Synagoge am Michelsberg
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Die am 13.08.1869 eingeweihte Synagoge am Michelsberg war die Synagoge der liberal-reformierten Jüdischen Gemeinde. Ihre große azurblaue, mit goldenen Sternen verzierte Kuppel über einem weißgrauen Oktogon aus Sandstein strahlte majestätisch und weithin sichtbar über der Stadt. Die Synagoge am Michelsberg war das Sinnbild eines emanzipierten, bürgerlichen und assimilierten Judentums.
Für den nassauischen Baumeister Philipp Hoffmann war es nach der Bonifatiuskirche und der Russischen Kirche auf dem Neroberg das dritte Wiesbadener Gotteshaus, das er entwarf. Als Vorbild diente ihm eine Villa in maurischem Stil in Stuttgart, die König Wilhelm II. von Württemberg gerade hatte erbauen lassen. Maurisch gleich orientalisch hieß die Modeformel der Zeit. In Dresden hatte Gottfried Semper mit seiner Synagoge (1840) die Richtung vorgegeben. Den dreischiffigen, über quadratischem Grundriss errichteten Raum der Synagoge teilten vier frei stehende Kuppelpfeiler. In den Seitenschiffen befanden sich die Emporen für die Frauen, deren Zugang über vier niedrige Ecktürme mit Kuppeln erfolgte. Die Kanzel war aus nassauischem Marmor. Thoraschrein, siebenarmiger Leuchter und ein ewiges Licht symbolisierten die Gegenwart Gottes.
Wiesbadens neue Synagoge war die Stein gewordene Toleranzidee der Aufklärung im Sinne der Ringparabel aus Lessings Drama »Nathan der Weise«. Mit dem bis dahin für eine Synagoge ungewöhnlichen Einbau einer Orgel und der Gründung eines Synagogen-Gesangvereins wollte man sich der Liturgie der christlichen Kirchen annähern. Die Einweihung im August 1869 erfolgte in der Amtszeit des Rabbiners Samuel Süßkind.
In der Reichspogromnacht vom 09. zum 10. November 1938 legten in Zivil gekleidete NSDAP-Mitglieder und SA-Männer auch am Wiesbadener Michelsberg Feuer. Die Feuerwehr löschte gegen 4 Uhr morgens den Brand, möglicherweise aufgrund eines Missverständnisses. Um 6 Uhr erschien erneut ein NS-Kommando und legte ein zweites Mal Feuer. Diesmal schützte die Feuerwehr nur die umliegenden Gebäude. Die Synagogen in Biebrich und in der Friedrichstraße wurden ebenfalls zerstört, ebenso das Bethaus in der Blücherstraße 6. Hier verzichtete man aber auf das Abbrennen mit Rücksicht auf die Nachbarschaft.
Am Standort der Synagoge am Michelsberg entstand im Jahr 2010 eine Gedenkstätte mit namentlichem Gedenken an rund 1.500 jüdische Holocaust-Opfer aus Wiesbaden.