Schmidt, Jonas Friedrich Wilhelm
Schmidt, Jonas Friedrich Wilhelm
Zoologe, Universitätsprofessor
geboren: 7. Oktober 1885 in Wiesbaden
gestorben: 13. März 1958 in Wiesbaden
Artikel
Die Familie Schmidt lebte bereits über Generationen in Wiesbaden und führte hier einen großen landwirtschaftlichen Betrieb, der um 1900 geschlossen und abgewickelt wurde.
1903 legte Jonas Schmidt in seiner Geburtsstadt das Abitur ab und studierte anschließend Landwirtschaft an der Königlich Preußischen landwirtschaftlichen Akademie Bonn-Pöppelsdorf und der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin sowie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1907 bestand Schmidt in Bonn das Staatsexamen zum Diplomlandwirt. Ein Jahr später erfolgte die Promotion mit einer Studie über die »Beziehungen zwischen Körperform und Leistung bei den Milchkühen« an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn.
Zwischen 1908 und 1912 war Schmidt in der Landwirtschaft tätig. 1910 übernahm er für kurze Zeit die Direktorenstelle an der Landwirtschaftsschule Hof Geisberg in Wiesbaden. Es schloss sich eine Reise in die deutschen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent an. 1913 habilitierte er sich an der Königlich Preußischen landwirtschaftlichen Akademie Bonn-Pöppelsdorf mit der Arbeit »Die mitteldeutsche Rotviehzucht« und wurde zum Privatdozenten ernannt. Zwischen 1914 und 1917 war er Teilnehmer am Ersten Weltkrieg.
Nach dem Krieg wurde Schmidt 1919 zum außerordentlichen, 1920 zum ordentlichen Professor für Tierzucht und Taxationslehre an die Universität Jena berufen. 1921 wechselte Schmidt an die Universität Göttingen, wo er die Professur für Tierzucht und Tierernährung übernahm. Damit verbunden war eine Vorstandstätigkeit am Institut für Tierzucht und Molkereiwesen und am Institut für Tierernährungslehre.
Nach der »Machtübernahme« der Nationalsozialisten wurde Jonas Schmidt 1933 Mitglied der SA-Reiterstandarte 57 in Göttingen. Aufgrund seines Alters versah Schmidt keinen aktiven SA-Dienst, sondern forderte den Verband mit monatlich zwei RM. 1936 schied er beim beruflichen Wechsel nach Berlin aus der Reiter-SA aus.
Schmidt unterstützte den Ausschluss jüdischer Hochschullehrer aus den deutschen Universitäten 1933 aktiv. So unterzeichnete er im April 1933 eine Erklärung von 42 Göttinger Hochschullehrern, die im »Göttinger Tageblatt« erschien und Maßnahmen gegen den jüdischen Physiker und Nobelpreisträger James Franck forderte. Franck war von der Entlassungswelle nach dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 nicht betroffen, da er ein sogenannter jüdischer Frontkampfer war. Dennoch war Franck freiwillig öffentlich zurückgetreten. Diese öffentliche Erklärung Francks erzeugte großes Interesse im In- und Ausland. Schmidt war im November 1933 auch Unterzeichner des »Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat«.
Schmidts eigene berufliche Karriere in der Zeit des Nationalsozialismus verlief erfolgreich. Innerhalb der nationalsozialistischen Agrarwissenschaften nahm Jonas Schmidt eine herausragende Stellung ein. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde wurde er Obmann der Reichsarbeitsgemeinschaft Tierzucht im Forschungsrat für Landwirtschaftswissenschaften.
Der Leiter dieses Forschungsrates war Konrad Meyer, der als SS-Oberführer hauptverantwortlich für den Generalplan Ost war. Meyer, der ebenfalls Agrarwissenschaftler war, kannte Schmidt bereits aus seiner Zeit an der Universität Göttingen und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Schmidt nach Berlin wechselte.
1936 wurde Schmidt zum Ordinarius für Tierzucht und Haustiergenetik an die Landwirtschaftliche Fakultät der Preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen. Nach dem unerwarteten Tod von Gustav Frölich, dem Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Tierzuchtforschung in Dummerstorf bei Rostock, übernahm Jonas Schmidt zugleich mit seiner Berliner Tätigkeit 1940 geschäftsführend die Leitung des Instituts.
Jonas Schmidt vereinte in der Sparte Landwirtschaftswissenschaften während des »Dritten Reichs« nahezu die meisten Ämter auf sich. Er galt neben Meyer und dem Hohenheimer Tierzüchter Peter Carstens als einer der Vertreter des Prinzips der »Bodenständigkeit« in der deutschen Tierzuchtforschung. Ziel des Prinzips war eine maximierte Leistungsfähigkeit von Rindern und die Weitergabe dieser an ihre Nachkommen.
Die Tierzucht und insbesondere die Haustiergenetik waren die Hauptforschungsgebiete von Jonas Schmidt. Als sein Hauptwerk kann das 1939 veröffentlichte Lehrbuch der Tierzucht gelten. Seine Forschungen an Rinderzwillingen fanden auch Interesse bei Wissenschaftlern aus dem Bereich der Humangenetik und Eugenik. Mit seiner Forschung konnte Schmidt außerdem einen Beitrag zum Streben des NS-Regimes nach Autarkie für die Nahrungsmittelproduktion leisten.
Außer im beruflichen Bereich engagierte sich Schmidt auch in weiteren NS-Organisationen. 1940 trat Schmidt dem NS-Reichskriegerbund, dem NS-Altherrenbund und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt bei. Ab 1942 wurde er Mitglied des NS-Dozentenbundes. Zudem stellte er schon Ende der 1930er Jahre einen Aufnahmeantrag in die NSDAP. Dieser wurde jedoch 1940 abgelehnt, da Schmidt 1910/11 kurzzeitig Mitglied der Freimaurerloge »Hohenzollern« in Wiesbaden war.
Nach Kriegsbeginn verblieb Schmidt in Dummerstorf und unterstützte die deutsche Expansionspolitik im besetzten Osteuropa durch seine Forschungen.
So erhielt sein Institut eine Etaterhöhung für den Aufbau einer Schafszucht für »Besiedlungsprojekte« im Osten. Das zugehörige ideologische Gedankengut propagierte Schmidt u. a. in seiner Eröffnungsrede auf der zweiten gemeinsamen Tierzuchttagung des Forschungsdienstes, des Reichsnährstandes und der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde 1940, in der er den Zweiten Weltkrieg und die Expansionspolitik der Nationalsozialisten befürwortete.
1942 wurde Schmidt zum ordentlichen Direktor des KWI für Tierzuchtforschung in Dummerstorf ernannt. Ein Jahr später wurde er zusätzlich zum Professor für Tierzucht an die Universität Rostock berufen. Spätestens in dieser Funktion lässt sich Schmidt als wissenschaftlicher Zuarbeiter der landwirtschaftlichen Führung des NS-Staates bezeichnen. Als Direktor des KWI in Dummerstorf und zuvor schon in Berlin verwaltete Jonas Schmidt große Anbauflachen. In den jeweiligen Instituten mussten außerdem hunderte von Tieren betreut werden. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden wegen der Einberufung des Institutspersonals zur Wehrmacht die Arbeitskräfte knapp. Jonas Schmidt forderte daher schon im Winter 1939/40 Kriegsgefangene für die Arbeit auf dem Versuchsgut Koppehof bei Berlin an. Bereits im Winter 1939/40 wurden die ersten zehn polnischen Soldaten zur Arbeit auf das Versuchsgut gebracht. In den folgenden Monaten wurden vor allem französische Kriegsgefangene auf den Koppehof gebracht.
Als Schmidt 1940 als kommissarischer Leiter des KWI nach Dummerstorf wechselte, wurden ihm zahlreiche Zwangsarbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Es handelte sich dabei um 224 polnische, ukrainische, russische, kroatische, amerikanische, französische und niederländische Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeitskräfte.
Der weitere Kriegsverlauf minderte Schmidts Forschungsaktivitäten kaum. Im Jahr 1944 erhielt der Agrarwissenschaftler vom Reichsforschungsrat Gelder zur »Züchtung eines schweren gängigen Pferdes für Wehrmacht und Landwirtschaft« und zur »Prüfung des Verfahrens der künstlichen Besamung zwecks möglichst schneller Verbreitung besonders wertvoller Tierrassen«.
Nach Kriegsende setzte sich Schmidt nach Süddeutschland ab. In Hechingen (Hohenzollern) übernahm er einen landwirtschaftlichen Betrieb. 1946 wurde er Direktor des nach Mariensee bei Neustadt am Rübenberge verlagerten KWI für Tierzuchtforschung. Nach Streitigkeiten mit Otto Hahn, dem Direktor des KWI, nahm Schmidt 1946 einen Ruf an die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim an. Zuvor musste sich Schmidt einem Entnazifizierungsverfahren stellen.
Die Spruchkammer Stuttgart 3 ordnete Schmidt im September 1947 zunächst in Gruppe 4 (»Mitläufer«) ein. Er musste eine »Sühneleistung« von 300 RM bezahlen. Gegen diesen Spruch legte Schmidt jedoch erfolgreich Einspruch ein. Entlastend wirkte sich aus, dass Schmidt nicht Mitglied der NSDAP geworden war. Schmidts Eingruppierung in die Gruppe 4 und die »Sühneleistung« wurden aufgehoben.
Von 1949 bis 1951 war Schmidt Rektor der Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim. 1950 wurde ihm die Hermann-von-Nathusius-Medaille in Gold der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde verliehen. Ab 1952 war Schmidt Vorstandsmitglied der Europäischen Vereinigung für Tierzucht in Rom. Das Institut für Tierzuchtlehre in Hohenheim leitete er bis zur Emeritierung 1953. Seinen Ruhestand verbrachte er in Wiesbaden. Im Jahr 1956 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Kiel zuerkannt.
Im Wiesbadener Stadtteil Nordost nahe des ehemaligen Standorts der landwirtschaftlichen Schule Geisberg wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 1. Juli 1965 eine Straße nach Jonas Schmidt benannt.
Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung der Jonas-Schmidt-Straße wegen Schmidts Mitgliedschaften in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen (SA-Reiterstandarte 57 in Göttingen, NS-Reichskriegerbund, NS-Altherrenbund, NSV, NSDDB) angehört. Er unterstützte das NS-Regime durch seine öffentlichen Bekenntnisse und öffentlichen Reden sowie mit seinen Forschungen immateriell und artikulierte öffentlich nationalsozialistische Ideologie.
Durch die Unterstützung seiner Forschungen und Förderung seiner wissenschaftlichen Karriere erlangte Schmidt immaterielle Vorteile. Als Institutsdirektor in Berlin und Dummerstorf forderte Schmidt mindestens 242 Kriegsgefangene und Zwangsarbeitskräfte an und war dadurch an der bewussten Schädigung von Personen beteiligt.
[Der vorliegende wurde von Peter-Michael Glöckler für die 2017 gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2024 von Dr. Katherine Lukat überarbeitet und ergänzt.]
Literatur
Stockey, Friedrich: 50 Jahre Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau Wiesbaden, Wiesbaden 1991.
Wagner, Georg: 150 Jahre Landwirtschaftsschule Hof Geisberg in Wiesbaden, Wiesbaden 1968.
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Stolper, Dirk
Namen im öffentlichen Raum. Abschlussbericht der Historischen Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden, in: Schriftenreihe des Stadtarchivs Wiesbaden, Band 17. Wiesbaden 2023.