Sprungmarken

Rathaus, altes

Artikel

Das alte Rathaus ist das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt. Nachdem die Vorgängerbauten durch verschiedene Stadtbrände in der Mitte und gegen Ende des 16. Jahrhunderts zerstört worden waren, richtete die Bürgerschaft 1593 eine Petition an den Landesherrn mit der Bitte, Bauland für ein neues Rathaus zur Verfügung zu stellen. 1608 schenkte Graf Ludwig II. zu Nassau-Weilburg-Saarbrücken den Wiesbadener Bürgern das Gelände des ehemaligen Hattsteiner Hofs.

1609 begannen die Bauarbeiten unter der Leitung des Werkmeisters Antonius Schöffer nach den Plänen des Architekten, Stadtbaumeisters und späteren Bürgermeisters Valerius Baussendorff. Auf einem massiven steinernen Sockelgeschoss aus Serezit-Gneis, der aus den Steinbrüchen bei Sonnenberg und Dotzheim stammt – mit Giebelwänden ebenfalls aus Stein – errichtete man in aufwändig gestaltetem Fachwerk die oberen Geschosse mit Renaissancegiebeln und vorspringenden Erkern.

Eine horizontale Reihe farbig gefasster geschnitzter Eichenholztafeln des Straßburger Meisters Hans-Jacob Schütterlin mit symbolischen Darstellungen schmückten die Gefache der Hauptfassade. Sie gelten als herausragende künstlerische Dekorationsarbeiten des profanen Fachwerkbaus des 17. Jahrhunderts. Es handelt sich um sieben allegorische Darstellungen. Sie stellen die drei christlichen Tugenden »Fides« (»Treue«), »Spes« (»Hoffnung«) und »Caritas« (»Nächstenliebe«) dar sowie die vier bürgerlichen Tugenden des Altertums »Justitia« (»Gerechtigkeit«), »Fortitudo« (»Tapferkeit«), »Temperantia« (»Mäßigkeit«) und »Prudentia« (»Klugheit«). Ferner zeigen die Holzreliefs zwei Wappentafeln mit den Wappen von Nassau- Idstein und dem alten Stadtwappen von Wiesbaden sowie zwei Textkartuschen, rechts und links des Haupteingangs, die den Dank an den Landesherren sowie die Verdienste von Rat und Bürgerschaft um den Rathausbau bekunden. Links oberhalb des Eingangs, hinter der vorgelagerten Freitreppe, wurden das Stadtwappen mit den drei Lilien, die Jahreszahl 1610 und eine Renaissance-Einfassung angebracht.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Holzwerk durch Wurmfraß so stark beschädigt, dass 1829 das gesamte Fachwerkobergeschoss abgetragen und der noch heute sichtbare Steinaufbau errichtet wurde, ohne den Charakter als ehemaliges Renaissance-Gebäude ganz aufzugeben. Die auf dem Fachwerk angebrachten Tafeln wurden in die Sammlung Nassauischer Altertümer übernommen und 1951, als das Gebäude durch den damaligen Eigentümer, die Wiesbadener Stadtwerke, saniert wurde, durch in Sandstein gehauene Darstellungen ersetzt. Den Auftrag hierzu erhielt der Wiesbadener Bildhauer Peter Dienstdorf.

1868 zog die städtische Verwaltung um. Im alten Rathaus blieben die Amtsverwaltung für Zivilstandsachen und die Eichstelle. Im Obergeschoss zog die örtliche Telegraphendirektion des Norddeutschen Bundes ein. Immer wieder diente das alte Rathaus seit der Fertigstellung des neuen Rathauses 1887 wechselnden Nutzungen. 1875 wurde es Sitz des ersten Wiesbadener Standesamtes. Als solches bietet das Gebäude auch heute noch den feierlichen Rahmen.

Literatur

Brusberg, Annette und Horst: Das Alte Rathaus zu Wiesbaden, Wiesbaden 1985.

»Der Stadt zur Ehre«. 400 Jahre Altes Rathaus Wiesbaden 1610–2010. Hrsg.: Czech, Hans-Jörg, Wiesbaden 2010 [S. 5, 14–26].

Roth, Friedrich W. E.: Geschichte und historische Topographie der Stadt Wiesbaden im Mittelalter und in der Neuzeit, Wiesbaden 1883.

Altes Rathaus vor dem Umbau, 1827 wiesbaden.de/ Stadtarchiv Wiesbaden, F000-5865, Urheber: unbekannt
2 / 2