Wiesbadener Prinzenraub
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Als Wiesbadener Prinzenraub wird häufig die Entführung des serbischen Kronprinzen Alexander Obrenović (1876 -1903), 1889 - 1903 König von Serbien, am 13. Juli 1888 aus der Villa Clementine in Wiesbaden bezeichnet.
Nach dem Vertrag, den die nach persönlichen und politischen Konflikten getrennt lebenden Majestäten König Milan und Königin Natalie von Serbien am 6. April 1887 in Belgrad geschlossen hatten, sollte Kronprinz Alexander ab 1887/1888 in einer gemeinsam ausgewählten Stadt Deutschlands erzogen werden, die außer günstigen klimatischen Bedingungen auch eine serbisch- oder russisch-orthodoxe Kirche besitzen sollte. Dies traf auf Wiesbaden zu.
Der Vertrag enthielt weitgehende Zugeständnisse an Königin Natalie in Bezug auf die Erziehung des Kronprinzen: „Der Kronprinz wird sich während der Dauer seiner Erziehung unter der Obhut seiner hohen Mutter befinden, welche zu diesem Zweck mit ihm zusammen wohnen und ihn auch nach Serbien während der Ferien begleiten wird.“ Die Anwesenheit der Königin und des Kronprinzen in Belgrad hielt König Milan zu diesem Zeitpunkt wegen möglicher politischer Unruhen nicht für opportun.
Am 4. Juni 1888 teilte Königin Natalie König Milan mit, sie habe in Wiesbaden „eine sehr schöne Villa gemietet“ und werde sich hier niederlassen. Ihre Absicht, nach ihrem Einzug in die Villa Clementine im Sommer 1888 nach Belgrad zu reisen, wies König Milan entschieden zurück und teilte ihr mit, dass er die Ehescheidung bei der heiligen nationalen Kirche beantragt habe.
Als Königin Natalie dieses Ansinnen zurückwies, verlangte König Milan im Gegenzug in einer Depesche vom 14. Juni, Natalie solle ihn als „Gatten und Vater“ anerkennen und dies dadurch beweisen, dass sie den Kronprinzen ohne ihre Begleitung nach Belgrad abreisen lasse. „Die auswärtige Regierung ist bereit, den Prinzen hierher zu senden...“ Wenn Natalie nicht einwillige, dann werde er seinen Sohn mit Gewalt zurückführen und solle es ihr in den Sinn kommen, mit ihm nach Belgrad zu kommen, werde er ihn ihr mit Gewalt nehmen und die Ehescheidung erwirken. In einem neuen Vertragsentwurf sollte sich Königin Natalie verpflichten, „bis zur Großjährigkeit des Kronprinzen niemals ohne spezielle Einladung des Königs nach Serbien zu kommen.“ Sie sollte mit dem Kronprinzen bis zum 1. Januar 1893 in Wiesbaden ansässig bleiben und ihre Residenz nicht ohne schriftliche Zustimmung des Königs ändern. Diesen von Milan bereits unterzeichneten Vertrag, „zu Wiesbaden“ und „zu Belgrad“, wies Natalie jedoch zurück. Viel Bedenkzeit war ihr allerdings nicht geblieben, denn am 20. Juni sandte Milan schon die „definitive und unwiderrufliche Instruktion“ an den serbischen Kriegsminister, General Protić, einen Sonderzug für die Abreise des Kronprinzen zu bestellen. Protić sollte sich am nächsten Tag zum Regierungspräsidenten in Wiesbaden begeben, um ihn über die Abfahrt des Zuges zu informieren und ihn um Beistand zu bitten für den Fall, dass die Königin dem empfangenen Befehl Widerstand leiste. Milan gewährte ihr ein letztes Ultimatum, in den vorgelegten Vertrag bis sechs Uhr abends des nächsten Tages einzuwilligen, was Königin Natalie aber nach wie vor verweigerte.
Am Vorabend des 13. Juli 1888 – es war ein Freitag – begab sich Polizeipräsident Paul von Rheinbaben in die seit Tagen schwer bewachte Villa Clementine, um der Königin mitzuteilen, dass am nächsten Morgen um zehn Uhr der Kronprinz „wenn nötig mit Gewalt ...“ abgeholt werde. Sie selbst wurde ausgewiesen und hatte zehn Stunden nach der Abreise des Prinzen Deutschland zu verlassen. Dies hatte König Milan mit einer Intervention bei Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler von Bismarck erreicht, während die Hilferufe der Königin an die regierenden Herrscherhäuser ohne Echo blieben. Kaiser Wilhelm II. bat in einem persönlichen Telegramm, sie möge ihren Widerstand aufgeben und den Kronprinzen „... gutwillig dem Bevollmächtigten des königlichen Vaters übergeben.“
Seit dem frühen Morgen des 13. Juli war die Villa Clementine durch eine Abteilung Schutzleute und Geheimpolizisten abgeschirmt worden. Kurz vor zehn Uhr begaben sich Major Chiević und Oberstleutnant Bjalović, die von König Milan zu Adjutanten des Kronprinzen bestimmt waren, in die Villa, um sich bei der elf Jahre alten königlichen Hoheit zu melden. Kurz nach zehn Uhr fuhr der Polizeipräsident vor, gefolgt von einem Polizeiinspektor, zwei Kommissaren und zwölf Schutzleuten. Nach kurzer Verhandlung wurde der Prinz General Protić übergeben, dann im Wagen zum Taunusbahnhof und in einem dort bereitstehenden, an einen fahrplanmäßigen Zug angehängten Salonwagen mit seinen Adjutanten nach Belgrad gebracht.
Die politischen Hintergründe für die Entführung des Kronprinzen wurden erst später deutlich, als König Milan im Februar 1889 überraschend abdankte und seinen minderjährigen Sohn zum König Alexander I. von Serbien proklamieren ließ. Alexander wurden drei „Regenten“ zur Seite gestellt, die die Regierungsgeschäfte führten, während der junge König wie ein Gefangener im Konak, dem königlichen Palast in Belgrad, lebte.
Erst später bekannt gewordene geheime Abkommen mit den Regenten sicherten dem bis zu seinem Tode 1901 vorwiegend im österreichischen Pustertal lebenden Milan auch nach seiner Abdankung hinter dem Rücken der Öffentlichkeit und seiner politischen Gegner einen entscheidenden Einfluss auf die serbische Politik.
Literatur
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Königin Nathalie von Serbien
Memoiren, Berlin 1891.
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Königin Nathalie von Serbien
Aus dem Tagebuch der Königin Nathalie, Erlebnisse der serbischen Regentin nach authentischen Quellen, mitgeteilt von Heinrich Büttner, Berlin 1891.
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Forßbohm, Brigitte
Die Entführung des Kronprinzen Alexander. Ein Akt in der serbischen „Königstragödie“. In: Verbrechen und Schicksale. Ein Wiesbadener Pitaval. Fuchs, Hans-Jürgen (Hrsg.), Wiesbaden 2005. (S. 83 - 98)