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Galerie der Oberbürgermeister

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1991 erhielt der Künstler Klaus Böttger den Auftrag, Portraits der 14 Wiesbadener Oberbürgermeister anzufertigen (Beschluss des Magistrats vom 30. April 1991). Der Künstler führte die Portraits in einem kollageartigen Stil aus, bei dem das fotorealistische Portrait-Bildnis des Oberbürgermeisters mit ebenfalls fotorealistischen zeittypischen Bildelementen und 
-ausschnitten, etwa von Gebäuden, Ereignissen und Symbolen verknüpft wurde.

Böttger verstarb überraschend am 25. November 1992, sodass der Auftrag nicht beendet wurde. Noch nicht fertiggestellt waren die Portraits von Achim Exner, Helmut Müller, Hildebrandt Diehl, Hans-Joachim Jentsch, Hans Heinrich Redlhammer, Erich Mix und Fritz Travers.

Oberbürgermeister Hildebrand Diehl beauftragte 1999 den Künstler Bernd Schwering, die Galerie zu vervollständigen (Beschluss des Magistrats vom 6. Juli 1999). Seine Portraits entstanden allerdings in einem anderen Stil als die von Böttger. Sie waren farblich intensiv gestaltet und setzten auch den Kollagestil nicht fort.

Das von Schwering angefertigte Portrait Erich Mix’ wurde in den 2000er Jahren zweimal von Unbekannten beschmiert, sodass Oberbürgermeister Sven Gerich 2013 entschied, das Portrait abhängen zu lassen. Die von Schwering angefertigte Bilderserie sollte daraufhin in einer den Stil von Böttger aufgreifenden Bildsprache neu gefasst werden. Im Zuge der Renovierung des Erdgeschosses des Rathauses 2013 wurden die Bilder Schwerings abgehängt und der Artothek übergeben.

Den Auftrag für die zweite Vervollständigung der Galerie erhielt im Frühjahr 2015 der Wiesbadener Künstler Matthias Gessinger (1948-2021). Für die Erarbeitung der nun wieder Böttgers Stil aufgreifenden Bilder nutzte der Künstler historisches Bildmaterial, unter anderem aus dem Stadtarchiv Wiesbaden.

Immer wieder diskutiert wurden die Portraits der Oberbürgermeister zwischen 1933 und 1945. 2024 entschied der Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, die Portraits neu rahmen und durch einen erläuternden Text zu den Biografien von Alfred Schulte und Erich Mix ergänzen zu lassen. 

Die Oberbürgermeister zwischen 1933 und 1945

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten mit der sogenannten Gleichschaltung. Die am 28. Februar 1933 erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ setzte elementare Grundrechte außer Kraft und war Grundlage für den Umbau der öffentlichen Verwaltung.

Im März 1933 gewann die NSDAP in Wiesbaden die Kommunalwahl mit 48,5 Prozent der Stimmen, woraufhin der nationalliberale Oberbürgermeister Georg Krücke (1880-1961) noch am Wahltag unter Polizeiaufsicht gestellt wurde. Am 31. März 1933 wurde durch das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ die kommunale Selbstverwaltung aufgelöst. Die Nationalsozialisten entfernten andersdenkende Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst. Am 3. Juni 1933 trat Krücke von seinem Amt zurück, nachdem erheblicher Druck auf ihn ausgeübt worden war. Die Wiesbadener Nationalsozialisten unterstützten die Berufung des am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetretenen Ingenieurs und Verwaltungsbeamten Alfred Schulte (1872-1957) in das Amt des Oberbürgermeisters.

Alfred Schulte als NSDAP-Oberbürgermeister (1933-1937)

Schulte war seit 1903 in der Wiesbadener Stadtverwaltung tätig. Er verfügte über langjährige Erfahrung als besoldeter Stadtrat und parteiloser Bürgermeister. Schulte wurde am 6. Dezember 1933 zum ersten NSDAP-Oberbürgermeister ernannt. Er hatte als Oberbürgermeister Anteil an der Etablierung und Festigung des NS-Regimes und seiner Strukturen auf kommunaler Ebene. Schulte war nicht unmittelbar an der Entrechtung u.a. der jüdischen Bevölkerung beteiligt, trug die auf Ausgrenzung abzielende NS-Politik jedoch mit. Altersbedingt schied er am 31. März 1937 aus dem Amt aus.

Erich Mix als zweiter NSDAP-Oberbürgermeister (1937-1945)

Auf Schulte folgte als zweiter NSDAP-Oberbürgermeister Erich Mix (1898-1971). Der aus Westpreußen stammende Mix war promovierter Jurist und Verwaltungsfachmann. Im Ersten Weltkrieg hatte er u.a. als Pilot gedient. Von 1931 bis 1933 war er Bürgermeister im pommerschen Stolp. 1932 trat er der NSDAP und 1933 der SS bei. 1933 bekleidete er das Amt des Bürgermeisters in Stettin und 1934 wurde er zum Oberbürgermeister von Tilsit berufen. Der Wechsel nach Wiesbaden bedeutete für den Verwaltungsbeamten den nächsten Karriereschritt. Mix wurde am 1. April 1937 zum Wiesbadener Oberbürgermeister ernannt. Als Oberbürgermeister war Mix unter anderem für den Ankauf sogenannter Judenhäuser unter Wert für kommunale Zwecke, also deren „Arisierung“, verantwortlich. Als Vorgesetzter der städtischen Feuerwehr war er in die Zerstörung der Wiesbadener Synagogen während der Novemberpogrome 1938 involviert. Mix trug zur Verfolgung und Deportation der Wiesbadener Juden, Sinti und Roma ebenso wie zur Ausbeutung von Zwangsarbeitskräften in der Wiesbadener Stadtverwaltung bei. 1939 wurde Mix zum Kriegsdienst bei der Luftwaffe eingezogen. Sein Stellvertreter, NSDAP-Bürgermeister Felix Piékarski (1890-1965), führte während Mixʼ Abwesenheit die Amtsgeschäfte in der Stadtverwaltung. Mix diente zunächst als Oberstleutnant beim Jagdgeschwader 53 in Wiesbaden-Erbenheim und übernahm dann 1940 die Führung der III. Gruppe des Jagdgeschwaders 2 in Frankreich. 1942 diente er als Geschwaderkommodore in den besetzten Niederlanden und stieg zum Oberst der Reserve auf. Ab 1943 leitete er die Kommandobehörde des Jagdfliegerführers Bretagne. Kurz vor Kriegsende wurde er zum NS-Führungsoffizier aus-gebildet und zum SS-Standartenführer ernannt.

Mixʼ zweite Karriere in der Bundesrepublik (1954-1960)

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Erich Mix gefangen genommen und interniert. Ein Spruchkammerverfahren ab Februar 1947 endete nach einer Berufung mit der Einordnung in die Gruppe der „Minderbelasteten“, die nach einer Bewährung durch die Herabstufung in die Gruppe der „Mitläufer“ nochmals abgemildert wurde. Mix konnte daraufhin 1949 wieder in den städtischen Dienst eintreten und bearbeitete als Vorsitzender des städtischen Finanz- und Wirtschaftsausschusses Rückerstattungsansprüche Wiesbadener Juden, die er zwischen 1937 und 1939 hatte enteignen lassen. Von 1952 bis 1954 war er Stadtverordneter für die FDP. 1953/54 bekleidete er das Amt des Stadtverordnetenvorstehers. Am 25. Februar 1954 wurde Erich Mix zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden gewählt und trat das Amt damit zum zweiten Mal an. 1960 schied er nach der Kommunalwahl aus dem Amt aus und wechselte in die Landespolitik. 1958 bis 1966 war er Mitglied des Landtags, 1961 bis 1963 FDP-Fraktionsvorsitzender und 1962 bis 1966 Landtagsvizepräsident. Erich Mix starb am 9. April 1971.

Gesellschaftliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen der Ehrung für Erich Mix

Die Landeshauptstadt Wiesbaden stiftete Erich Mix nach seinem Tod ein Ehrengrab, das erst nach intensiver Diskussion und aufgrund der Dissertation von Philipp Kratz durch die Stadtverordnetenversammlung 2014 aberkannt wurde.

Kratz arbeitete in seiner Dissertation "Eine Stadt und die Schuld" die doppelte Karriere Erich Mix' in der Wiesbadener Stadtverwaltung heraus. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Täterschaft in der Stadtverwaltung hatte bisher kaum stattgefunden. Philipp Kratz gab mit einem von der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden und dem Stadtarchiv organisierten Vortrag 2019 den Anstoß, das Foto-Portrait von Mix in der Galerie der Stadtverordnetenvorsteherinnen und -vorsteher im Stadtverordnetensitzungssaal durch einen Lebenslauf auszutauschen, um auf Mix' Beteiligung an NS-Unrecht hinzuweisen.

Literatur

Kratz, Philipp (2019): Eine Stadt und die Schuld. Wiesbaden und die NS-Vergangenheit seit 1945, Göttingen