Mauritiuskirche
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Die historische Mauritiuskirche war bis zu ihrer Zerstörung durch den Brand am 27. Juli 1850 der kirchliche Mittelpunkt Wiesbadens. Grabungen der Jahre 1850 bis 1853 ergaben, dass sie drei Vorgängerbauten hatte. Wohl um 780/90 entstand auf dem heutigen Mauritiusplatz eine erste steinerne Kirche über lang gestrecktem, rechteckigem Grundriss, ein karolingischer Saalbau. Dieser wurde noch vor der Jahrtausendwende durch eine frühromanische, vermutlich dreischiffige Basilika mit Chorapsis ersetzt, die möglicherweise im April des Jahres 965 im Beisein Kaiser Ottos I. (912 – 973) geweiht wurde. Otto I. hatte den heiligen Mauritius, der der Legende nach der Anführer der Thebaischen Legion war und den Märtyrertod starb, zum Schutzpatron seiner Unternehmungen gewählt. Denkbar ist, dass der neuen Kirche anlässlich des Kaiserbesuchs das Mauritiuspatrozinium verliehen wurde.
Nach wiederholten Zerstörungen 1242 und 1318 wurde ein Neubau beschlossen. Erbauer der dritten Mauritiuskirche war wahrscheinlich Graf Gerlach (ca. 1283 – 1361), Sohn des deutschen Königs Adolf Graf von Nassau. Dieser Bau entstand nach 1320 einschiffig und in gotischen Formen, mit polygonalem Chorabschluss und einem Turm im Westen, zur Kirchgasse hin. Im 15. Jahrhundert machten sich immer stärker Bauschäden bemerkbar. Auch war die Kirche mittlerweile zu klein für die Gemeinde und so wurde seit 1465 wiederum über einen Neubau diskutiert.
Am 14. Februar 1488 erfolgte schließlich die Grundsteinlegung der vierten Mauritiuskirche unter Graf Adolf III. von Nassau (1443 – 1511). Geplant war im Vergleich zum Vorgängerbau eine wesentlich größere dreischiffige spätgotische Hallenkirche. Errichtet wurden aber nur ein neuer Chor mit polygonalem Abschluss und zwei Räume, die nördlich und südlich an das westliche Joch des Chores angrenzten. Auch der Turm wurde umgebaut. Dann kam der Bau aufgrund fehlender Mittel zum Erliegen und man verband kurzerhand die neu errichtete Ostpartie mit dem erhalten gebliebenen Langhaus des Vorgängerbaus. Dessen Mittelachse stimmte aber nun nicht mehr mit der des neuen Chores überein, da man Letzteren weiter nach Süden versetzt hatte. 1521 wurde diese Kirche geweiht.
Nachdem Graf Philipp II. d. Ä. (1492 – 1558) 1540 das lutherische Bekenntnis eingeführt hatte, wurde die Mauritiuskirche lutherisch und am 1. Januar 1543 der erste evangelische Pfarrer eingesetzt. Während des großen Stadtbrandes 1547 wurde auch die Kirche schwer beschädigt. Dachstuhl und Turm brannten aus, doch wurden beide zügig wieder hergestellt. 1592, die katholische Ausstattung der Kirche war bereits weitgehend verschwunden, erhielt sie eine prächtige, steinerne Kanzel.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg und nach dem Regierungsantritt von Georg August Samuel Fürst von Nassau-Idstein, im Jahr 1688, kamen auch wieder Bestrebungen für eine neue Kirche auf, die der wachsenden Stadtbevölkerung ausreichend Platz bei Gottesdiensten bieten sollte. 1717 begannen Umbau und Erweiterung der bestehenden Mauritiuskirche nach Plänen des Hofbau- und Werkmeisters Johann Jakob Bager d. Ä. (~1670 – 1739). Problematisch war die städtebauliche Situation, die eine Verlängerung des Kirchenschiffes nicht möglich machte. Während die Chorpartie abzüglich ihres westlichen Joches und der Turm erhalten blieben, wurde das ältere Langhaus abgebrochen und das neue Kirchenschiff in der Breite der Ostpartie von 1488 erweitert und bis zur Kirchgasse hin ausgeführt, so dass es den Turm von drei Seiten umgab. In der Südostecke, zwischen Chor und neuem Langhaus, entstand die Sakristei.
Der Wiesbadener Maler Philipp Daniel Bager (um 1700 – nach 1755), Sohn Johann Jakob Bagers d. Ä., malte um 1750 Wände, Emporen und Teile der Decke im Innern der Kirche aus. 1768 wurde endlich auch der Turm saniert und aufgestockt und mit einer barocken Zwiebelhaube mit Laterne, einem Wetterhahn und neuen Glocken versehen. 1804 wurde die Orgel aus Kloster Eberbach im Rheingau in die Mauritiuskirche verbracht und nach aufwändigen Umbauarbeiten im Chor aufgestellt. 1818 erhielt die Kirche schließlich noch einen neuen Altar aus schwarzem, nassauischem Marmor.
Im Juli 1850 brannte die Kirche bis auf die Grundmauern ab. Bei Spenglerarbeiten an der Turmlaterne hatte das Gebälk Feuer gefangen. Beherzte Bürger retteten den Sarg der ersten Gemahlin Herzog Adolfs von Nassau, der Herzogin Elisabeth Michailowna Romanowa und den ihres Kindes aus der brennenden Kirche. Dagegen fielen die in der Kirche befindlichen Grabdenkmäler der nassauischen Grafenfamilie den Flammen zum Opfer. Die Mauritiuskirche wurde nicht wieder aufgebaut, da die stehen gebliebenen Außenmauern nach einem Gutachten von Baurat Richard Goerz für einen Innenausbau nicht mehr tragfähig waren.
Ein Sühnekreuz und der Grundstein aus dem Jahre 1488 überstanden den Brand und befinden sich heute in der Kirche St. Mauritius in der Abeggstraße. Die Namen der Kirchgasse, der Kleinen Kirchgasse, der Mauritiusstraße und des Mauritiusplatzes erinnern bis in die Gegenwart an die Kirche.
Literatur
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Wolf, Stefan G.
Kirchen in Wiesbaden. Gotteshäuser und religiöses Leben in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden 1997. (S. 28 f.)
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Czysz, Walter
Zehnteilige Artikelserie zur Mauritiuskirche. In: Wiesbadener Tagblatt. (4.6.-8.6. und 11.6.-15.6.2002)
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Gerber, Manfred; Sawert, Axel (Fotos)
Himmlische Türme. Die Marktkirche in Wiesbaden, Bonn 2012. (S. 46-53)