Plessner, Helmuth
Plessner, Helmuth
Philosoph, Soziologe
geboren: 04.09.1892 in Wiesbaden
gestorben: 12.06.1985 in Göttingen
Artikel
Plessner, Sohn eines Arztes mit privatem Sanatorium, studierte in Freiburg, Göttingen, Heidelberg sowie Erlangen, wo er 1916 promovierte. Zunächst nur der Naturforschung zugewandt, veröffentlichte er im selben Jahr aber auch seine erste philosophisch orientierte Publikation: »Die wissenschaftliche Idee. Ein Entwurf über ihre Form«. Neben Hans Driesch zogen ihn besonders Wilhelm Windelband und Edmund Husserl in den Bann ihrer Philosophien, die Plessner insofern zu einem eigenen Ideenkosmos motivierten, als er human- und biowissenschaftliche, psychologische und soziologische Aspekte immer stringenter in sein Denken verwob.
Von 1920 an als Privatdozent und seit 1926 als außerordentlicher Professor in Köln lehrend, legte er profilierte Abhandlungen vor, die bloß auf minimale Resonanz stießen. Der Essay »Die Einheit der Sinne, Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes« (1923) kam der Art Diltheyscher Philosophie des Lebens nahe. Der ideologischen Sinnsuche der 1920er-Jahre begegnete Plessner, stets auf die Freiheit des Menschen in seinem Denken und Handeln pochend, mit der prognostizierenden Analyse »Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus« (1924).
Zu Plessners Hauptwerk wurden »Die Stufen des Organischen und der Mensch« (1928), eine phänomenologisch beeinflusste soziologische Anthropologie, die Fragenkomplexe künftiger soziologischer Theorien zumindest schon vorformulierte. Mit dieser Studie verbunden ist Plessners exponiertes »Markenzeichen«, der Begriff von der »exzentrischen Positionalität«: Im Gegensatz zum Tier muss der Mensch in seiner »Welt-Offenheit« ein reflexives Verhältnis zu sich herausbilden.
Plessner, aus jüdischem Vaterhaus stammend, wurde durch die nationalsozialistische Diktatur aus seiner Laufbahn gedrängt. Vergebens suchte er seine Arbeit in Istanbul fortzuführen. Dank des Anthropologen Frederik Buytendijk erhielt er eine Dozentur an der Universität Groningen. Infolge der deutschen Okkupation musste er sich verborgen halten. Da hatte er sein Werk »Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche« (1935) vom Exil aus bereits in die Welt gesandt. Diese ideologiehistorische Diagnose des deutschen Volkscharakters war leider erst wieder 1959 unter ihrem neuen, berühmt gewordenen Titel »Die verspätete Nation« greifbar. 1941 hatte Plessner noch eine grundlegende Darstellung über eine Komponente zur Wesensdeutung des Menschen »Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens« herausbringen können.
1951 berief man Plessner auf ein Ordinariat für Soziologie einschließlich Philosophie an die Universität Göttingen, deren Rektor er 1960/61 war. Akademische Würden folgten. Plessner wurde zu einem Weichensteller in der Hochschulforschung. In seinen kulturwissenschaftlichen Diskursen sollte der einzelgängerische Denker, dessen Autorität nur wenige erkannten, an seinen Vorstellungen des Exzentrischen festhalten, was sich etwa in seinem Traktat über »Die Musikalisierung der Sinne« eindrucksvoll manifestiert.
Literatur
Hildebrand, Alexander: Dem Auge die Freiheit wie dem Ohr. In: Wiesbadener Leben 12/1992 [S. 20 f.].
Schüßler, Kersten: Helmuth Plessner. Eine intellektuelle Biographie, Berlin, Wien 2000.