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Henius, Carla

Sängerin

geboren: 4. Mai 1919 in Mannheim
gestorben: 27. Dezember 2002 Murnau


Details

Nach dem Schulbesuch leistete Henius von April bis Oktober 1937 ihre Reichsarbeitspflicht ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium in Gesang, Klavier und Musikwissenschaft in Berlin. Aufgrund der engen Beziehung ihrer Mutter, der Opernsängerin Irene Eden, zu Heinz Tietjen, einer zentralen Persönlichkeit der NS-Kulturpolitik und Vertrauter Hermann Görings, bekam die Mezzosopranistin 1943 ein erstes Engagement in Kassel und wurde in die Reichstheaterkammer aufgenommen.

Nach dem zweiten Weltkrieg stand Henius in Kaiserslautern, Mannheim und Darmstadt unter Vertrag. Von dort aus besuchte sie seit 1952 die 1946 gegründeten Internationalen Ferienkurse für Neue Musik auf Schloss Kranichstein bei Darmstadt und lernte dort zahlreiche Künstler kennen: die Komponisten Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, Luciano Berio, Bruno Maderna, Bernd Alois Zimmermann und Hans Zender, den Philosophen und Musikschriftsteller Theodor W. Adorno, die Pianisten Aloys und Bernhard Kontarsky, den Cellisten Siegfried Palm. Dadurch wurde sie zur viel gefragten Interpretin der Werke von Arnold Schönberg und Alban Berg, die in Deutschland noch unbekannt waren, und vor allem für die neuen Stücke der zeitgenössischen Komponisten.

Neugierde und persönliches Vertrauen in die Komponisten bewirkten, dass sie sich auf das Neue einließ, beabsichtigt war diese Spezialisierung nicht. Später nahm sie auch Robert Schumann und Max Reger in ihre Programme auf und vermittelte so musikhistorische Zusammenhänge. Manche Kompositionen wurden für sie geschrieben, so 1964 „La Fabbrica illuminata“ von Luigi Nono und 1977 „Hölderlin-Fragmente“ von Wolfgang Rihm. Ihr Ehemann Joachim Klaiber (1908-2003) wurde Intendant in Kiel und gründete dort 1969 das Opernstudio als Forum für Experimente mit zeitgenössischer Musik, an dem Carla Henius beteiligt war. 1977 berief sie der Intendant Claus Leininger an das Musiktheater Gelsenkirchen, um dort eine „musik-theater-werkstatt“ einzurichten: Uraufführungen von Musiktheaterstücken auf der kleinen Bühne wurden begleitet von Konzerten, Vorträgen, Workshops und Ausstellungen, die ein Publikum für die Neue Musik gewinnen sollten. Dies gelang und Henius baute von 1980 bis 1982 parallel eine ähnliche Einrichtung am Theater Freiburg im Breisgau auf.

Als Leininger 1986 Intendant am Hessischen Staatstheater Wiesbaden wurde, engagierte er wiederum Henius als Leiterin für die hier zu gründende „musik-theater-werkstatt“. Diese startete am 11. Januar 1987 mit drei für Carla Henius komponierten Werken in einem Gesprächskonzert, die erste Opernaufführung war am 21. Februar 1987 im Großen Haus „Ein Traumspiel“ von 1964 auf ein Libretto nach Strindberg von Henius mit der Musik von Aribert Reimann. Im Studio folgte im August 1987 die Kammeroper „Satyricon“ von Bruno Maderna. 1988 hatte die „musik-theater-werkstatt“ im Foyer einen großen Erfolg mit dem Stück „Staatstheater“ von Maurizio Kagel, das drei Jahre lang im Spielplan blieb. Es gab mehrere Uraufführungen von Auftragswerken, so 1992 im Kleinen Haus die Oper „Bericht vom Tod des Musikers Jack Tiergarten“ von Johannes Kalitzke. Für die Vorträge und Konzerte nutzte Henius ihre langjährigen Erfahrungen und Kontakte, auch auf ihre Publikationen z.B. über Schönberg und Thomas Manns Musikerroman „Doktor Faustus“ griff sie zurück. Die inzwischen entstandenen Spezialensembles für Neue Musik wurden zu Gastspielen eingeladen, die Programmhefte enthielten reichhaltige Informationen, die Vorträge wurden auch in Broschüren zugänglich gemacht. Veranstaltungen der „musik-theater-werkstatt“ wurden fester Bestandteil der Internationalen Maifestspiele. Carla Henius konnte ihre Arbeit auch unter Leiningers Nachfolgern fortsetzen. 1998 übergab sie die Leitung der „musik-theater-werkstatt“ an Ernst-August Klötzke. Ihr Privatarchiv stellte sie ein Jahr vor ihrem Tod der Berliner Akademie der Künste zur Verfügung.

Für ihre Arbeit erhielt sie u.a. 1991 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und im Jahr 1996 den Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden. Im neu geschaffenen Wiesbadener Künstlerviertel wurde eine Straße nach der Sängerin benannt.

[Der vorliegende Text wurde 2012 von Wolfgang Jung für die gedruckte Version des Stadtlexikons Wiesbaden erstellt und 2023 von Lena Böschemeyer überarbeitet und ergänzt]

Literatur