Viktoria-Luise-Straße (Südost)
Artikel
Der Magistrat beschloss am 14. März 1903 die Benennung einer Straße im Stadtteil Südost nach Viktoria Luise von Preußen (1892-1980), der Tochter Kaiser Wilhelms II.
Viktoria Luise von Preußen wurde am 13. September 1892 als jüngstes Kind und einzige Tochter von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau Auguste Viktoria in Potsdam geboren. Die Erziehung der Prinzessin gaben die Eltern in die Hände von Lehrern und Gouvernanten. 1913 heiratete Viktoria Luise Ernst August von Hannover, der im gleichen Jahr zum regierenden Herzog von Braunschweig ernannt wurde. Viktoria Luise wurde damit Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, Herzogin von Hannover und Prinzessin von Großbritannien und Irland.
Über das Leben der Herzogin ist nur wenig bekannt. Insbesondere Äußerungen zu politischen Themen sind kaum erhalten. Eine der wenigen Aussagen, die Rückschlüsse auf Viktoria Luises Haltung erlauben, ist die vehemente Ablehnung des Versailler Friedensvertrages von 1919 nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei überrascht es wenig, dass Viktoria Luise als Tochter des nun im Exil lebenden Kaisers und infolge ihres eigenen Titelverlusts die Nachkriegsordnung ablehnte.
In der unter ihrem Namen veröffentlichten Publikation »Im Strom der Zeit« wird der Versailler Friedensvertrag als Hauptgrund für die Radikalisierung in Deutschland genannt. Als Beleg werden kritische Zitate von bekannten (demokratischen) Politikern wie dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss oder dem britischen Premierminister Winston Churchill angeführt. Die Darstellung konstruiert den Versailler Vertrag als ursächlich für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands, die ihrerseits Nährboden für den Nationalsozialismus unter Hitler gewesen seien.
Die Hohenzollern kooperieren ab 1933 mit dem NS-Regime. Zwar lehnte der ehemalige Kaiser Wilhelm II. die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung als »Radauantisemitismus« ab, ein öffentliches Einstehen gegen die Pogrome fand von Seiten des Ex-Kaisers aber nicht statt. Im Kern richtete sich die Ablehnung des ehemaligen Kaisers gegen die Art und Weise, wie das NS-Regime gegen Juden vorging, nicht aber gegen die Verfolgung im Allgemeinen.
Wenn auch die autobiografischen Schriften den Eindruck entstehen lassen, Viktoria Luise habe sich zu Vertretern des NS-Regimes eher distanziert verhalten, geben verschiedene Zeitzeugenberichte einen anderen Eindruck.
Viktoria Luise und ihr Mann setzten sich weiterhin aktiv für eine Annäherung zwischen England und Deutschland ein. Damit unterstützten sie die außenpolitischen Ziele des NS-Regimes. Darüber hinaus unterstützte das Ehepaar die Nationalsozialisten finanziell.
Bei den Parteitagen und den Olympischen Spielen 1936 übernahm Viktoria Luise die Betreuung der britischen VIP-Gäste. Das Familienanwesen in Österreich stellte die Prinzessin für Treffen der NS-Führung zur Verfügung. Am Anwesen in Braunschweig wurde die Hakenkreuzflagge gehisst. Die Tochter Friederike wurde von der NS-Presse bei der Verrichtung ihrer Arbeitspflicht begleitet.
Schließlich profitierte Herzog Ernst August von Hannover während der NS-Zeit an »Arisierungen« und der Ausbeutung von Zwangsarbeitskräften. Es bleibt jedoch mangels Quellen unklar, ob und wie weit Viktoria Luise ihren Mann aktiv dabei unterstützte.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges bewohnte Viktoria Luise das Schloss Marienburg bei Hannover. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1953 zog sie in eine Braunschweiger Villa. In der Folge standen ihr weniger finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, begann Viktoria Luise mit der Veröffentlichung autobiografischer Schriften. Insgesamt entstanden sieben Publikationen, die zwischen 1965 und 1974 erschienen. Die Bücher erreichten ein Millionenpublikum. Die vom Ghostwriter Leonhard Schlüter verfassten Veröffentlichungen, sind in hohem Maße geschichtsverfälschend und klammern die Rolle der Familie von Hannover und damit auch der Herzogin selbst während des Nationalsozialismus entweder aus oder beschönigen sie. Viktoria Luise starb am 11. Dezember 1980 in Hannover.
Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung der Viktoria-Luise-Straße wegen Viktoria Luise von Preußens immaterielle Unterstützung des NS-Regimes durch ihr außenpolitisches Engagement, insbesondere in Großbritannien, und die Bereitstellung ihres Anwesens in Österreich für nationalsozialistische Zusammenkünfte. Dadurch ist sie aktiv für die NS-Bewegung eingetreten.
Durch ihre repräsentative Funktion bei deutsch-britischen Treffen und bei den Olympischen Spielen 1936 hat Viktoria Luise von Preußen nationalsozialistische Ideologie öffentlich artikuliert.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft relativierte und verharmloste Viktoria Luise von Preußen in ihren autobiografischen Schriften die Verbrechen des NS-Regimes und relativierte ihre eigene Rolle in beschönigender und exkulpativer Absicht.
Literatur
-
Stolper, Dirk
Namen im öffentlichen Raum. Abschlussbericht der Historischen Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden, in: Schriftenreihe des Stadtarchivs Wiesbaden, Band 17. Wiesbaden 2023.