Lampert, Sylvester (Künstlername: Heujo Ne’ary)
Lampert, Sylvester (Künstlername: Heujo Ne'ary)
Musiker
geboren: 31.12.1921 in Höchst am Main
gestorben: 25.02.1999 in Wiesbaden
Artikel
Lampert wuchs in Wiesbaden auf, wohin seine Eltern als Schausteller und Betreiber eines Kinos gezogen waren. Nach dem Schulabschluss eine Lehre als Autoschlosser zu beginnen, war ihm als Sinto auf Grund der Diskriminierung durch die Nationalsozialisten verboten. 1938 fand er bei der Bäckerei Wilhelm Becker eine Stelle als Ausfahrer. Becker ermöglichte ihm, wenn auch nicht offiziell, eine Ausbildung zum Bäcker, für die er sogar eine Berufsschule besuchen konnte. In der Bäckerei arbeitete er bis zu seiner Verhaftung am 08.03.1943, dem Tag, an dem die Wiesbadener Sinti von den Nationalsozialisten in die Synagoge getrieben und am folgenden Tag nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
Lampert musste in einer Rüstungsfabrik in Auschwitz Zwangsarbeit leisten. Als die SS »kräftige Männer« für ein »Kommando« in Natzweiler-Struthof im Elsass suchte, meldete sich Lampert freiwillig in der Hoffnung auf höhere Lebensmittelrationen. Dass er zu medizinischen Menschenversuchen ausgewählt war, ahnte er nicht. SS-Ärzte wollten herausfinden, ob bzw. wie lange die Versuchsopfer mit oder ohne Gegenmittel eine Fleckfieberinfektion überstehen. Lampert zählte zu denjenigen, die vor dem Test ein Gegenmittel gespritzt bekamen, und überlebte. Im Frühjahr 1944 wurde er zur Zwangsarbeit in das Außenlager in Neckarelz, danach in das KZ Dachau bei München überstellt. Im Außenlager auf dem Flugplatz München-Riem mussten die Häftlinge noch in den letzten Kriegstagen die durch fortdauernde Luftangriffe beschädigten Rollfelder provisorisch ausbessern. Ende April wurden sie von der SS weiter in Richtung Bad Tölz getrieben. Am 27.04.1945 floh die SS, Lampert und die anderen Überlebenden des Todesmarsches erreichten am 01.05. amerikanische Truppen.
Im August 1945 kam Lampert, dessen engere Familie in der NS-Zeit nahezu ausgelöscht worden war, nach Wiesbaden zurück. Hier entschied er sich für ein Leben als Musiker. Unter seinem Künstlernamen »Heujo Ne’ary« trat er über 50 Jahre lang als Geiger auf; er wirkte auch in kleineren Filmrollen mit wie in »Der letzte Walzer« mit Curd Jürgens, in »Käpt’n Bay Bay« mit Hans Albers oder in »Der Tiger Akbar«, wo er als Geiger zu sehen war. Anlässlich seines 75. Geburtstages wurde er mit der Bürgermedaille in Bronze geehrt. Er war Vormund des Blues- und Jazzpianisten Peter Lancaster.
Literatur
Bembenek, Lothar/Ulrich, Axel: Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933–1945. Eine Dokumentation. Hrsg.: Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden – Stadtarchiv, Gießen 1990 [S. 321 ff.].
Engbring-Romang, Udo: »Hornhaut auf der Seele«. Wiesbaden – Auschwitz. Zur Verfolgung der Sinti in Wiesbaden. Hrsg.: Strauß, Adam, Darmstadt 1997 (Schriften des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen 2).
Wiesbadener Kurier, 31.12.1996 und 27.02.1999.