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Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Historischen Fachkommission zur Überprüfung nach Personen benannter Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen der Landeshauptstadt Wiesbaden
Mit der Gründung einer Bürgerinitiative, die Unterschriften für die Umbenennung der Pfitznerstraße sammelte, begann in Wiesbaden 2018 erneut eine öffentliche Diskussion darum, wie man mit Namenspatronen Wiesbadener Straßen in Zukunft umgehen wolle, die eine Nähe zum Nationalsozialismus aufweisen. Bereits Anfang der 2000er-Jahre hatte sich die Stadtgesellschaft mit dem Heimatdichter und Lehrer Rudolf Dietz auseinandergesetzt, dessen Werke teilweise antisemitische Passagen aufweisen. Ein Entzug der Namenspatenschaft wurde 2003 durch den zuständigen Ortsbeirat in Naurod abgelehnt. Die Diskussion um den Heimatdichter war damit allerdings nicht beendet.
Die Initiative zur Umbenennung der Pfitznerstraße verwies 2018 auf die Biografie des 1869 in Moskau geborenen Komponisten, Dirigenten und Autors Hans Pfitzner, der in seinen politischen Schriften ab 1898 offen antisemitisch argumentierte. Auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges relativierte der Komponist nicht nur die NS-Zeit, sondern rechtfertigte und befürwortete öffentlich den Antisemitismus, der zur Shoah führte.

Am 13. Februar 2020 beschloss die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung die Umbenennung der Pfitznerstraße. Als Gründe gab sie die antisemitischen Äußerungen des Komponisten und seine Befürwortung des Holocaust an. Gleichzeitig entschied die Stadtverordnetenversammlung die Einrichtung einer Historikerkommission, die die Biografien der Namenspatrone Wiesbadener Verkehrsflächen, Gebäude und Einrichtungen mit Blick auf deren NS-Belastung systematisch untersuchen und Empfehlungen im Umgang mit diesen Benennungen aussprechen sollte. Dr. Hendrik Schmehl, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden, fasst den Prozess zusammen: „Der Fall Pfitzner zeigte, dass der Umgang mit persönlichen Verstrickungen und dem Handeln von Persönlichkeiten in der NS-Zeit mit größerer zeitlicher Distanz neu diskutiert und bewertet werden kann. Die Bewertung von individuellen ‚Belastungen‘ einzelner Personen im Hinblick auf den Nationalsozialismus ist nicht statisch und kann gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt werden.“

Die Historische Fachkommission wurde im Dezember des Jahres einberufen. Ihr gehörten als Vorsitzender Professor Dr. Christoph Cornelißen, Goethe-Universität Frankfurt am Main, als stellvertretende Vorsitzende Professorin Dr. Sabine Mecking, Philipps-Universität Marburg, Professor Dr. Eckart Conze, Philipps-Universität Marburg, Professor Dr. Andreas Hedwig, Hessisches Landesarchiv, und Privatdozentin Dr. Nadine Freund, Universität Kassel, sowie Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel bis April 2021, anschließend Stadtverordnetenvorsteher Dr. Gerhard Obermayr als Vertreter der Stadtpolitik und Dr. Peter Quadflieg, Leiter des Stadtarchivs Wiesbaden, als Vertreter der Fachverwaltung an.

In einem ersten Schritt hatte das Stadtarchiv Wiesbaden, das als zuständige Fachdienststelle der Verwaltung mit der Betreuung des Prozesses beauftragt wurde, aus den etwa 600 Wiesbadener Verkehrsflächen, die nach Personen benannt sind, diejenigen Namensgeberinnen und Namensgeber extrahiert, die zwischen 1870 und 1925 geboren worden sind und damit die NS-Zeit bewusst erlebten. Daraus ergab sich eine Gruppe von 71 Personen, deren Biografien durch ihren Fachreferenten Dr. Dirk Stolper erarbeitet und der Fachkommission zur Diskussion vorgelegt wurden. Ihre Empfehlungen sind nun in Form eines Abschlussberichts veröffentlicht. „Der Abschlussbericht dokumentiert die intensive Auseinandersetzung der Historischen Fachkommission mit jeder einzelnen Biografie. Er liefert nicht nur Einschätzungen für die Entscheidungsfindung der politisch Handelnden im Umgang mit den Benennungen von Straßen, Gebäuden und Einrichtungen, sondern gleichzeitig einen erkenntnisreichen und spannenden Einblick in ein wichtiges und aktuelles Thema unserer städtischen Erinnerungskultur“, sagt Dr. Schmehl.

Die Historische Fachkommission hat in 18 der 71 untersuchten Fällen eine Umbenennung empfohlen. Diese sind im Ortsteil Biebrich: Sauerbruchstraße, Otto-Schmelzeisen-Dojo, Adolf-Todt-Straße; im Ortsteil Bierstadt: Gerhardt-Katsch-Straße, Heinrich-Pette-Straße; im Ortsteil Amöneburg: Alexander-von-Engelberg-Straße; im Ortsteil Mitte: Kronprinzenstraße, Herbertanlage; im Ortsteil Naurod: Rudolf-Dietz-Straße, Rudolf-Dietz-Schutzhütte mit Brunnen; im Ortsteil Nordost: Opelbad, Wilhelm-von-Opel-Schutzhütte, Jonas-Schmidt-Straße, Alfred-Schulte-Hütte, Richard-Strauß-Straße; im Ortsteil Rheingauviertel/Hollerborn: Gerhart-Hauptmann-Schule; im Ortsteil Schierstein: Christian-Bücher-Straße und im Ortsteil Südost: Elmendorffstraße, Overbeckstraße und Viktoria-Luise-Straße. In weiteren zwölf Fällen empfiehlt die Fachkommission eine Kontextualisierung und in 41 Fällen kann die Namensgeberschaft beibehalten werden.

Neben dem Verhältnis der Namensgeberinnen und Namensgeber Wiesbadener Verkehrsflächen zum Nationalsozialismus leistet der Abschlussbericht der Historischen Fachkommission einen weiteren wichtigen Beitrag zur Stadtgeschichte. Er gibt Aufschluss über die bisherige Benennungspraxis in Wiesbaden. Mit nur vier Frauen unter den 71 überprüften Personen sind diese deutlich unterrepräsentiert. Das durch die Arbeit der Historischen Fachkommission ermittelte Verhältnis ist dabei charakteristisch für das bisher übliche Vorgehen bei Straßenbenennungen. Nur knapp zehn Prozent aller nach Personen benannten Verkehrsflächen in der Landeshauptstadt sind Frauen gewidmet. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass es sich bei den Namensgeberinnen und Namensgebern im Schwerpunkt um Personen handelt, die einen starken lokalen Bezug zu Wiesbaden aufweisen. Der Abschlussbericht bildet somit neben prominenten Persönlichkeiten auch die Biografien von Personen ab, über die bisher nur sehr wenige Informationen bekannt waren. Es handelt sich zumeist um Akteurinnen und Akteure, die aufgrund ihres lokalen Engagements oder auf dem Gebiet der Lokalpolitik, eine Ehrung in Form einer Straßenbenennung erhalten haben, zumeist mit klarem Bezug auf einen konkreten Stadtbezirk oder eine ehemals eigenständige Ortschaft.

Am Dienstag, 7. November, wurde der Abschlussbericht dem Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden vorgelegt, der ihn zur Kenntnis genommen und an die Ortsbeiräte zur Diskussion der Ergebnisse weitergegeben hat. Der weitere politische Prozess wird von der Präsentation der Ergebnisse in verschiedenen Formaten flankiert, um Anwohnerinnen und Anwohnern der betroffenen Verkehrsflächen sowie der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Diskussion über die Namensgeberinnen und Namensgeber und deren Bewertung durch die Fachwissenschaft zu geben. Dafür wird das Stadtarchiv Wiesbaden im kommenden Jahr das Thema in sein Halbjahresprogramm als Schwerpunkt aufnehmen und verschiedene Veranstaltungen zur Vermittlung der Ergebnisse anbieten. Der Abschlussbericht wird außerdem in der Reihe „Schriften des Stadtarchivs“ in den nächsten Wochen als Band 17 publiziert und ist dann im Buchhandel erhältlich.

Als Online-Ausgabe kann der Abschlussbericht bereits jetzt unter folgender Adresse abgerufen werden: http://www.wiesbaden.de/strassennamen.

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Herausgeber:
Pressereferat
der Landeshauptstadt Wiesbaden
Schlossplatz 6
65183 Wiesbaden
Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger
Telefonzentrale Rathaus:

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