Institut für künstliche Augen F. Ad. Müller Söhne
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Die Herstellung künstlicher Augen für den Menschen lässt sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Der französische Chirurg Ambroise Paré (1510–1590) beschrieb bereits 1560 zwei Arten: das „Vorlegeauge“ (Ecblepharon), eine die Augenhöhle überdeckende Platte mit aufgemaltem Auge, und das „Einlegeauge“ (Hipoblepharon), das in die leere Augenhöhle hinter das Lid geschoben wurde. Für das letztere verwendete man zunächst emaillierte oder mit Schmelzfarben überzogene Silber- oder Kupferschalen, die jedoch sehr schwer waren und durch ihre scharfen Ränder das Augenhöhlengewebe reizten. Ihre Verwendungsdauer war zudem nur kurz, weil die Tränenflüssigkeit die Emaillebeschichtung zersetzte. Daher wurden in Venedig und Frankreich Schalen aus Glas entwickelt, das formbarer und leichter war und womit man das menschliche Auge „schön und täuschend echt“ nachbilden konnte.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts übernahmen die Glasaugenkünstler in Paris auf diesem Gebiet die führende Rolle. Sie verwendeten zur Herstellung der Schalen Bleiglas.
Friedrich Adolph Müller (1838–1879), Sohn des Metzgermeisters und Lauschaer Schultheißen Friedrich Müller (1809–1879) und der Johanna Elisabeth Friedrike Müller, geb. Schönheit (1798–1862), hatte bei seinem Onkel Ludwig Müller-Uri die Herstellung von Tier-, Puppen- und Menschenaugen erlernt, 1860 eine eigene Werkstätte für Glasaugen in Lauscha gegründet und seither versucht zusammen mit den Glasmeistern Christian Müller-Pathle, Septimius Greiner-Kleiner und August Greiner-Wirth ein tränenresistentes Material zu entwickeln.
Der Durchbruch gelang ihnen mit der Zusetzung des aus Grönland stammenden natürlichen Rohstoffs Eisstein bzw. Kryolith im Jahr 1868, was die Tragbarkeit der künstlichen Augen auf über zwölf Monate erhöhte. Das so genannte Kryolithglas setzte sich darauf aufgrund seiner harten, glatten und tränenresistenten Oberfläche zur Herstellung von Augenprothesen in Europa und schließlich rund um die Welt durch und wird bis heute dafür verwendet.
1875 verlegte Friedrich Adolph Müller zusammen mit seiner Ehefrau Amanda Müller geb. Greiner (1839–1906) und seinen sieben Kindern auf Veranlassung des Augenarztes Hofrat Dr. Alexander Pagenstecher (1856–1879), Leiter der Augenheilanstalt in Wiesbaden, seinen Wohnsitz und die Werkstätte nach Wiesbaden in die Bleichstraße 9.
Kurze Zeit später erwarb der „Fabrikant künstlicher Augen“ ein Gebäude in der Rheinstraße, in dem nach seinem Tod 1879 dessen Ehefrau Amanda die Firma weiterführte. Seine Söhne Friedrich Müller (1862–1939) und Albert Karl Müller (1864–1923) gründeten zum 1.1.1887 die Gesellschaft „F. Ad. Müller Söhne, F. u. A. Müller, Wiesbaden“, die 1891 das Gebäude in der heutigen Taunusstraße 42 und 1893 das Gebäude in der heutigen Taunusstraße 44 erwarb; letzteres dient bis heute als Firmensitz.
Ab 1904 firmierte das Unternehmen unter dem reduzierten Namen „F. Ad. Müller Söhne“ jedoch mit den Zusätzen „Atelier“ bzw. „Institut für künstliche Augen“. Die Nähe zur Augenheilanstalt Wiesbaden und der Bedarf an Augenprothesen im In- und Ausland füllten schnell die Auftragsbücher und ließen die Firma weltbekannt werden. Bereits 1907 behandelte das Atelier für künstliche Augen pro Jahr rund 6000 Patienten, heute sind es jährlich ca. 10000 Patienten, davon die Hälfte aus Deutschland und die andere Hälfte aus dem nahen Ausland wie Skandinavien, den Niederlanden, der Schweiz und aus Österreich.
Die Familie, die ab 1937 mit Zustimmung des Amtsgerichts Wiesbaden in Anlehnung an den Familienzweig aus Lauscha offiziell den Nachnamen „Müller-Uri“ trägt, führt das Unternehmen mittlerweile in der fünften Generation in Wiesbaden.
Literatur
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Hofmann, Friedrich
Ein Spaziergang durch das Thüringer Spielwarenland, In: Die Gartenlaube, 1883, Heft 17. (S. 279-282)
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Historisch-biographische Blätter
Industrie, Handel und Gewerbe. Der Regierungsbezirk Wiesbaden, Berlin 1913. (2. Lieferung)