusammen mit Amöneburg und Kostheim in den Stadtkreis Wiesbaden eingegliedert. Im 16. Jahrhundert begann die große Zeit der Flößer. Ein wichtiger Arbeitgeber war die Christof Ruthof GmbH Schiffswerften und Maschinenfabrik. Seit 1825 verkehrten die ersten Rheindampfer. Kastel erhielt 1839 Anschluss an die Taunusbahn von Frankfurt am Main nach Wiesbaden. Die revolutionäre Bewegung von 1848 machte auch vor Kastel nicht halt, Bürgermeister, Polizist und Schuldiener wurden abgesetzt. 1882–85 wurde die heutige Theodor-Heuss-Brücke errichtet. 1896 wurden in Kastel Zugbrücken und Tore abgerissen, seit 1904 wurde auch die innere Umwallung beseitigt. Nun legte man das Wasserwerk am Ochsenbrunnen an, Kastel erhielt eine Kanalisation sowie Anschlüsse an das Gas- und Elektrizitätsnetz. Die Kasteler Vereine – die Freiwillige Feuerwehr von 1866, die Ruder- und Kanu-Gesellschaft von 1880, die Turn- und Sportgemeinschaften von 1846/1886 oder die Jocus-Garde von 1889 – haben eine lange Tradition. Kastel ist eine Karnevalshochburg, der Karneval Club ist einer der vier Ausrichter der Fernsehsitzung, die alljährlich am Freitag vor dem Fastnachtswochenende bundesweit ausgestrahlt wird.
Der Zweite Weltkrieg hatte für Kastel verheerende Folgen. Die Bombardierung durch die britische und amerikanische Luftwaffe am 08.09.1944 führte zur fast vollständigen Zerstörung des Ortskerns. Über 300 Einwohner fanden den Tod. Das moderne Kastel hat sich über das 21 ha große, noch immer militärisch genutzte Gelände der Air Forces Europe Exchange im Norden des Ortskerns hinaus entwickelt. Die größten Neubaugebiete, »Krautgärten« und »An der Helling« sind seit Mitte der 1990er-Jahre entstanden. 2015 lebten in Kastel 12.537 Menschen in 5.972 Haushalten. Die katholischen Christen sind mit über 50 % der Bevölkerung stark vertreten, die evangelische Gemeinde wird mit knapp 40 % der Bevölkerung angegeben. Rund 20 % der Bevölkerung sind Migranten.
Literatur
Landeshauptstadt Wiesbaden: Mainz-Kastel – Materialien zur Stadtentwicklung. Wiesbaden, ohne Jahr.
Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 4: Hessen. Hrsg.: Sante, Georg Wilhelm, Stuttgart 1976.