Schmelzeisen, Otto
Schmelzeisen, Otto
Justizvollzugsbeamter, Sportlehrer
geboren: 10. April 1892 in Mainz
gestorben: 11. März 1983 in Wiesbaden
Artikel
Der Name Otto Schmelzeisen ist untrennbar mit der Wiesbadener, wenn nicht der deutschen Judo-Geschichte verbunden. Ihm zu Ehren wurde die Judo-Halle (Dojo) in der Sporthalle am Konrad-Adenauer-Ring 1997 in »Otto-Schmelzeisen-Halle« umbenannt.
Otto Schmelzeisen wurde als Sohn eines Kellners in Mainz geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in Mainz absolvierte er zwischen 1906 und 1909 eine Ausbildung zum Destillateur und besuchte die Fortbildungsschule in Mainz. Im Jahr 1913 leistete Schmelzeisen beim Großherzoglich Hessischen Feldartillerie-Regiment Nr. 25 Militärdienst und nahm mit diesem Regiment am Ersten Weltkrieg teil. 1920 schied Schmelzeisen aus der Armee aus. Während des Ersten Weltkrieges wurde er zweimal verwundet und verlor infolgedessen zwei Finger. Zusätzlich erkrankte er an Malaria. Aufgrund seiner Verwundungen konnte Schmelzeisen nicht mehr in seinen erlernten Beruf zurückkehren.
Nach Kriegsende war Schmelzeisen für einige Monate als Feldwebel bei der Demobilisierung der deutschen Truppen in einem Darmstädter Durchgangslager tätig. Im Jahr 1920 wurde Schmelzeisen als Hilfsaufseher im Landgerichtsgefängnis Mainz angestellt. Nach einer zweijährigen Probezeit wurde er zum Strafanstaltsoberwachtmeister ernannt. Hier arbeitete Schmelzeisen bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1957.
Während seiner Ausbildung für den Polizei- und Vollzugsdienst kam Schmelzeisen mit der Kampfsportart Jiu-Jitsu, der Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung, aus der der japanische Professor Kano später Judo entwickelte, in Berührung. In der Folge betrieb er Jiu-Jitsu und Judo als Leistungssportler und fungierte als Ausbilder in dieser Kampfsportart für alle Beamten in den Justizvollzugsanstalten auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Zudem bildete Schmelzeisen die Geldzustellerbeamten der Post in Mainz und Wiesbaden in der Kampfsportart aus.
Im Jahr 1922 gründete Schmelzeisen den Jiu-Jitsu-Klub Wiesbaden, der später in Judo Club Wiesbaden 1922 e.V. (JCW) umbenannt wurde - es war erst der zweite Judoverein überhaupt in Deutschland. Schmelzeisen gilt neben Alfred Rhode in Frankfurt am Main als Pionier des deutschen Judosports. Rhode hatte im Jahr 1932 die »1. Judo-Sommerschule« in Frankfurt am Main mit japanischen Lehrern durchgeführt. Bei dieser Veranstaltung wurde er von Schmelzeisen unterstützt.
Otto Schmelzeisen wurde am 8. November 1935 Mitglied der SA, zuvor war er Mitglied des »Stahlhelms – Bund der Frontsoldaten« gewesen und wurde von diesem Verband bei der Fusion mit der SA in die Parteiorganisation überführt. In der SA nahm Schmelzeisen den Rang eines Scharführers ein und war außerdem Sportreferent. Am 24. Januar 1939 trat er in die NSDAP ein, nachdem er seit 1. Mai 1937 Parteianwärter gewesen war. Zudem war Schmelzeisen Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, des NS-Lehrerbundes, des Reichskriegerbundes, des Reichsbundes Deutscher Beamter und des Reichsluftschutzbundes.
Außer in verschiedenen NS-Organisationen engagierte sich Schmelzeisen stark für den Judosport: Seit 1933 war er Gauobmann des NSRL für Judo im Gau XIII Südwest und seit 1935 Fachamtsleiter für Schwerathletik im Bezirk 2 Wiesbaden.
1938 wurde Schmelzeisen zudem zum Gebietsfachwart für Judo in der Hitlerjugend (HJ) ernannt. In dieser Position leitete er die Lehrgänge für Judo in der HJ. 1941 war Schmelzeisen Lehrer beim 2. Reichsjugendlehrgang der Reichsbesten für Judo in Leipzig. Außerdem war er Gauübungslehrwart, Reichsübungslehrwart und Reichskampfrichter. Im Jahr 1941 erhielt er den Reichsehrenbrief des NSRL. Außerdem war er stellvertretender Reichsjugendobmann des NSRL.
Otto Schmelzeisen sah seine wichtigste Aufgabe in der Etablierung der in Europa jungen Sportart Judo im nationalsozialistischen Deutschland. Sein Erfolg dabei gründete auch auf dem hohen Stellenwert, den die NS-Bewegung dem Sport und besonders dem Kampfsport zubilligte. Jiu-Jitsu bzw. Judo waren daher Sportarten, die stark in den Fokus des NS-Regimes rückten.
Bei der Schulung auf der Ordensburg Falkenburg am Krössinsee in Pommern (heute: Złocieniec in Polen) handelte es sich um einen Kurs für die zukünftigen Führungskader der NSDAP. Zur »Erziehung« dieser zukünftigen politischen Führungsschicht gehörte auch ein starker Fokus auf sportliche Betätigung.
In Tätigkeitsberichten ist auch Schmelzeisens enge Zusammenarbeit mit der HJ dokumentiert. So sind mehrere Judo-Lehrgange mit dem HJ-Bann 115 aus Darmstadt und dem HJ-Bann 80 aus Wiesbaden aus dem Jahr 1943 aufgeführt.
Das starke Engagement für den Judosport und die Hitlerjugend wurde auch von Schmelzeisens beruflichem Umfeld gewürdigt.
Im März 1945 war Schmelzeisens Dienststelle in Mainz aufgrund der amerikanischen Besatzung des linken Rheinufers nicht mehr erreichbar. Schmelzeisen meldete sich daraufhin freiwillig zur Wehrmacht und nahm in den letzten Kriegswochen noch aktiv an den Kampfhandlungen teil. Er wurde als Wachtmeister einer Artillerieeinheit bei Würzburg an die Front geschickt und noch zum Feldwebel befördert, bevor er am 6. Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er nach 52 Tagen entlassen wurde.
Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft kehrte Schmelzeisen nach Wiesbaden zurück und wurde im Januar 1946 erneut in den Justizdienst übernommen. Wenige Monate später, im Juni 1946, wurde er durch die Zentrale Säuberungskommission der Militärregierung jedoch entlassen. Grund dafür war seine SA-Mitgliedschaft.
Schmelzeisen und seine Vorgesetzten im Mainzer Gefängnis bemühten sich in den folgenden Monaten um eine Wiedereinstellung des Wachtmeisters.
In der Spruchkammerakte legte Schmelzeisen eine ganze Reihe von eidesstattlichen Erklärungen vor, die besagten, dass er sich insbesondere gegenüber politischen Gefangenen korrekt verhalten habe. Es wird ebenfalls immer wieder betont, dass er besonderen Einsatz bei Luftangriffen gezeigt und die Gefangenen in den Sicherheitsraum gebracht habe, was allerdings auch seinen dienstlichen Aufgaben entsprach.
Schmelzeisen war nach seiner Entlassung in einer finanziell schwierigen Lage und versuchte, sich in mehreren Schreiben an die Spruchkammer Wiesbaden als unpolitischen Sportler darzustellen.
Die Spruchkammer folgte Schmelzeisens Angaben schließlich und ordnete sein sportliches Engagement als unpolitisch ein. Die Kammer stufte ihn in Gruppe 4 (»Mitläufer«) ein. Das Verfahren wurde jedoch aufgrund der einsetzenden Amnestie am 25. Februar 1947 eingestellt.
Nach Einstellung des Spruchkammerverfahrens kehrte Schmelzeisen in den Justizvollzugsdienst zurück und war weiterhin im Judosport engagiert. Für dieses Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. die Ehrenteller und die Ehrenplaketten der Städte Mainz und Wiesbaden und 1973 das Bundesverdienstkreuz
1. Klasse.
Nach dem Zweiten Weltkrieg baute er den JCW ein zweites Mal auf. Die Alliierten hatten den Kampfsport zunächst verboten, 1948 war die Ausübung wieder möglich. Schmelzeisen führte den Judo-Club bis 1954 und wirkte auch danach noch als Übungsleiter. Im gleichen Jahr wurde er zum Ehrensportleiter beim JCW ernannt.
Er erhielt weitere Auszeichnungen auf sportlichem Gebiet: 1977 wurde ihm aus Anlass seines 85. Geburtstages der „8. Dan“ verliehen. Diesen Meistergrad im Judo-Sport hatten zuvor fast nur japanische Meister erhalten, die sich um die Weiterentwicklung der Budosportarten verdient gemacht haben. Die Dan-Grade werden in der Regel durch Prüfungen erworben, in besonderen Fällen aber auch verliehen. Europäer erreichen nur selten eine höhere Auszeichnung als den siebten Dan.
1997 anlässlich des 75. Vereinsjubiläums führte der JCW ein „Otto-Schmelzeisen-Gedenkturnier“ in Wiesbaden durch.
Die auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2020 berufene Historische Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden empfahl die Umbenennung des »Otto-Schmelzeisen-Dojos« wegen Schmelzeisens Mitgliedschaften in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen (NSDAP, SA, RDB, NSV, NSRL, NS-Kriegerbund, NSLB). Auch vor 1933 hat er sich mit seiner Mitgliedschaft im »Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten« in einer völkisch-nationalistischen Gruppe betätigt. Schmelzeisen war als SA-Scharführer und als Gauobmann für Judo im Gau XIII Südwest, Fachamtsleiter für Schwerathletik im Bezirk 2 Wiesbaden, Gauübungslehrwart, Reichsübungslehrwart, Reichskampfrichter und stellvertretender Jugendobmann im NSRL Funktionsträger. Hierdurch trat er aktiv für den nationalsozialistischen Staat ein. Durch sein Engagement in der Hitlerjugend und die Schulung der politischen Elite des NS-Regimes unterstutzte Schmelzeisen zudem den NS-Staat immateriell und gab ein wahrnehmbares Bekenntnis zum Nationalsozialismus ab.
[Der vorliegende Text wurde von Achim Dreis für die 2017 gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2024 von Dr. Katherine Lukat überarbeitet und ergänzt.]
Literatur
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Stolper, Dirk
Namen im öffentlichen Raum. Abschlussbericht der Historischen Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden, in: Schriftenreihe des Stadtarchivs Wiesbaden, Band 17. Wiesbaden 2023.