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Sauerbruchstraße (Biebrich)

Artikel

Im Wiesbadener Stadtteil Biebrich wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 3. Dezember 1964 eine Straße nach dem Arzt und Universitätsprofessor Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) benannt.

Ernst Ferdinand Sauerbruch wurde am 3. Juli 1875 in Barmen (heute Wuppertal-Barmen) geboren. Im Jahr 1895 legte er am Realgymnasium Elberfeld das Abitur ab. Zwischen 1895 und 1901 absolvierte Sauerbruch ein Studium der Naturwissenschaften und der Medizin in Marburg, Göttingen, Jena und Leipzig. Nach seinem Studium war er 1901 kurzzeitig als Landarzt in Thüringen tätig, bevor er zwischen 1902 und 1903 als Assistenzarzt in Kassel, Erfurt, Berlin und Breslau arbeitete. In Breslau erfolgte 1905 seine Habilitation.

1905 ging Sauerbruch nach Greifswald, wo er als Oberarzt am dortigen Universitätsklinikum arbeitete. Drei Jahre später wurde er Erster Chirurgischer Oberarzt und Extraordinarius für Chirurgie in Marburg. 1910 wechselte er nach Zürich, wo er Ordinarius und Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik wurde. Nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 ging Sauerbruch zurück nach Deutschland und wurde Ordinarius und Leiter der Chirurgischen Universitätsklinik München. 1927 wechselte Sauerbruch an die Berliner Charité, wo er bis 1949 Ordinarius und Direktor der Chirurgischen Klinik war.

In der Weimarer Republik artikulierte Sauerbruch öffentlich eine deutsch-nationale Haltung. Den Ersten Weltkrieg bezeichnete er in der »Neuen Züricher Zeitung« als Notwendigkeit, als »ein Ereignis« wie »große Naturgewalten«, an dessen großem Geschehen »menschliche Überlegungen und menschliche Veröffentlichungen« nichts wurden verändern können. Die Kapitulation und die Revolution in Deutschland 1918 lehnte er ebenso vehement ab wie die Münchner Räterepublik 1919. Sauerbruch beteiligte sich seit 1920 an Veranstaltungen völkisch-nationaler Kreise. Aufgrund seiner Sympathien für die national-völkische Politik hatte Sauerbruch 1920 auch erste Kontakte zur NSDAP, die im Februar des Jahres in München gegründet worden war. Auch Hitler lernte er persönlich kennen.

Der Kontakt zwischen Sauerbruch und Hitler war in der Zeit des sogenannten Hitler-Putsches im November 1923 durchaus eng. Der spätere Diktator ließ sich von Sauerbruch im Januar 1923 auch medizinisch beraten. Nach dem gescheiterten Putsch und dem vorübergehenden Verbot der NSDAP nahm Sauerbruchs Kontakt zur Partei offenbar ab. Seine medizinische Karriere setzte Sauerbruch hingegen Ende der 1920er Jahre fort. Spätestens ab seinem Wechsel an die Charité galt er als führender Chirurg seiner Zeit.

Ab 1933 profitierte die NSDAP von Sauerbruchs mittlerweile gewachsener Bekanntheit. Der Mediziner demonstrierte immer wieder öffentlich seine Nähe zum Nationalsozialismus. So unterzeichnete er 1933 gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern das »Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler«.

Im Oktober und November 1933 hielt Sauerbruch zwei Rundfunkansprachen, in denen er sein Bekenntnis zur neuen Regierung erklärte. Sauerbruch betonte, dass jeder deutsche Staatsbürger bei der kommenden Reichstagswahl die Möglichkeit zu einem »freien Bekenntnis« habe, obwohl im Zuge der Machtausweitung der NSDAP alle demokratischen Parteien bis November 1933 verboten oder in die Selbstauflösung getrieben worden waren. Sauerbruch begrüßte außerdem den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund.

Umgekehrt verlieh das NS-Regime Sauerbruch zahlreiche Titel und Preise: 1934 wurde er zum Staatsrat und 1942 zum Generalarzt ernannt. 1943 wurde ihm das Ritterkreuz zum Kriegsverdienst für seine Tätigkeit als beratender Arzt der Wehrmacht und Leiter der medizinischen Abteilung des Reichsforschungsrates verliehen. 1938 erhielt er außerdem als einer der ersten fünf Preisträger den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft, der von Hitler als Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky ins Leben gerufen wurde.

In seiner Dankesrede, die über den Reichsrundfunk gesendet wurde, bedauerte
Sauerbruch das Scheitern des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 und begrüßte die »Machtübernahme« 1933.

Trotz des mehrfachen öffentlichen Bekenntnisses zu Hitler und dem NS-Regime engagierte sich Sauerbruch weder in der NSDAP noch in ihren Gliederungen oder anderen NS-Organisationen.

Die Entlassung des jüdischen Personals der Charité trug Sauerbruch ab März 1933, u. a. als Mitglied einer dafür zuständigen Personalkommission und bei Besprechungen im Professorium, mit. Den Prozess selbst trieb Sauerbruchs Kollege Gustav von Bergmann als Prodekan voran. Zugleich ist belegt, dass sich Sauerbruch privat für mehrere jüdische Kollegen und Freunde einsetzte. So unterstützte er die Emigration seines jüdischen Assistenten Rudolf Nissen und verhalf ihm zu einer Professur in Istanbul. Zu nennen sind u. a. Hilfestellungen für den Chemie-Nobelpreisträger Richard Martin Willstatter, der ein enger Freund Sauerbruchs war, und den Juristen Robert Kempner. In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen äußerte sich Sauerbruch nie abfällig über Juden oder jüdische Kollegen.

Zu diesem ambivalenten Verhalten passt auch Sauerbruchs Teilnahme an der sogenannten Berliner Mittwochsgesellschaft, einem bereits im 19. Jahrhundert gegründeten elitären Gesprächskreis hochrangiger Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik, der auch in den 1930erJahren tagte. Aufgrund der Teilnahme verschiedener späterer Akteure des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944, unter anderem des ehemaligen Generalstabschefs Ludwig Beck, wurde Sauerbruch nach dem Zweiten Weltkrieg von der biografischen Forschung mit konservativen Widerstandskreisen in Verbindung gebracht.

Die Protokolle der Mittwochsgesellschaft zeigen, dass Sauerbruch bei allen Vorträgen von Johannes Popitz, Ludwig Beck und Ulrich von Hassel, die dem Kreis des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 zuzurechnen sind, anwesend war. Nicht teilgenommen hatte der Mediziner an Vortragsabenden des Anthropologen Eugen Fischer und des Kunsthistorikers Wilhelm Pinder. Sauerbruch äußerte innerhalb der Mittwochsgesellschaft nach Beginn des Zweiten Weltkrieges offenbar gelegentlich Kritik an Hitler und dem NS-Regime, was zu Konflikten mit Fischer und Pinder führte. Die offen geäußerte Kritik innerhalb des Gesprächskreises machte Sauerbruch gleichwohl nicht zu einem Gegner des Nationalsozialismus oder gar Widerstandskampfer. In die Widerstandsplanungen der Gruppe um Beck und die Vorbereitungen auf den Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944 war Sauerbruch weder eingebunden noch war er darüber informiert.

Trotz zuweilen kritischer Einstellungen im Privaten stellte sich Sauerbruch dienstlich voll in den Dienst der NS-Medizin und der nationalsozialistischen Kriegsanstrengungen ab 1939. So war er von 1933 bis 1945 medizinischer Gutachter des Reichsforschungsrates und von 1937 bis 1945 Fachspartenleiter Medizin des Gremiums. Zudem war er Mitglied des wissenschaftlichen Senats der Akademie der Militärärzte. Sauerbruch nahm in dieser Funktion auch an der dritten Arbeitstagung der beratenden Ärzte der Akademie der Militärärzte im Jahr 1943 teil. Dort stellten Karl Gebhardt, Leiter der Heilanstalt Hohenlychen und Leibarzt Heinrich Himmlers, und sein Kollege Fritz Fischer ihre Experimente zur Untersuchung der Auswirkungen von Sulfonamid an Insassen des Konzentrationslagers Ravensbrück vor. Sauerbruch nahm an der Diskussion teil, ohne sich mit dem Vorgehen seiner Kollegen kritisch auseinanderzusetzen oder es im Plenum gar infrage zu stellen. Beide Mediziner standen im Nürnberger Ärzteprozess vor Gericht und sagten aus, dass allen anwesenden Medizinern klar gewesen sei, dass die Experimente an Insassen von Konzentrationslagern durchgeführt worden waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Sauerbruch, seine Teilnahme an der Tagung zu relativieren. Sauerbruch leistete sogar eine eidesstattliche Versicherung, dass keinem der Teilnehmer der Tagung klar gewesen sei, dass es sich um Experimente an Gefangenen gehandelt habe.

Ab 1937 genehmigte Ernst Ferdinand Sauerbruch als Fachgruppenleiter Medizin des Reichsforschungsrates selbst Experimente an KZ-Häftlingen. So reichte Otmar Freiherr von Verschuer, der Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, im Oktober 1943 ein Forschungsprojekt bei Sauerbruch ein. Dahinter verbarg sich die Arbeit von Verschuers Assistenten Josef Mengele, der im Konzentrationslager Auschwitz Experimente an Zwillingen durchführte. Ob Sauerbruch über die Details informiert war, so zum Beispiel darüber, dass die verschleppten Zwillinge nach den Experimenten getötet wurden, ist unklar.

Gleichwohl trägt Sauerbruch Verantwortung für die Forderung dieser Experimente, die er im Jahr 1944 auch verlängern ließ. In seiner Stellung als Vorsitzender des Reichsforschungsrates hatte Sauerbruch Gelegenheit gehabt, diese Experimente zu verhindern bzw. zu unterbinden.
Kritik übte Sauerbruch hingegen an der »Aktion T4«, der systematischen Ermordung von rund 70.000 Behinderten 1940/41. Zusammen mit Paul Gerhard Braune und Friedrich von Bodelschwingh protestierte Sauerbruch beim Reichsjustizminister gegen die Morde an geistig und körperlich behinderten Menschen. Wenig später stoppte Hitler das »Euthanasieprogramm«. Die Bedeutung von Sauerbruchs Protest ist nicht abschließend durch die Forschung geklärt, es ist aber zumindest wahrscheinlich, dass Sauerbruchs Missbilligung und die öffentliche Ablehnung kirchlicher Vertreter, etwa des Munsteraner Bischofs von Galen, zum Abbruch des Mordprogramms in der bis dahin betriebenen Form führte.

In der Nachkriegszeit ist Sauerbruchs Umgang mit den Verbrechen des NS-Regimes und der Ärzteschaft ebenfalls als ambivalent zu bezeichnen. Zwei Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands wurde Sauerbruch von der sowjetischen Militäradministration zum Berliner Stadtrat für das Gesundheitswesen ernannt. In der Eröffnungsrede zur ersten Tagung der Chirurgen der Sowjetischen Besatzungszone im Juli 1947 ging Sauerbruch auch auf die Kriegsniederlage und die Schuld des deutschen Volkes ein. Die NS-Verbrechen führte er auf den Zwang durch die Regierung zurück.

Ähnlich äußerte sich Sauerbruch in einem Gnadengesuch für seinen ehemaligen Assistenten Karl Brandt, dem Begleitarzt Adolf Hitlers und Beauftragten für die »Aktion T4«. Sauerbruch war über Brandts Todesurteil 1947 durch den Internationalen Gerichtshof in Nürnberg im sogenannten Ärzteprozess »sehr betroffen«.

Sauerbruch bemühte sich mithilfe eines Gnadengesuchs um Brandt, in dem er ebenfalls auf Zwangsmaßnahmen des NS-Regimes gegen Mediziner als Grund für begangene Verbrechen verwies. Brandt, der der höchstrangige Angeklagte unter den Medizinern des Ärzteprozesses war, wurde trotz Sauerbruchs Interventionsversuch im Juni 1948 für die von ihm verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingerichtet.

Ernst Ferdinand Sauerbruch starb am 2. Juli 1951 in Berlin. Seine medizinischen Leistungen als Chirurg, insbesondere auf dem Feld der Thoraxchirurgie, durch die Entwicklung der Unterdruckkammer und im Bereich der Handchirurgie blieben auch in den folgenden Jahrzehnten nicht nur in Fachkreisen populär.

Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung der Sauerbruchstraße wegen Sauerbruchs Vorsitz der Sektion Medizin des Reichsforschungsrates. In seiner Amtszeit genehmigte Sauerbruch verbrecherische Experimente an Insassen von Konzentrationslagern. Zudem war er an der Entlassung des jüdischen Personals der Chirurgischen Klinik der Charité beteiligt. Dadurch war Sauerbruch an der bewussten Schädigung, Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung einzelner Personen oder Personengruppen während des »Dritten Reiches« beteiligt. Ferdinand Sauerbruch unterstutzte darüber hinaus das NS-Regime durch öffentliche Reden immateriell und artikulierte dadurch öffentlich die nationalsozialistische Ideologie.

Literatur