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Gerhardt-Katsch-Straße (Bierstadt)

Artikel

Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 23. Februar 1967 wurde im Stadtteil Bierstadt eine Straße nach dem Arzt und Universitätsprofessor Gerhardt Katsch benannt. Gerhardt Katsch wurde am 14. Mai 1887 als Sohn des Bühnenautors und Kunstmalers Hermann Katsch und seiner Frau, der Dramaturgin Elisabeth Katsch, geborene Beutner, in Berlin geboren. Katsch besuchte von 1893 bis 1905 die Mittelschule und das Französische Gymnasium in Berlin. Anschließend studierte er Biologie, Physik und Philosophie in Paris.

Ab 1906 studierte Katsch in Marburg und Berlin Medizin und wurde 1912 in Berlin promoviert. Im gleichen Jahr wurde er Assistenzarzt im Städtischen Krankenhaus Hamburg-Altona und 1914 dort Oberarzt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges leistete Katsch von August 1914 bis Januar 1917 und von August bis November 1918 Militärdienst als Bataillonsarzt der Reserve. 1917 wurde Katsch auf Betreiben seines akademischen Lehrers Gustav von Bergmann vom Heer beurlaubt und habilitierte sich an der Universität Marburg.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges blieb Katsch als Oberarzt bei seinem Mentor von Bergmann in Marburg und wechselte 1920 mit ihm an das Universitätsklinikum Frankfurt am Main, wo er zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde. 1926 wurde Katsch zum Chefarzt der Medizinischen Klinik des Heilig-Geist-Hospitals in Frankfurt am Main und 1928 zum Direktor der Medizinischen Klinik in Greifswald sowie zum Professor für Innere Medizin der Universität Greifswald berufen.

Katschs Arbeits- und Forschungsschwerpunkt war Diabetes mellitus. Zur besseren Erforschung und Behandlung der Zuckerkrankheit erfolgte unter der Mitwirkung Katschs die Gründung der »Arndt-Stiftung Garz-Diabetikerheim« auf der Insel Rügen. 1937 verfasste der Mediziner mit den »Garzer Thesen« eine Behandlungsmethode für Diabetes und leitete einen Paradigmenwechsel bei der Charakterisierung der Krankheit ein. Katsch bewertete Diabetes als Erkrankung, die behandelbar sei.

Katsch setzte bei der Behandlung auf ein Vier-Säulen-System: Diat, Insulin, Arbeit und Gemeinschaftsleben. Dieses Konzept versuchte Katsch in seinem Rügener Diabetikerheim auch praktisch umzusetzen.

Nach der »Machterübernahme« der Nationalsozialisten 1933 diskutierte die medizinische Forschung, ob Diabetiker in das nationalsozialistische Erbgesundheitsprogramm aufgenommen und sterilisiert werden sollten. Im Rahmen dieser Debatte wiederholte Katsch seine »Garzer Thesen« und vertrat die Position, dass Diabetiker zwar krank seien, aber die Erkrankung behandelbar sei. Eine grundsätzliche Sterilisierung lehnte er ab, im Einzelfall schloss er sie jedoch nicht aus.

Verschiedene Reden und Vorträge zeigen, dass Katsch trotz seiner Vorbehalte gegen die generelle Sterilisierung von Diabetes-Kranken grundsätzlich innerhalb der Paradigmen der NS-Rassenhygiene und des Volksgesundheitskonzepts der Nationalsozialisten argumentierte. In der Diskussion um die Einbeziehung von Diabetikern in Zwangssterilisierungsprozesse setzte sich Katsch schließlich durch. Die Betroffenen fielen nicht generell unter das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14. Juli 1933.

Katsch wurde 1937 Parteianwärter der NSDAP und erhielt das Parteibuch im Jahr 1943. Katsch wurde zudem als Mitglied des »Stahlhelms – Bund der Frontsoldaten« 1933/34 in die SA überführt, in der er den Rang eines Oberscharführers hatte. Zudem nahm Katsch in der SA wohl auch die Funktion eines Sturmbannarztes wahr. Gerhardt Katsch war auch Förderndes Mitglied der SS und des Nationalsozialistischen Fliegerkorps. Die Fördernden Mitglieder der SS bildeten eine Unterorganisation der SS, der auch Nicht-NSDAP-Angehörige beitreten konnten und die der Spendensammlung für den Auf- und Ausbau der SS diente. Mit den in der Regel monatlich zu entrichtenden finanziellen Zuwendungen war kein Formaldienst in der SS verbunden. Zusätzlich sind Mitgliedschaften in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, im Reichsluftschutzbund und Reichskolonialbund dokumentiert.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit, wahrscheinlich 1946, ging Katsch in einer schriftlichen Begründung auf sein Verhältnis zur NSDAP und zum NS-Regime ein. In dieser Stellungnahme betonte er, dass es aufgrund seines Festhaltens an einem jüdischen Assistenten, dem Mediziner Alfred Lublin, zu Konflikten mit der Partei gekommen sei. Katsch berichtete außerdem von Denunziationsversuchen. Im Jahr 1935 wurde er aufgefordert, kurzfristig einen Abstammungsnachweis vorzulegen. Zudem ist eine Aufforderung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom Oktober 1938 überliefert, den Abstammungsnachweis seiner Ehefrau zur Vervollständigung der Personalakte nachzureichen. Katsch übermittelte den Ahnenpass seiner Ehefrau daraufhin. In der Parteikorrespondenz zu Katsch sind weiterhin Hinweise erhalten, dass dieser tatsachlich wegen seiner angeblich »nichtarischen« Abstammung Angriffen aus dem Kollegenkreis ausgesetzt war. Paul Rostock, der Beauftragte für medizinische Wissenschaft und Forschung des NS-Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, erkundigte sich 1944 bei mehreren Kollegen des Mediziners und dem NS-Dozentenbund der Uni Greifswald über den Internisten. Grund hierfür war die Absicht, Katsch mit einem Ordinariat an einer größeren Universität zu betrauen. Der Greifswalder NS-Dozentenführer Gunther Schultze bestätigte Ende Marz 1944 auf diese Anfrage, dass keinerlei Bedenken gegen Katsch bestünden.

Angriffe oder berufliche Nachteile konnten nicht belegt werden. Katsch kam dementsprechend 1944 auch für eine Professorenstelle an einer größeren Universität infrage. Es bleibt zugleich unklar, ob die universitätsinternen Angriffe gegen Katsch auch ein Grund für die Vielzahl seiner Beitritte zu NS-Organisationen waren.

Es bleibt zudem fraglich, ob Katschs angebliche Hilfestellung für seinen Assistenten Lublin tatsächlich ursächlich für Anfeindungen aus dem Kollegium der Universität Greifswald war. In zeitgenössischen Dokumenten finden sich jedenfalls keine Anzeichen für eine aktive Hilfestellung für Lublin.

Der beginnende Zweite Weltkrieg beeinflusste auch Katschs medizinische Tätigkeit. So schlug er 1940 seinem Dekan vor, den Unterricht fortan in ein großes Kriegs-Lazarett zu verlegen. Dem Vorschlag wurde nicht gefolgt.

Katsch selbst wurde Beratender Internist des Sanitätsdienstes im Wehrkreis II und für die Leitung der Greifswalder Reservelazarette zuständig. Als Militärarzt wurde Katsch im Laufe des Krieges mehrfach frontnah auf dem Balkan und in der Ukraine eingesetzt. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde Katsch im Juni 1941 die ärztliche Aufsicht und die Betreuung des Kriegsgefangenenlagers Stalag II C übertragen. Zudem arbeitete Katsch als Beratender Internist eng mit der Heeressanitätsinspektion, insbesondere mit dem Leitenden Beratenden Internisten bei der Heeressanitätsinspektion Kurt Gutzeit, zusammen. Im Zuge dieser Tätigkeit wirkte Katsch auch an militärischen Forschungsprojekten mit und nahm an Tagungen wie der im Marz 1943 von der Heeressanitätsinspektion durchgeführten »Arbeitstagung Ost« teil. Auf dieser Tagung stellten Karl Gebhardt und sein Mitarbeiter Fritz Fischer die Ergebnisse ihrer Experimente mit Sulfonamid an absichtlich verletzten Insassinnen des Konzentrationslagers Ravensbrück vor. Damit war Katsch spätestens ab diesem Zeitpunkt über verbrecherische Menschenexperimente im deutschen Konzentrationslagersystem informiert.

An der Greifswalder Medizinischen Klinik führte Katsch zusammen mit seinem Oberarzt Martin Gulzow ab November 1941 selbst sogenannte Auffütterungsversuche an sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem ihm zugeordneten Kriegsgefangenenlager durch. Die Versuche sollten der Untersuchung von Stoffwechselstörungen dienen, die infolge von Unterernährung auftraten.

Diese Experimente wurden an 16 Kriegsgefangenen durchgeführt. Drei Kriegsgefangene verstarben, bei dreizehn gelang eine Genesung. Mehrere dieser genesenen Kriegsgefangenen wurden nach ihrer Behandlung als Zwangsarbeitskräfte in der Greifswalder Klinik und in der Landwirtschaft eingesetzt. Bei diesen Versuchen ging es Gerhardt Katsch nicht alleine um die Rettung von Menschenleben, sondern um die Generierung ernährungsphysiologische Erkenntnisse. Sie waren von mittelbarem Interesse der Wehrmacht und der Militärmedizin und galten als kriegswirtschaftlich relevant.

Als bei Kriegsende die Rote Armee auf Greifswald vorruckte, gehörte Katsch einer siebenköpfigen deutschen Kapitulationsdelegation an, die in Anklam Verhandlungen über die kampflose Kapitulation der Stadt Greifswald führte. Katsch schilderte in einem selbst verfassten Bericht nach 1945 die Vorgänge. Welche Rolle er bei der Übergabe der Stadt genau spielte, ist unklar. Der Einsatz eines ranghohen Sanitätsoffiziers bei einer der in den letzten Tagen des »Dritten Reiches« zahlreichen dezentralen Kapitulationsverhandlungen von Wehrmachtsverbänden und -einheiten war jedenfalls keineswegs unüblich. Die zentralen Schilderungen der Nachkriegszeit, insbesondere auch die drastische Schilderung der vermeintlichen Gefahr für die eigene Person, stammen größtenteils von Katsch selbst. Fotos belegen seine Anwesenheit bei einer Besprechung mit der Roten Armee, welche Funktion Katsch bei diesen Verhandlungen genau übernahm, lässt sich allerdings nicht mehr rekonstruieren.

Gesichert ist, dass Katsch ein Engagement bei der Kapitulation Greifwalds immer wieder selbst ins Gespräch brachte und schließlich 1952 zum Ehrenbürger von Greifswald ernannt wurde. In der Deutschen Demokratischen Republik konnte Katsch seine Forschungen fortsetzen und wurde intensiv gefördert. Er verfasste zahlreiche Studien, betreute mehrere hundert Dissertationen und Habilitationen, erhielt zusätzliche Gehälter und Aufwandsentschädigungen und reiste zu Vorträgen und Kongressen ins Ausland. 1952 erhielt er den Nationalpreis der DDR, 1953 wurde Katsch ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, 1954 wurde er zum Rektor der Universität Greifswald ernannt. Das Amt hatte er bis 1957 inne. Im Jahr 1955 wurde er in die Leopoldina aufgenommen.

Katsch fungierte mehrfach als Vorsitzender des deutschen Internisten-Kongresses in Wiesbaden und wurde 1953 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, die bis 1959 als gesamtdeutscher Verband auftrat. Zudem erhielt Katsch zahlreiche Ehrungen. 1951 wurde ihm in der DDR der Ehrentitel »Verdienter Arzt des Volkes« verliehen. 1953 verlieh ihm die Universität Greifswald die Ehrensenatorwürde. 1956 wurde ihm der Titel »Hervorragender Wissenschaftler des Volkes« verliehen. Ein Jahr später verlieh ihm die Universität Greifswald die Ehrendoktorwurde und die Ehrenkette der Universität. Er starb am 7. Marz 1961 in Greifswald.

Über die Rolle Gerhardt Katschs während des »Dritten Reiches« wird seit Mitte der 1990er Jahre kontrovers diskutiert. Bereits 1994 kam es während des Diabetikertages in Berlin zu einer Demonstration gegen die weitere Verleihung der 1979 geschaffenen Gerhardt-Katsch-Medaille durch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft. Im Jahr 2001 lehnte der Diabetologe Michael Berger die Ehrung mit der Gerhardt-Katsch-Medaille ab. Berger kritisierte nicht nur Katschs Rolle im »Dritten Reich« sondern forderte auch eine realistischere Einschätzung von Katschs Beitrag zur deutschen Diabetesforschung. Bergers Kritik führte zur Einberufung einer Historischen Kommission durch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft.
Die Kommission, die ausschließlich mit Medizinern besetzt war, bewertete vornehmlich die medizinischen Leistungen Katschs. Bei der Frage nach seiner Beziehung zum Nationalsozialismus und dessen Gesundheitspolitik folgte das Gutachten hingegen den Einlassungen Katschs aus der Nachkriegszeit. Unmittelbare Folgen hatte das Gutachten zunächst nicht. Die Gerhard-Katsch-Medaille wurde mit der Verleihung 2023 in Ehrenmedaille der Deutschen Diabetes-Gesellschaft umbenannt, nachdem neuere medizinhistorische Studien nahelegten, dass nun nicht mehr auszuschließen sei, dass Katsch in der Zeit des Nationalsozialismus unethisch gehandelt habe, wie die Deutsche Diabetes-Gesellschaft für sich feststellte.

Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung der Gerhardt-Katsch-Straße wegen Katschs Mitgliedschaften in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen (NSDAP, SA, Forderndes Mitglied der SS, Förderndes Mitglied des NSFK, NSV, RKB, RLSB). Er war außerdem als Oberscharführer und Sturmbannarzt Funktionsträger der SA und trat damit aktiv für den nationalsozialistischen Staat ein. Vor 1933 hat er sich mit seiner Mitgliedschaft im »Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten« in einer völkisch-nationalistischen Gruppe betätigt. Katsch artikulierte in Schriften und Reden öffentlich die nationalsozialistische Ideologie, indem er die Gesundheitspolitik bzw. die Rassenhygiene des NS-Regimes befürwortete. Er legte damit ein öffentliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus ab.

Katsch wurde zudem im Juni 1941 die ärztliche Aufsicht und Betreuung des Kriegsgefangenenlagers Stalag II C übertragen. Im Zuge dieser Tätigkeit führte er ab November 1941 sogenannte Auffütterungsversuche an 16 sowjetischen Kriegsgefangenen durch. Katsch war aus diesen Gründen an der bewussten Schädigung von anderen Personen zwischen 1933 und 1945 beteiligt.

Literatur