Kalle, Wilhelm
Paul Wilhelm Kalle
geboren: 26. April 1838 in Paris
gestorben: 24. Februar 1919 in Biebrich am Rhein
Details
Die Familie Kalle stammte aus dem Gebiet zwischen Meschede und Iserlohn in Westfalen. Ein Zweig der Familie zog nach Wesel am Rhein. Diesem Zweig entstammte Jakob Alexander Kalle (1796 - 1865), der Vater von Wilhelm Kalle. Jakob Alexander Kalle war als Kaufmann in der Krefelder Seidenindustrie tätig. Es zog ihn nach Paris, wo er ein Import- und Exportgeschäft mit Seiden- und Wollwaren betrieb. In Paris wurde auch Wilhelm Kalle geboren. Aus der Familie gingen insgesamt neun Kinder hervor, darunter auch der Unternehmer und Sozialpolitiker Jakob Friedrich (Fritz) Kalle.
1848 gab der Vater sein Geschäft auf, zog nach Deutschland und ließ sich mit der Familie in Wiesbaden nieder, weil die Familie seiner Frau, sie war eine geborene Thurneyssen, aus Frankfurt am Main stammte und in Walluf ein Gut besaß.
Nach dem Umzug der Familie kamen Wilhelm Kalle und sein älterer Bruder Fritz, die bislang in Keilhau in Thüringen, einer Fröbelschen Gründung, erzogen worden waren, nach Wiesbaden. Hier besuchten sie das Regalgymnasium. Die Reifeprüfung legte Wilhelm Kalle 1857 auf dem Gymnasium in Siegen ab. Er war bereits während seiner Schulzeit von den naturwissenschaftlichen Fächern angezogen, so dass er nach dem Abitur mit dem Studium der Chemie begann. Zur Vorbereitung besuchte er das Chemische Laboratorium Fresenius in Wiesbaden. Ab dem Wintersemester 1857 studierte er an den Universitäten Berlin, ab 1858 Marburg. 1861 schloss er das Studium mit der Promotion ab. Seine erste Anstellung als Chemiker erhielt er in der Nähe von Paris.
Anfang 1863 kehrte er nach Wiesbaden zurück. Sein Vater schlug ihm vor, sich selbstständig zu machen und eine Fabrik für Anilinfarben zu gründen. Er stellte ihm dazu 100.000 Gulden zur Verfügung. So konnte am 8. August 1863 die Eintragung der Kommanditgesellschaft „Kalle und Compagnie“ (Chemische Fabrik Kalle & Co.) im Handelsregister erfolgen. Die Fabrikanlage am Rheinufer in Biebrich, in der er mit der Fabrikation begann, war zunächst nur gepachtet. Schon am 13. August konnte er die ersten, im eigenen Unternehmen hergestellten Farbstoffe zum Kauf anbieten. Insbesondere „Anilinblau-Kalle" erwies sich als Erfolg. Die Qualität der von Kalle hergestellten Produkte lag weit über den französischen und englischen Erzeugnissen, die bisher das Angebot bestimmt hatten. Bereits im zweiten Jahr des Bestehens konnte Wilhelm Kalle das zunächst gepachtete Gelände der Kurfürstenmühle erwerben. Seit diesem Zeitpunkt wuchs der Grundbesitz von Jahr zu Jahr.
Nach dem Tod seines Vaters 1865 konnte er seinen Bruder Fritz dazu bewegen, in die Firma einzutreten und die kaufmännische Leitung zu übernehmen. Nachdem dieser 1881 das Unternehmen jedoch wieder verlassen hatte, führte Wilhelm Kalle die Firma allein weiter. 1884 erweiterte er die Produktskala um die Herstellung von Arzneimitteln, z.B. Jodol und Antifebrin. Dazu kamen Mittel gegen Lepra und Tuberkulose. Seit 1882 wurden Niederlassungen im Ausland begründet.
1897 machte er seinen Sohn Wilhelm Jakob Ferdinand Kalle zu seinem Teilhaber. Im Jahr 1904 legte Wilhelm Kalle die Leitung der Firma nieder und ließ sich zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der „Kalle und Co Aktiengesellschaft“ wählen. Unter seiner mehr als 50jährigen Führung hat die Fa. Kalle & Co Weltruf erlangt.
Kalle betätigte sich nicht nur im unternehmerischen Bereich, sondern auch auf politischem Gebiet. So gehörte er von 1877 bis 1912 der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Biebrich am Rhein an. Darüber hinaus ließ er sich in den Kreistag des Landkreises Wiesbaden wählen. Außerdem war er 1909 Mitglied des Preußischen Landtags. Auch im berufsspezifischen Bereich engagierte er sich als Mitglied der Industrie- und Handelskammer in Wiesbaden, deren Präsidium er viele Jahre angehörte.
Zum politischen kam das soziale Engagement. Zusammen mit seinem Bruder Fritz sorgte er sich sowohl um die Absicherung seiner Arbeiter als auch um deren Weiterbildung. So kam es unter anderem zur Gründung des Biebricher Volksbildungsvereins, der eine Bücherei einrichtete und eine öffentliche Lesehalle betrieb. Außerdem veranstaltete der Verein öffentliche Vorträge zu allgemeinbildenden Themen. Ferner ließ Kalle eine Knabenfortbildungsschule einrichten.
Neben zahlreichen Orden wurde er von Kaiser Wilhelm II. 1888 mit dem Titel „Geheimer Kommerzienrat" geehrt. Die Technische Hochschule Dresden zeichnete ihn 1913 mit der Verleihung des Doktor Ing. E.h. aus und die Stadt Biebrich verlieh ihm 1913 die Ehrenbürgerwürde. Wilhelm Kalle starb im Alter von 81 Jahren infolge einer Lungenentzündung. Nach dem Unternehmer wurde im Zentrum Biebrichs die „Wilhelm-Kalle-Straße“ benannt.
Literatur
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Horn, Hans-Rudolf
Die Kalle - Dynastie. Pioniergeist und soziales Engagement. In: Schmidt-von Rhein, Georg (Hrsg.): 175 Casino-Gesellschaft 1816-1991, Taunusstein 1991. (S. 160-166)