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Kolonialgeschichte

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Kolonialgeschichte ist für Wiesbaden bislang nicht ausführlich aufgearbeitet. Dabei sind das Zeitalter des Kolonialismus und seine Ideologien im Wiesbadener Stadtbild bis heute sichtbar. Im Rahmen der Biennale 2022 erstellten Stadtarchiv Wiesbaden und Evangelisches Dekanat Rundgänge zu Orten, Personen und Ereignissen, die zwischen 1850 und dem Zweiten Weltkrieg koloniale Bestrebungen prägten und heute noch im Stadtbild sichtbar sind. Die Orte, Personen oder Ereignisse dokumentieren, wie die Wiesbadener Stadtgesellschaft von Kolonialismus profitierte. Vorgestellt wurden auch Biografien von Zeitgenossen, die koloniale Bestrebungen offen kritisierten.

Eine Einrichtung, die im Rahmen der Rundgänge vorgestellt wird, ist die Zweignierderlassung des Deutschen Kolonialhauses Bruno Antelmann. 1898 eröffnete das Deutsche Kolonialhaus Bruno Antelmann mit Sitz in Berlin eine Zweigniederlassung in Wiesbaden, zunächst in der Großen Burgstraße 13. 1907 wurde das Geschäft in die Häfnergasse 11 verlegt (Inhaber: Fritz Naglo). Bruno Antelmann und seine Frau Marie hatten ein Pflegekind aus Togo, den später berühmten Quassi (Kwassi) Bruce. Auch in der Wiesbadener Zweigniederlassung arbeitete ein Kind aus Togo, der siebenjährige Folivi.

Im Wiesbadener Tagblatt vom 28. Januar 1900 wird über die Feierlichkeiten zu „Kaisers Geburtstag in den Volksschulen“ berichtet. In der Schule am Schulberg hat der dortige Lehrer von Folivi und bekannte Wiesbadener Heimatdichter Rudolf Dietz ein Gedicht verfasst, das Folivi „zur allgemeinen Erheiterung“, so heißt es im Artikel, vorträgt.

Das koloniale Erbe im Namen trugen die zahlreichen Kolonialwarenläden, die in Wiesbaden um 1900 ansässig waren. Eine Recherche im Wiesbadener Adressbuch ergab etwa 50 Geschäfte allein in der Innenstadt. Einer der Läden befand sich im Haus Kirchgasse 68 (vormals Kirchgasse 52). Heute erinnert die reiche Stuckdekoration der Fassade noch an eines dieser Geschäfte, das 1905 eröffnet wurde. In diesem Haus war etwa ab den 1890er-Jahren der Kaufmann J. C. Keiper mit einer gleichnamigen Firma ansässig. 1910 erfolgte eine Neunummerierung der Kirchgasse. Das Haus erhielt seine heutige Nummer.

Ab 1905 ist die Colonialwaren- und Delicatessen-Handlung J. C. Keiper vermerkt. Das Wiesbadener Adressbuch gibt Hinweise auf einen Besitzerwechsel in diesem Jahr. Kaufmann Klein war nun Besitzer des Hauses und Inhaber der Firma J.C. Keiper.

Im Kontext des Forschungsprojektes „Soziale Arbeit als Wissensarchiv?“ unter Leitung von Prof. Dr. Wiebke Dierkes wurde im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain 2024 eine Stadtkarte „Postkoloniales Wiesbaden“ erstellt. Entwickelt wurde der Stadtplan von den Studierenden Janna Trinemeier und Carina Sträßner (beide Bachelorstudiengang Soziale Arbeit) auf Grundlage der vom Evangelischen Dekanat und Stadtarchiv erarbeiteten Rundgängen.

Die Karten liegen unter anderem im Rathaus aus und sind kostenfrei.